
Wo es am Anfang um Töchter geht, geht es am Ende meist um ihre Väter. Aus der römischen Frühzeit stammt die Legende, dass zwei Männer um eine junge Frau warben, ein Adliger und ein Nichtadliger. Im aufgehetzten Klima der Ständekämpfe wurde die Brautwerbung der Rivalen zum Politikum, führte zu einem Machtkampf zwischen Plebejern und Patriziern und sogar zum militärischen Eingreifen verschiedener Großmächte. Als siegreiche Väter am Ende ihren Erfolg feierten, war die Tochter längst vergessen. Wer im politischen Wettbewerb seine Töchter ins Feld führt, reiht sich also in eine lange Tradition ein.
Immer wieder taucht in der politischen Rhetorik die Tochter als Figur auf, an deren Wohlergehen sich der geistig-moralische Zustand einer Nation oder Gesellschaft messen lässt. Die Französische Revolution forderte, die Frauen als „Töchter der Nation“ anzuerkennen. Die Verwendung der Tochter als bedrohtes Objekt im Sprachgebrauch nationalistischer und später nationalsozialistischer Rhetorik ist bekannt. Feindschaftsgefühle werden bis heute mit der Forderung nach dem Schutz der Töchter vor sexuellen Übergriffen geweckt. Nicht nur von ungefähr, wie etwa das kriegsverbrecherische Wüten russischer Soldaten gegen Ukrainerinnen zeigt.
Stilmittel der politischen Rhetorik
Aber auch mit Blick auf die Folgen von Migration wird immer wieder auf die Töchter zurückgegriffen. Die sexuellen Straftaten von Migranten in der Silversternacht 2015 auf der Kölner Domplatte spiegeln sich bis heute auf den Wahlplakaten der AfD wider („Mehr Sicherheit für unsere Töchter!“). Wenn Bundeskanzler Merz jetzt also die „Töchter“ ins Feld führt, um das Gefühl gefährdeter Sicherheit in einem migrantisch geprägten Stadtbild empirisch zu belegen, nutzt er ein altbewährtes Stilmittel der politischen Rhetorik. Es ist allerdings vor allem das: altbewährt. Denn wer heute zum Beispiel mit Schulklassen über ihr Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum spricht, dem berichten vor allem auch Söhne von ihren Erfahrungen mit Kriminalität durch Migranten. Ebenso wenig wie in der Wehrpflichtdebatte sollte sich der Bundeskanzler mit Blick auf die Ausländerkriminalität einen Genderbias leisten.
Politisch anzüglich
Überhaupt stellt sich die Frage, ob Merz mit seinem rhetorischen Verweis auf die gefährdeten Töchter eine richtige Beobachtung nicht falsch konnotiert hat. Denn das Sicherheitsgefühl in Deutschland ist gerade nicht nur unter alteingesessenen, sondern auch unter zugewanderten Bürgern bedroht. Die Vorstellung, dass migrantische Männer es gezielt auf Töchter abgesehen hätten, ist hingegen falsch und politisch anzüglich. Über allen Versuchen, mit einer Strategieänderung auf den gesellschaftlichen „vibe shift“ nach rechts zu reagieren, darf man weder zu pauschal noch zu altmodisch werden.
Die vermeintlich rassistischen Äußerungen von Merz zeugen auch davon, wie sehr dieser Kanzler lebensweltlich noch in der alten Bundesrepublik gefangen ist. Wo die politisch verantwortlichen Väter, von Saaltöchtern bedient, gern lau badeten. Diese Zeiten sind vorbei. Heute kommen wir lau nicht mehr weiter, sondern sind auch auf migrantische Töchter angewiesen, die Kriminellen jeglicher Herkunft die Handschellen anlegen.