#MeToo-Comedy „Sorry, Baby“: Eine der schönsten Komödien des Jahres

Agnes hat etwas Steifes. Ihr Gesicht wirkt maskenhaft, man muss genau hinschauen, um die gelegentlichen feinen Zuckungen darin zu sehen. Auch der Körper wirkt, als leiste er bei allen Bewegungen aktiv Widerstand, geschmeidig fließen will er anscheinend nicht. Und die Stimme verschließt sich ihrem Gegenüber eher, als dass sie sich öffnet. Selbst ein „Hello“ kommt ihr nicht direkt und frei über die Lippen, sondern klingt gequält, verunsichert und fragend zugleich.

Agnes ist die Hauptfigur von Eva Victors Regiedebüt „Sorry, Baby“. Victor selbst spielt Agnes und hat auch das Drehbuch geschrieben. Was theoretisch Anlass zur Sorge geben könnte. Manchen Filmen, in denen Schauspieler selbst die Regie übernehmen, tut dieser Wechsel hinter die Kamera nicht so gut.

Bei Victor hingegen fragt man sich, ob jemand anderes das auch so hinbekommen hätte. Denn „Sorry, Baby“ ist eine der schönsten Komödien des Jahres, auch wenn sie von sexualisierter Gewalt erzählt – und dem Leid, das diese auslöst. Der Film tut dies jedoch so, dass das Opfer nicht bloß als Opfer erscheint, sondern teils sogar mit Witz das eigene Schicksal annimmt, gegen alle Widrigkeiten, die das mit sich bringt.

Eva Victor wirft einen nicht direkt ins Geschehen, sondern beginnt after the fact. Ihre Freundin Lydie (Naomie Ackie) kommt am Anfang des Films aus New York angereist, um Agnes auf dem Land zu besuchen. Im Haus, in dem Agnes lebt, wohnten sie früher zusammen, als beide an einem College in New England studierten. Agnes ist dort inzwischen Professorin geworden, Lydie versucht sich mittlerweile als Schriftstellerin.

Der Film

„Sorry, Baby“. Regie: Eva Victor. Mit Eva Victor, Naomi Ackie u.a. USA 2025, 104 Min.

Lydie ist glücklich verliebt und schwanger. Agnes freut sich für sie, zeigt selbst diese Gefühle aber nur verhalten. „Stirb nicht“, fordert Lydie sie irgendwann auf, und Agnes beruhigt sie, dass sie das nicht zu tun gedenke. Über allem liegt eine durch Agnes’ Scherze nur unvollständig kaschierte Schwere, bei der man zunächst nicht so recht weiß, woher sie rührt.

Ein nerdiger Akademiker-Typ

Victor hat den Film in mehrere Kapitel mit Überschriften unterteilt. So gibt es „The Year With the Cat“, „The Year with the Baby“ heißt der erste Abschnitt, gefolgt von „The Year with the Bad Thing“, in dem sich das ereignet, was dazu führt, dass Agnes so wirkt, wie sie wirkt. Wobei sie auch in den Minuten, die einen auf das „schlechte Ding“ vorbereiten, als nerdiger Akademiker-Typ in Erscheinung tritt, nicht gerade locker, doch mit messerscharf schneidendem trockenen Witz, den sie so entlarvend wie befreiend einsetzt. Ihre Steifheit „vorher“ und „nachher“ ist dennoch, wenn auch graduell, verschieden.

Agnes promoviert in diesem „Jahr mit dem schlechten Ding“ noch in Literaturwissenschaften, sie ist die Favoritin ihres Professors Preston Decker (Louis Cancelmi). Das registriert insbesondere eine Kommilitonin, Natasha (Kelly McCormack), mit unverhohlenem Neid. Als eine Besprechung von Agnes’ Dissertation in Deckers Büro durch eine dringende Familienangelegenheit des Professors unterbrochen wird – er lebt getrennt von der Mutter der Kinder und muss einen Sohn irgendwo abholen –, schlägt er vor, das Treffen später bei ihm zu Hause fortzusetzen.

Eva Victor inszeniert die folgende Szene mit äußerster Zurückhaltung. Man sieht eine Außenaufnahme von Deckers Haus, an dessen Tür Agnes klingelt. Decker öffnet, bittet sie, die Schuhe auszuziehen, dann schließt sich die Tür. Draußen ist Tageslicht. Beim nächsten Schnitt setzt die Dämmerung ein, nach einem weiteren ist es dunkel. Dann öffnet sich die Tür, Agnes springt in ihre Schuhe, geht davon, ohne sich umzusehen, im Hausflur steht Decker.

