
Spitzensportlerinnen fühlen sich oft benachteiligt – sei es bei Anerkennung, Medienpräsenz oder Bezahlung. Wissenschaftliche Studien zeigen: Gleichberechtigung im Sport bleibt ein weiter Weg.
Fast 200 Spitzensportlerinnen äußerten in einer nicht repräsentativen exklusiven SWR-Umfrage das Gefühl, für die gleiche gesellschaftliche Anerkennung mehr leisten zu müssen als ihre männlichen Kollegen.
„Dieses Problem haben wir in vielen Bereichen, wo Frauen etwas leisten oder im Beruf sind. Und im Sport ist es so, dass wir noch mal mehr ein Stück weit für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen müssen, weil der Sport historisch gesehen ein Feld ist, das sich mehr auf Männer und auch auf Männlichkeit ausrichtet“, sagt Sportsoziologin Bettina Rulofs, Leiterin der Abteilung Diversitätsforschung an der Sporthochschule in Köln. Sie betont: „Frauen waren – und sind zum Teil heute auch noch – immer so ein Stück weit das zweite Geschlecht im Sport. Und das macht eben den Spitzensportlerinnen, die in diesem Feld unterwegs sind, durchaus zu schaffen.“
Dass Frauen deutlich mehr leisten können, weil von Anfang an eine ganz andere Erwartung an sie gesetzt werden, sieht auch die Sportwissenschaftlerin und ehemalige Profisportlerin Claudia Reidick so. „Es ist kein reines Sportproblem, sondern ein gesellschaftliches Problem“, sagt sie. Bei ihrer Arbeit mit Profisportlerinnen nimmt sie jedoch auch eine Art Trotzreaktion war: „Die ziehen im Großen und Ganzen eher eine Motivation da raus, jetzt erst recht.“ Aber Reidick betont, aufgrund des hohen Leistungsanspruchs von der Gesellschaft und auch an sich selbst müsse man gut aufpassen, dass diese Frauen nicht ausbrennen.
Sportlerinnen in den tagesaktuellen Medien nach wie vor unterrepräsentiert
Dass sich Frauen im Spitzensport benachteiligt fühlen, ist bei weitem nicht nur eine Wahrnehmung, sondern lässt sich mit Fakten belegen. „Wenn wir auf die mediale Präsenz von Sportlerinnen schauen, dann müssen wir sagen, sie sind ganz klar unterrepräsentiert, vor allem in den tagesaktuellen Medien“, so Rulofs. Viele Studien zeigen, dass der Anteil der Berichte im Sport bei „bis zu 10 Prozent, manchmal 12, wenn es hochkommt 15 Prozent bei den Sportlerinnen liegt“. Es sei daher für die männlichen Kollegen viel einfacher, ausgewählt zu werden und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Das führe wiederum dazu, dass Sportler leichter an Sponsoring-Verträge kommen, was für Sportlerinnen nach wie vor schwieriger ist.
In manchen Sportarten, wie beispielsweise im Fußball, sind die Einkommensunterschiede zwischen dem Männer- und dem Frauenbereich eklatant groß und in manchen anderen Sportarten gibt es ebenfalls einen sehr großen Gender-Pay-Gap im Profisportbereich. Die Studienlage dazu sei nicht besonders gut, betont Rulofs. Dennoch gibt es Studien, gerade auch im semiprofessionellen Bereich, bei denen deutlich wird, dass der Unterschied bei den Gehältern in diesem Bereich nicht so groß ist, wie vermutet wird.
Wird von Sportlerinnen ein anderes Verhalten erwartet als von Männern?
„Wenn man sich über etwas ärgert oder freut, ist man zu emotional. Wenn man sich beschwert, ist man eine ‚Dramaqueen‘. Wenn man sich auf sich selbst fokussiert, ist man eingebildet oder kalt…“ Fans erwarten von Sportlerinnen ein anderes Verhalten als von Sportlern – diese Erfahrung teilt in der Umfrage jede dritte Teilnehmerin. Viele Sportlerinnen äußern das Gefühl, sich weniger emotional zeigen zu dürfen als männliche Kollegen, sich Fans gegenüber netter und nahbarer geben zu müssen oder auch bei höchster sportlicher Leistung noch auf das äußere Erscheinungsbild achten zu müssen.
