
Trainerneuling Merlin Polzin kann mit dem HSV schaffen, was seit dem Abschied aus der Bundesliga keinem seiner namhaften Vorgänger gelang. Die Hamburger fiebern dem Aufstieg entgegen. Porträt eines Mannes, der seine Lebenseinstellung auf den Platz projiziert.
Wie Merlin Polzin Fußball spielen lässt, hat viel mit seinem eigenen Leben zu tun. „Das klingt ein wenig philosophisch“, sagt der junge Cheftrainer des Zweitligisten Hamburger SV der Deutschen Presse-Agentur. „Aber die Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen oder was ich von den Jungs einfordere – sowohl im Umgang als auch auf dem Platz –, so möchte ich auch durchs Leben gehen: mutig sein, nach vorn gerichtet und keine Zweifel haben.“ Offensiv denken und so auch das Leben angehen. „Das Leben ist zu kurz und zu schön, um es nicht so anzugehen.“
Die Spieler haben dies verinnerlicht – zumindest spricht der Erfolg dafür. In 13 Partien seit der Trennung von Steffen Baumgart Ende November haben sie unter dem vom Co- zum Interims- und letztlich zum Cheftrainer beförderten Polzin acht Siege und vier Unentschieden geholt und nur eine Niederlage kassiert. Acht Spieltage vor dem Saisonende ist der HSV Tabellenführer.
Von Frühjahrs-Krisen, die die Hamburger in den vergangenen Jahren regelmäßig erlebten, spricht vor der Partie am Freitag (18.30 Uhr/Sky) gegen die SV Elversberg niemand.
„Wenn wir gegen Elversberg das Heimspiel gewinnen, dann sagt jeder: Jetzt steigen sie auf. Dann verlierst du irgendwann mal wieder, dann heißt es: Jetzt können sie es doch nicht“, sagt der 34-Jährige. „Aber wir sind intern klar, weil wir inhaltlich arbeiten und nicht vom Ende her denken.“
Polzin wie im Film – das Happy End fehlt noch
Polzin und der HSV – die Geschichte könnte auch die Grundlage für einen Filmplot sein: Der Junge aus dem Fanblock muss früh seine Spieler-Laufbahn im Amateurbereich wegen Arthrose in den Zehen beenden. Doch über Umwege wird er eines Tages Cheftrainer bei seinem Lieblingsverein und führt ihn aus der Dauer-Zweitklassigkeit zurück in die Bundesliga.
In der Realität fehlt noch das Happy End, sprich: der Aufstieg. Dass es so kommt, davon ist Polzin überzeugt. Entscheidend dabei: der mannschaftliche Zusammenhalt. „Alle wissen, das große Ziel steht über allem“, sagt er. „Wir haben eine super Energie im Training, wir haben eine hohe Nettotrainingszeit, wir haben eine hohe Qualität. Wir gehen gemeinsam in eine Richtung. Es gibt nicht links und rechts.“
Polzin gehört nicht zu den Lauten in der Trainerszene. Der ehemalige Lehramtsstudent wirkt bodenständig. Dass der aus dem Stadtteil Bramfeld stammende Hamburger abheben könnte, ist schwer vorstellbar.
Ehrgeizig ist er schon. Er strebt aber mehr nach Inhalten und persönlicher Weiterentwicklung als nach Posten. „Mir geht es primär weniger um die Position oder die Liga, sondern es muss halt auch passen mit dem Trainerteam, mit der Mannschaft.“
Das gestiegene Interesse an ihm registriert er und freut ihn. „Viele Menschen haben ein Mitteilungsbedürfnis, was unseren Verein angeht“, sagt er. „Daher ist es mir wichtig, dass man greifbar ist und die Leute spüren können, was wir machen.“
Polzin, der Bessermacher
Seit sieben Jahren strebt der HSV den Wiederaufstieg an. Nun könnte er ausgerechnet mit einem einheimischen Cheftrainer-Novizen gelingen. Die Versuche mit bekannteren und teureren Übungsleitern wie Hannes Wolf, Dieter Hecking, Daniel Thioune, Tim Walter und Baumgart scheiterten mal deutlich, mal knapp.
Polzin steht wie den vorherigen Trainern eine Sammlung von Spielern zur Verfügung, die zu den Besten der Besten in der Liga zählen. Doch anders als seine Vorgänger schaffen er und seine Co-Trainer Loic Favé und Richard Krohn es, dass die Spieler ihr Potenzial dauerhaft abrufen. Spieler wie Antreiber Ludovit Reis, der offensive Wirbelwind Jean-Luc Dompé oder Verteidiger William Mikelbrencis haben sich verbessert.
Polzin beschreibt sich als „harmoniebedürftig“. Dennoch trifft er klare Entscheidungen, auch unangenehme. Er setzte zuletzt Abwehrchef Sebastian Schonlau auf die Bank. Zugleich lobte Polzin seinen Kapitän für dessen Verhalten.
Gegen Elversberg muss der Trainer wählen, wer aus seinem Top-Sturmtrio Davie Selke (17 Tore), Ransford Königsdörffer (11) oder der nach fünf Monaten Verletzungspause wiedergenesende Robert Glatzel (7) auf Torejagd gehen darf.
Wie er auch entscheidet, Unruhe scheint auszubleiben. „Merlin und sein Trainerteam haben uns als Mannschaft besser gemacht“, sagte Torwart Daniel Heuer Fernandes (32) im Gespräch mit BILD. „Merlin nimmt alle jeden Tag mit. Wirklich alle. Dadurch fühlt sich jeder wertgeschätzt. Jeder will in seinem Bereich sein Maximum geben. Das gibt uns ein gutes Gefühl in der Kabine. Dadurch entsteht eine Energie, bei der sich alle angesprochen fühlen.“
Auch wenn Polzin einige Trainer-Erfahrungen mitbringt, gibt es doch manches, was für ihn als Cheftrainer ungewohnt ist: das Drumherum um die Spieler. „Die Jungs sind ja nicht nur Fußballprofi, sondern haben natürlich auch ein Leben außerhalb des Rampenlichts und somit auch ihre Probleme und Sorgen, wenn auch vielleicht auf eine andere Art und Weise als Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen.“
Polzin ist auf und neben dem Spielfeld für seine „Jungs“ da. Er möchte ihnen seine Fußball-Maxime vorleben: mutig sein, nach vorn gerichtet sein und keine Zweifel haben. Bis zum Happy End.
lwö/dpa