Die richtigen Worte finden

Die Suche nach dem richtigen Abstand zum Geschehen oder Geschehenen bleibt für den Rest des Films bestimmend. So in der Szene, als Agnes in der Badewanne sitzt und Lydie berichtet, was in Deckers Haus geschah. Die Kamera bleibt während dieses Dialogs nah bei den Figuren, erst am Ende des Gesprächs wechselt sie nach draußen in den Flur, wo die Freundinnen, Agnes im Arm von Lydie, durch die Türöffnung gerahmt sind.

Neben der räumlichen Distanz geht es Victor zugleich um verbale Distanz oder überhaupt die Fähigkeit, die richtigen Worte für ein Ereignis zu finden, das Leid hervorruft. Als sich Agnes in der Klinik untersuchen lässt, folgt der Arzt streng dem Protokoll, fragt sie, ob sie vergewaltigt wurde. Agnes reagiert sarkastisch mit der Antwort: „Das ist treffend formuliert.“ Wenig später bitten sie zwei Mitarbeiterinnen der Hochschulverwaltung zum vertraulichen Gespräch. Sie nähmen die Sache „sehr ernst“, denn sie seien Frauen und wüssten, wie es ihr gehe. Worauf Agnes sich höflich befremdet zeigt.

Lydie andererseits fasst Agnes’ Beschreibung der Ereignisse in Deckers Haus mit „That sounds like that“ zusammen. Ohne die Vergewaltigung zu benennen, hat Lydie in der Szene so alles gesagt und kein Wort zu viel.

Ein Film über Freundschaft

„Sorry, Baby“ zeichnet mit sehr genauem Blick nach, wie Opfer von sexualisierter Gewalt ihr Leben danach in den Griff kriegen müssen und wie sich die Personen um sie herum dazu verhalten. Zudem ist der Film eine Milieustudie des akademischen Betriebs mit seinen Konkurrenzkämpfen. Diese lassen sich nicht völlig losgelöst von Agnes’ Leid betrachten, spielen sich aber eher am Rande ab.

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Damit wählt Eva Victor eine entschieden andere Perspektive als Luca Guadagnino, der in seinem Hochschuldrama „After the Hunt“ genüsslich das betriebsinterne Hickhack ausstellt. Von Agnes’ Arbeit als Professorin erfährt man jedenfalls nur in einer knappen Szene etwas.

Vor allem ist „Sorry, Baby“ jedoch auch ein Film über Freundschaft. Denn die einzige Person, die Agnes in ihrem Leid wirklich nah ist und damit umzugehen versteht, ist Lydie. Auch als sie nach New York zieht und Agnes „allein“ zurücklässt, nachdem sie zuvor im selben Bett geschlafen hatten. Lydie ist in vielem ein gegensätzlicher Charakter. Sie ist emotionaler, euphorischer und weniger entschlossen in ihrem akademischen Fortkommen als Agnes. Man fragt sich zwischendurch, ob die zwei ein Paar waren oder nicht.

Nie mehr in einer Szene als nötig

Dass der Film das nicht bis zur Eindeutigkeit ausbuchstabiert, gehört zu seinen Vorzügen. Was ebenso für die Genderfragen gilt, die Victor beiläufig stellt: Lydies neue Liebe in New York ist eine nonbinäre Person, Fran (E. R. Fightmaster), und Agnes sieht sich anscheinend ebenfalls so. Victor, selbst nonbinär, deutet das lediglich an einer Stelle kurz und ohne Worte an.

Überhaupt sorgt gerade diese Diskretion dafür, dass „Sorry, Baby“ auf stille Art begeistert. Victor stopft nie mehr in eine Szene als nötig, geht äußerst sparsam mit Musik um und packt nie allzu viele Personen gleichzeitig ins Bild. Dass es eine Komödie ist, heißt schon gar nicht, dass die Gags einander die Hände reichen müssen. Sie sind behutsam als Pointen gesetzt, und zu viele davon würden womöglich schaden.

Einen Höhepunkt in komödiantischer Hinsicht liefert die Begegnung mit Agnes’ Nachbar Gavin (Lucas Hedges), den man guten Gewissens als schrulligen Typen beschreiben kann. Gavin verkörpert neben einer leichten Unbeholfenheit im Umgang mit anderen einige der Nöte, die Männer dieser Tage umtreiben. Vieles davon hat mit traditionellen Bildern von Männlichkeit zu tun und wie man diesen im Einzelnen entspricht. Ganz physisch. Für diese findet Victor einen Ton, der offenlegt, ohne bloßzustellen. Und die Katze? Ist auch wichtig für das Ganze.