
Nach Kritik und Protesten wegen zweier Bundestagsabstimmungen über eine verschärfte Migrationspolitik hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz sein Vorgehen im Bundestag verteidigt. Im ARD-Brennpunkt bejahte er die Frage, ob er alles noch einmal so machen würde. Es sei „eine Woche gewesen, die für Klärung gesorgt hat“. Dass es in der Demokratie auch mal Widerspruch und Proteste gebe, sei in Ordnung. „Dass es gewalttätige Proteste gibt der linksextremen Szene, ist nicht in Ordnung“, aber davon lasse er sich nicht
beeindrucken.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung am Abend in Erfurt lobte er die Debatte im Bundestag. „Ich fand, es war die Sache wert, dass wir uns heute mal wirklich offen
ausgesprochen haben über das Thema Einwanderung und Migration.“ Es sei
heftig gewesen, und es habe auch geknallt. Merz ergänzte: „Machen wir uns denn von der AfD abhängig, ob wir unsere Anträge in den
Deutschen Bundestag einbringen, oder nicht? Und wenn die sagen Ja,
sagen wir Nein – zu unseren eigenen Anträgen? Leute, das kann nicht
richtig sein“, sagte er und erntete Jubel und Applaus. Merz sagte, man müsse dafür sorgen, dass die AfD nicht größer, sondern eine Randerscheinung werde, die sie einmal gewesen sei.
„Habe AfD nicht die Hand gereicht“
Zugleich bekräftigte Merz, dass sich die CDU nicht von
der AfD abhängig machen sollte. Er habe der AfD nicht die Hand
gereicht. „Wir haben einen Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht, der nach unserer Überzeugung, der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der richtige Antrag war, um wenigstens ein
Teil des Problems der Zuwanderung zu lösen“, sagte er. Da schaue er
nicht, wer zustimme oder nicht.
Zuvor
hatte der Bundestag einen auch wegen der Unterstützung der AfD heftig
diskutierten Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Begrenzung der
Migration abgelehnt. Das „Zustrombegrenzungsgesetz“, das Merz als Unionsfraktionschef vorgelegt hatte, erhielt in zweiter Lesung keine Mehrheit. Am
Mittwoch dagegen hatte ein Antrag der CDU/CSU für Zurückweisungen von Migranten
an den deutschen Grenzen, der keine bindende Wirkung hat, eine Mehrheit
gefunden. Ihm hatten Vertreter von CDU/CSU, FDP,
fraktionslose Abgeordnete sowie die AfD zugestimmt, was Empörung auslöste.
Merz äußerte sich bei der Veranstaltung in Erfurt auch zu den Unionsabgeordneten, die bei der Abstimmung am Freitag keine Stimme abgegeben hatten. Abgeordnete müssten ein „sauberes Gewissen“ haben, sagte Merz. Wenn ihm jemand sage, er könne über ein solches Thema nicht abstimmen, „dann respektiere ich das“.
Aus der Unionsfraktion gab es nach Bundestagsangaben keine Gegenstimmen bei der Abstimmung über das von der Unionsfraktion eingebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“. Allerdings hatten zwölf Unionsabgeordnete ihre Stimme nicht abgegeben.
Merkels Unbehagen „wird auch von mir geteilt“
Auf Kritik von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel an seinem Vorgehen reagierte Merz in einem Interview zurückhaltend. „Angela Merkel drückt ein Unbehagen aus, das von vielen – auch von mir – geteilt wird“, sagte Merz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland auf die Frage, ob die Kritik von Merkel für ihn relevant sei. Merkel hatte auf ihrer Website daran erinnert, dass Merz noch im November in einer
Rede gesagt habe, er sei dagegen, „auch nur ein einziges Mal eine zufällige
oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit“ mit der AfD zustande zu bringen. Sie halte es für falsch, „sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu
fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei
einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen
der AfD zu ermöglichen“.
Merz sagte in dem Interview, er „habe in den drei Jahren immer wieder Gesprächsangebote an SPD und Grüne gemacht“. Das habe vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz „immer abgelehnt. Wir als Union wollten immer Lösungen in der demokratischen Mitte finden und möchten das auch weiterhin.“
Merz kritisierte zudem eine schlechte Zusammenarbeit zwischen Regierung und
Opposition. „Wir haben in dieser zu Ende gehenden Wahlperiode keine gute
Kooperation zwischen Regierung und Opposition erlebt. Wir müssen in der
politischen Mitte zu Regierungsbildungen kommen, die in diesem Lande
wirklich die notwendigen Veränderungen auslösen“, forderte er. „Die
Opposition kann die AfD nicht halbieren, wenn die Regierung diese Partei
verdoppelt.“ Dänemark beispielsweise habe das Migrationsproblem gelöst und damit die Rechtspopulisten gestoppt.
Dabei stellte er zudem die dauerhafte Mehrheitsfähigkeit etablierter Parteien infrage. „In modernen Gesellschaften wird es immer Konflikte geben. Die Frage ist: Reicht es aus, was die etablierten Parteien leisten, um eine dauerhafte Mehrheit in der Bevölkerung zu gewinnen?“, sagte Merz. Er fügte hinzu: „Diese Frage ist noch nicht abschließend beantwortet.“