
In der Reihe „Die Pflichtverteidigung“ ergreifen wir das Wort für
Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die von vielen kritisiert und
abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 26/2025.
Bevor wir uns hier
um die Gefahren aus dem Meer kümmern, senden wir Grüße an den bayerischen Brombachsee,
auch an die örtlichen Kräfte der Polizei. In einem sicherlich aufreibenden
Einsatz haben sie dort nämlich einen zwei Meter großen Wels erschossen, weil er
ein paar Badegäste angegriffen und anderweitig belästigt hat. Über seine Motive
ist bisher bestürzend wenig bekannt, aber wir hoffen, dass die Filmrechte
bereits verkauft sind und die Story bald ins Kino kommt, „Der Terror-Wels“, mit
Russell Crowe als innerlich zerrüttetem Ermittler, Cate Blanchett als fränkischer Seelandschaft und Timothée Chalamet als immerzu geheimnisvoll entrücktem Angler
wegen ein wenig jugendfreier Erotik. Und hinterher wird man an den Seeufern
dieser Welt ängstlich Ausschau nach Welsen halten, und niemand geht mehr baden.
Der Wels wäre der neue Hai, worüber der Hai vermutlich nicht besonders traurig
wäre. Er hätte vielleicht seit ziemlich genau 50 Jahren endlich einmal seine
Ruhe. Am 20. Juni 1975 kam Der Weiße Hai ins Kino, und hat seither den
Ruf von Haien schwer beschädigt, Dum-Dum, Dum-Dum und so weiter, und an all dem
ist Steven Spielberg schuld. Fortan waren Haie Fische, die Menschen angeblich
um ihr Stranderlebnis und ihre ozeanischen Gefühle betrügen, Urlauber also von
der zweifelhaften Absicht abhalten, am Meer ganz sie selbst zu sein.
Obwohl die
Kriminalstatistik dahingehend nichts Signifikantes über die Tiere sagt, ist der
Mensch fest entschlossen, den Hai als „Räuber der Meere“ zu betrachten und sie
auch gleich an Land zum Symbol fürs Heimtückische und Verschlagene zu machen.
So meint die Rede vom Kredithai leider keine freundlichen Mitarbeiter einer
Unterwasserbank, bei dem sich solvente Muränen und Einsiedlerkrebse über die
Eigenheimfinanzierung informieren können. Stattdessen meint das Wort den
halbmafiösen Geldverleiher, der seine Brutalos losschickt, wenn‘s mit der
Rückzahlung ein wenig hakt. Und da sich Haie auf keinen
Diskriminierungsparagrafen berufen können, gibt es auch Gruselfilme über Monsterhaie
mit fünf Köpfen und über Tornados, in denen blutrünstige Haie herumfliegen,
jedes Jahr kommt ein neuer Hai-Schocker raus, der die armen Tiere als
Horror-Clown der Meere zeigt. Und wenn ein weißer Hai wie neulich in der
real-existierenden Adria herumschwimmt, ist es Nachrichtenredaktionen eine besorgte
Meldung wert. Ja, aber wo soll er denn sonst wohnen?
Weil Menschen sofort die
Flucht ergreifen, sobald ein Hai sich nähert, konnten Haie ihnen bisher
leider auch nie erklären: Dass es wahrscheinlicher ist, von einem Blitz
frittiert, als von ihnen gebissen zu werden. Dass Delfine viel bösartiger sind
als sie und deren geistiger Hubraum überschätzt ist, und Flipper außerdem reinste
Meeressäugetierpropaganda war (wobei Haie damit sicherlich übertreiben). Dass Haie im Verhältnis zu anderen Fischen sehr
oft freundlich lächeln. Und dass es in Strandnähe ohnehin viel gefährlicher
ist, ein Softeis zu kaufen und sich bunkerbrechenden Durchfall zu holen.
Es
wird ihm vermutlich wenig helfen. Wenn der Mensch sich in der Natur um seinen Spaß
gebracht fühlt, versteht er selbst keinen mehr. Vielleicht sollten sich Haie
darüber lieber mal mit Waschbären, Wölfen und Welsen unterhalten. Sie hätten sich
einiges zu erzählen.