
Im Sommer-Interview der ARD versucht Bundeskanzler Friedrich Merz die Richterwahl-Blamage seiner Koalition kleinzureden. Das gelingt nur bedingt. Auch, weil der Kanzler selbst noch keine Lösung des Problems parat hat.
Eigentlich wollte Friedrich Merz die Deutschen an diesem Wochenende mit einer guten Nachricht in die Sommerferien schicken. Nach den ersten 70 Tagen seiner Kanzlerschaft, so der gute Vorsatz des Bundeskanzlers, sollte sich die Stimmung der Deutschen im Vergleich zu den unglückseligen Ampel-Zeiten deutlich verbessert haben. „Die Bevölkerung muss merken, dass es einen Unterschied macht, wenn es eine neue Regierung gibt“, so Merz einige Tage vor seiner Wahl zum Bundeskanzler.
Das hat, wie die letzte Sitzungswoche des Bundestags vor den Ferien gezeigt hat, nicht so richtig geklappt. Die parlamentarischen und außerparlamentarischen Turbulenzen rings um die Nachwahl dreier Verfassungsrichter haben vielmehr den Eindruck hinterlassen, dass die neue genau wie die alte Bundesregierung mehr streitet als leistet. Dass wichtige Teile der Koalition nicht so funktionieren, wie es eigentlich nötig wäre in diesen kabbeligen Zeiten. Und dass es dem neuen genau wie dem alten Kanzler an Autorität mangelt, um zumindest die eigenen Leute hinter sich zu versammeln.
Insofern ist es verständlich, dass Friedrich Merz als Premierengast der diesjährigen „ARD-Sommerinterviews“ den smart-freundlich-zugewandten Stil, den er sich seit seinem Amtsantritt auferlegt hat, nicht ganz durchhalten kann. Jedenfalls verschärft der Kanzler in Minute zwölf des Interviews seinen Ton gegenüber ARD-Hauptstadtstudio-Chef Markus Preiß deutlich. „Ich habe gerade gesagt, Herr Preiß, wiederhole es jetzt zum dritten Mal“, im schneidenden Stil des früheren Unions-Fraktionschefs, „wir werden darüber in Ruhe mit der SPD sprechen. Und ich werde keine weiteren Ankündigungen – sie können es vier und fünf und sechs Mal versuchen –, ich werde hier keine weiteren Ankündigungen machen.“
Dabei war die Frage, die Preiß dem Kanzler gestellt hatte, erstens berechtigt und auch keine Wiederholung. Der Journalist wollte wissen, ob Merz weiterhin – trotz des Unmuts in der Unionfraktion – zu der umstrittenen Hochschullehrerin Frauke Brosius-Gersdorf als künftige Verfassungsrichterin steht. Eine Frage, mit der Merz, die Unionsabgeordneten und die interessierte Öffentlichkeit nun in die Sommerferien gehen.
„Da gibt es keinen Zeitdruck“, findet der Kanzler
Der Kanzler jedenfalls sieht keinen Bedarf für eine zügige Klärung des Themas, für eine schnelle Richterwahl, wie es die Grünen am Wochenende vorgeschlagen und dazu eine Sondersitzung des Bundestags gefordert hatten. Merz betonte hingegen mehrfach, dass man die Dinge zunächst „in Ruhe“ mit der SPD besprechen werde. „Da gibt es keinen Zeitdruck“, findet der Kanzler und verweist unter anderem darauf, dass die bisherigen Verfassungsrichter so lange im Amt blieben, bis die Nachfolger gewählt seien.
Karlsruhe sei „arbeitsfähig“, der ganze Vorgang „undramatisch“. Wiederholen, das immerhin, soll er sich allerdings auch nicht. Man hätte die Unruhe, die die Nominierung von Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion ausgelöst habe, früher erkennen können, räumt Merz ein. „Das machen wir beim nächsten Mal besser.“
Ansonsten ist „niedriger hängen“ offenkundig die Devise, mit der Friedrich Merz die Richterwahl-Blamage bewältigen möchte. „Das war am Freitag nicht schön, aber das ist keine Krise. Keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung.“
War was?
Der Bundespräsident, der sich zur Tagespolitik eher selten äußert, ordnet das Geschehen anders ein. „Ich glaube, wenn man einen Blick in die Zeitungen vom Wochenende wirft, dann lernt man sofort, die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt“, sagte Frank-Walter Steinmeier im ZDF und forderte den Bundestag auf, die am Freitag vertagte Entscheidung über die Berufung der neuen Verfassungsrichter möglichst zeitnah zu treffen. Die nächste reguläre Sitzungswoche des Parlaments beginnt am 8. September.
Mindestens bis dahin darf also vermutlich weiter gestritten werden – vor allem um die Zukunft der von der SPD für das Verfassungsgericht vorgeschlagenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. So empfahl der CDU-Abgeordnete und frühere Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, der Potsdamer Hochschulprofessorin in einem Interview des „Tagesspiegel“, von sich aus auf einen Wechsel nach Karlsruhe zu verzichten. „Es liegt auch in ihrer Verantwortung, weiteren Schaden vom Bundesverfassungsgericht abzuwenden“, sagte Kuban. Für die frühere Grünen-Chefin Ricarda Lang Anlass genug, um ihrerseits die Union zu einem Kurswechsel aufzufordern. „Wenn ich Teil eurer Fraktion wäre, würde ich mir die Frage stellen, ob es nicht Zeit gekommen ist, mich bei Frauke Brosius-Gersdorf zu entschuldigen“, teilte sie Kuban auf der Plattform X mit.
Auch ein ehemaliger Karlsruher Richter äußerte sich am Wochenende zu der gescheiterten Richterwahl. Peter Müller, früherer CDU-Ministerpräsident im Saarland und von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht, sagte der „Saarbrücker Zeitung“: „Dass eine Richterwahl (…) nicht zustande kommt, nachdem bereits der Wahlausschuss des Bundestags dem Plenum einen Vorschlag gemacht hat – das gab es noch nie. Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union.“
Das gehe „in erster Linie mit dem Fraktionsvorsitzenden nach Hause“. Also mit Jens Spahn, dem früheren Bundesgesundheitsminister, nicht mit Friedrich Merz. Das wäre dann zumindest eine gute Nachricht für den Bundeskanzler zu Beginn dieser Parlamentarischen Sommerpause.
Ulrich Exner ist WELT-Korrespondent für Norddeutschland und befasst sich unter anderem mit der dortigen Landespolitik.