
Die Entdeckungen der drei Forschenden hätten den Grundstein für ein neues Forschungsgebiet gelegt und die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, etwa für Krebs, die Organtransplantation und Autoimmunerkrankungen, vorangetrieben, heißt es in der Begründung des Karolinska-Instituts in Stockholm. Die Preisträger identifizierten Sicherheitsmechanismen des Immunsystems, die regulatorischen T-Zellen, die verhindern, dass andere Immunzellen den Körper angreifen und schädigen. „Wir verstehen jetzt besser, wie das Immunsystem funktioniert und warum nicht jeder von uns eine schwere Autoimmunerkrankung entwickelt“, erklärte Olle Kämpe, Vorsitzender des Nobelkomitees.
Die Weltöffentlichkeit hatte bereits von zwei Preisträgern erfahren, bevor diese wussten, dass sie ausgezeichnet werden. „Wir haben bisher nur Shimon Sakaguchi erreicht, in seinem Labor – die beiden anderen noch nicht“, teilte Thomas Perlmann, der Sekretär und Sprecher des Nobelpreis-Komitees bei der Bekanntgabe am späten Montagvormittag mit. „Wahrscheinlich haben sie ihr Telefon stummgestellt, aber ich habe ihnen gesagt, sie sollen zurückrufen.“

Vermutlich hat es nicht lange gedauert, bis auch Mary Brunkow und Fred Ramsdell erfuhren, dass ihnen gemeinsam mit Sakaguchi die höchste Auszeichnung der Biowissenschaften zuerkannt wurde. Beide sind in den USA tätig, wo es zur Zeit der Bekanntgabe noch früh am Morgen war. Brunkow wurde 1961 geboren und arbeitet in Seattle. Der 1960 geborene Ramsdell arbeitet in San Francisco. Shimon Sakaguchi, 1951 geboren, ist weiterhin an seinem immunologischen Institut der Universität Osaka tätig.
Ist das Foxp3-Gen mutiert, bekommen Mäuse Autoimmunerkrankungen
Die „periphere Immun-Toleranz“ ist ein überlebenswichtiges Prinzip. Schließlich muss das Immunsystem in der Lage sein, permanent eindringende Erreger und Fremdkörper zu attackieren, ohne gleichzeitig körpereigene Zellen und Gewebe anzugreifen. Die drei Preisträger haben entdeckt, wie das Immunsystem so feingranular reguliert wird, dass es den eigenen Organismus von Attacken verschont. Das ist eine heikle Aufgabe, da täglich etliche Keime in den Körper eindringen und manche von ihnen den menschlichen Geweben und Organen so stark ähneln, dass Verwechselungsgefahr besteht.
Brunkow, Ramsdell und Sakaguchi ist es jedoch gelungen, die „regulatorischen T-Zellen“ genauer zu charakterisieren, die als eine Art Sicherheitssystem des Körpers fungieren und dazu beitragen, dass sich andere Zellen des Immunsystems nicht gegen uns selbst richten. Würde dies passieren und das Kontrollsystem versagen, käme es immer wieder zu schweren Autoimmunerkrankungen.
In den 1990er-Jahren hatte Sakaguchi eine neue Klasse von Immunzellen entdeckt, die vor Autoimmunerkrankungen schützen. Zu Beginn der 2000er-Jahre gelang dann Mary Brunkow und Fred Ramsdell im Mausversuch der Nachweis, dass eine Mutation im Foxp3-Gen dazu beiträgt, dass die Tiere an Autoimmunerkrankungen leiden. Bald folgte die Erkenntnis, dass es bei einer Mutation im entsprechenden Gen des Menschen ebenfalls zu schweren Autoimmunkrankheiten wie dem Ipex-Syndrom bei Kindern kommt. Wenig später stellte sich heraus, dass auch die von Sakaguchi zuvor entdeckten Zellen beim Menschen von eben jenen Foxp3-Genen reguliert werden. Inzwischen hat sich die Bezeichnung regulatorische T-Zellen für diese Aufpasserzellen etabliert. Ihnen ist es zu verdanken, dass unser Abwehrsystem die eigenen Organe und Gewebe toleriert.
