Mehrwertsteuererhöhung: Unsozialer ginge es kaum

Die finanzielle Ausgangslage für die nächste Bundesregierung ist denkbar
schlecht: Sie muss sparen, um die bereits bestehende riesige Finanzierungslücke
im Bundeshaushalt zu schließen. Das Sondervermögen für Infrastruktur hilft ihr dabei nicht, da
dieses – so zumindest das Versprechen – ausschließlich für zusätzliche
öffentliche Investitionen genutzt werden soll. Die Ausnahme von der
Schuldenbremse für einen Teil der Verteidigungsausgaben dürfte kaum
ausreichenden finanziellen Spielraum schaffen. Steigende Lohnkosten und eine
stagnierende Wirtschaft werden das Defizit in den Haushalten von Bund, Ländern
und Kommunen weiter vergrößern.

Zudem haben Union und SPD den Menschen im
Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprochen. In den Sondierungsgesprächen hat
man sich auf Steuererleichterungen und Ausgabenerhöhungen geeinigt, die zusammengenommen rund 64 Milliarden Euro
pro Jahr kosten könnten. Über Kürzungen von Ausgaben, wie für
Geflüchtete oder beim Bürgergeld, wird sich all das kaum finanzieren lassen. Für manche Wirtschaftswissenschaftler (PDF) liegt die Lösung auf der Hand:
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Doch das wäre ein schwerwiegender Fehler, der die gesellschaftliche Spaltung verstärken und
wirtschaftlichen Schaden anrichten dürfte. Zumal es bessere
Alternativen gibt.

Einfach und geräuschlos

Drei Argumente werden von den Befürwortern angeführt: Erstens würde eine
Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte sehr schnell erhebliche
Zusatzeinnahmen von jährlich knapp 60 Milliarden Euro bringen (wenn der
reguläre Satz von 19 auf 22 Prozent stiege und der reduzierte von sieben auf zehn
Prozent). Das zweite Argument ist, dass die Mehrwertsteuererhöhung politökonomisch die einfachste Art und Weise ist, den Menschen Geld abzunehmen. Denn Beschäftigte
würden dies nicht auf ihren Gehaltsabrechnungen sehen, sondern nur indirekt auf
dem Kassenzettel im Supermarkt, an der Zapfsäule oder im Einzelhandel. Manche
würden diese Erhöhung kaum wahrnehmen, andere eher dem Gastronomen oder der
Einzelhändlerin die Schuld geben. Eine ähnlich große Erhöhung der
Mehrwertsteuer hatte bereits 2007, unter der ersten Regierung Angela Merkels,
recht geräuschlos funktioniert.

Ein drittes Argument der Befürworter ist, dass sich eine Besteuerung des
Konsums weniger negativ auf die Nachfrage und die Wirtschaftsleistung auswirke
als eine steuerliche Belastung über die Einkommensteuer – da letztere auch das
Arbeitsangebot reduzieren würde.

Umverteilung von Armen zu Reichen

Viel mehr spricht jedoch gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Zum einen wäre es eine höchst unsoziale Politik,
da sie Menschen mit geringen Einkommen stärker belastet als Spitzenverdiener.
Menschen mit geringen Einkommen benötigen häufig jeden einzelnen Euro für ihren
Lebensunterhalt und entrichten einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens
durch die Mehrwertsteuer an den Staat. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer bedeutet
also eine Umverteilung von armen zu reichen und von jungen zu älteren Menschen.
Da Union und SPD sich einig sind, dass ein Teil – knapp 20 Milliarden Euro pro
Jahr – der zusätzlichen Einnahmen für Steuersenkungen für Unternehmen
ausgegeben werden sollen, ist diese Politik zudem eine Umverteilung von Bürgerinnen und Bürgern
zu Unternehmen.

Eine solche Politik ist vor allem ein Schlag ins Gesicht derjenigen mit
geringen und mittleren Einkommen, die in den vergangenen Jahren ohnehin schon stark
gelitten haben. So hat die hohe Inflation seit 2021 Menschen mit geringeren
Einkommen prozentual sehr viel stärker getroffen als Spitzenverdiener. Preise
für Lebensmittel und Energie sind in den letzten drei Jahren durchschnittlich
um über 30 Prozent gestiegen. Und vor allem Mieterinnen und Mieter mit geringen
Einkommen erfahren seit zehn Jahren einen starken Anstieg der Wohnkosten, der in
vielen Fällen die Lohnsteigerungen mehr als auffrisst.

Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist somit riskant, denn
sie dürfte die Stimmen der Populisten stärken, die über einen übergriffigen und
unfairen Staat schimpfen – was unsere Demokratie weiter schwächen dürfte.