„Von Männern wird erwartet, dass sie an ihre Grenzen gehen und dass das auch äußerlich sichtbar ist. Frauen sollen auch noch im Endspurt ästhetisch gut aussehen“, schreibt eine Sportlerin. Außerdem sollen Frauen „weniger gequält, weniger verbissen und höflicher sein“. Eine andere Athletin habe auch das Gefühl, dass Frauen beim Training und Wettkampf noch weiblich wirken müssen und „Männer sich so verhalten dürfen wie sie wollen, beispielsweise laut sein, schwitzen oder fluchen“.
Für Prof. Dr. Rulofs liegt es daran, „dass Sportlichkeit und Männlichkeit sehr gut zusammenpassen in unserem gesellschaftlichen Bild von Männern, auch vom Sport. Es ist miteinander verbunden.“ Daher sei es durchaus berechtigt, dass Sportlerinnen ein solches Gefühl bekommen, beispielsweise beim Ziellauf auch noch gut auszusehen und nicht nur Leistung zu bringen. Sie betont aber auch, dass es inzwischen viele junge Athletinnen gibt, „die sich da wirklich nichts mehr vorschreiben lassen, sondern tatsächlich einfach so sind, wie sie sind, und damit auch Aufmerksamkeit bekommen können„.
Die ekelhafte Kehrseite des Sports
Studienlage zu sexuellen Übergriffen: Viele Athletinnen haben das Vertrauen verloren
Fast jede dritte Teilnehmerin (97) berichtete in der anonymen SWR-Umfrage, in ihrem Sport schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, 79 von ihnen verbal, mehr als jede Zehnte (35) körperlich. Die knappe Mehrheit der von verbaler Belästigung Betroffener habe jedoch darauf verzichtet, die verbale Belästigung an Trainer, Verein, Verband oder andere Vertrauenspersonen zu melden (42).
Auch Rulofs forscht zu diesem Thema und sagt: „Die Daten aus unseren Studien zeigen, dass rund 40 Prozent der Frauen in Sportvereinen in Deutschland angeben, schon sexualisierende Gewalterfahrungen gemacht zu haben, die ohne Körperkontakt sind. Also zum Beispiel verbale sexuelle Belästigung oder Belästigung durch digitale Formen. Aber auch 30 Prozent geben an, schon solche sexualisierten Gewalterfahrungen mit Körperkontakt gemacht zu haben.“
In ihren Studien sei auch klar zu sehen gewesen, dass nur wenige Sportlerinnen überhaupt etwas dazu sagen, dass sie also nur wenig Vertrauen haben, sich zu melden, beispielsweise bei ihrem Verein oder Verband. Die meisten Athletinnen „haben den Glauben daran verloren, dass ihnen jemand zur Seite steht“.
Rulofs betont, dass inzwischen viele Verbände sehr gut aufgestellt sind und sich auch kümmern würden. „Ich finde, da hat sich etwas zum Positiven entwickelt. Trotzdem finden wir immer noch Beispiele dafür, dass solche Meldungen im Sande verlaufen und dass die Vereine oder Verbände sich auch schwer damit tun, hart zu sanktionieren.“
Sportwissenschaftlerin Claudia Reidick betont, dass die Kultur des Sports in gewisser Weise auch von einer gewissen Nähe lebt, gerade wenn etwas gewonnen wird und man sich freudig in die Arme fällt. „Diese Körperlichkeit gehört einfach dazu.“
Sie sagt aber auch, dass man diese Kultur ändern müsse, um solche Übergriffe auf Dauer so gut wie möglich zu verhindern. „Das heißt, dass einem Athleten und einer Athletin klar ist, was geht und was nicht geht. Also, dass sie früh aufgeklärt werden, genauso dass Trainer aufgeklärt werden, wo es noch angebracht ist und wo es kein freudiger Jubel mehr ist.“
Sendung am So., 12.10.2025 21:45 Uhr, SWR Sport, SWR