Der Schutz des Körpers ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass einige T-Zellen der Immunabwehr auch auf einen Teil der körpereigenen Proteine reagieren würden. Regulatorische T-Zellen stellen dann fest, dass es sich bei dem geplanten Angriff um einen Irrtum handelt, und fahren ihn wieder zurück. Das verhindert Autoimmunerkrankungen.
T-Zellen haben spezifische Ausstülpungen an ihrer Oberfläche, die T-Zell-Rezeptoren. Wie ein Scanner überprüfen sie alle körpereigenen Zellen und Gewebe und erkennen sie mit großer Zuverlässigkeit, aber eben nicht hundertprozentig, als körpereigen, während sie Eindringlinge als „fremd“ einstufen und dabei mithelfen, das Abwehrsystem schleunigst dagegen zu mobilisieren.
Während ihrer Reifung im Thymus wird bereits ein Großteil jener T-Zellen aussortiert, die sich sonst gegen den eigenen Körper richten würden; dieses Prinzip ist länger bekannt und wird als „zentrale Toleranz“ bezeichnet. Doch Sakaguchi stellte fest, dass es bei Mäusen, denen der Thymus entfernt wurde, ebenfalls zu einem gewissen Schutz vor Autoimmunerkrankungen kam, nachdem er den Tieren die von ihm zuvor entdeckten Zellen injiziert hatte. Es musste also auch peripher einen Schutz vor der Autoaggression geben, gleichsam eine zweite Sicherungsstufe. Diese besteht aus den regulatorischen T-Zellen, die durch die Oberflächenproteine CD4 und CD25 charakterisiert sind. Brunkow und Ramsdell kamen durch ihre Arbeit mit an Autoimmunleiden erkrankten Mäusen den Genen auf die Spur, die die regulatorischen T-Zellen modulieren. Das fehlende Puzzlestück zum Verständnis der peripheren Toleranz war damit gefunden.
Therapeutisch könnten die Erkenntnisse in der Krebstherapie helfen
„Unser Immunsystem hat diesen tollen Mechanismus, mit dem es wie mit einem Zufallsgenerator Immunzellen ausstatten kann, um alles Mögliche als feindlich zu erkennen, eben auch den eigenen Organismus“, sagt der Immunologe Carsten Watzl von der Universität Dortmund. „Mit der peripheren Toleranz gibt es neben dem Thymus aber noch einen zweiten Sicherungsmechanismus, der im Prinzip das Gleiche macht. Die regulatorischen T-Zellen greifen im Gegensatz zu anderen T-Zellen nichts an, sondern verhindern irregeleitete Attacken.“
Therapeutisch könne dies künftig von großer Bedeutung sein, etwa um bei Krebs regulatorische T-Zellen zu beseitigen, weil sie die Abwehrkräfte ansonsten hemmen würden. Nach Organtransplantationen wäre es laut Watzl hingegen vorstellbar, regulatorische T-Zellen anzuregen, um ungewollte Immunreaktionen zu unterdrücken. „Das alles ist aber noch weit von der klinischen Anwendung entfernt“, so der Immunologe.
Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie hat 2019 an Sakaguchi den deutschen Immunologie-Preis vergeben. „Seine Leistungen sind schon lange in der Fachwelt anerkannt – und er ist ein sehr netter Kollege“, sagt Watzl. „Zudem muss man ihm zugutehalten, dass er die Zellen, die das Immunsystem unterdrücken, weiter erforscht hat. Das war zwischendurch einige Jahre lang verpönt, man hielt es für eine Sackgasse.“
Die Bekanntgabe in der Kategorie Physiologie oder Medizin macht bei der alljährlichen Kür außergewöhnlicher Experten, Literaten und Friedensstifter traditionell den Anfang. In den kommenden Tagen folgen die Verkündungen in den weiteren Kategorien Physik, Chemie, Literatur, Frieden sowie Wirtschaftswissenschaften.
Weitere Preisträger folgen in dieser Woche
Die Nobelpreise gehen auf den schwedischen Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurück. Er veranlasste in seinem Testament, dass mit den Zinsen seines Vermögens Preise für diejenigen finanziert werden sollen, die der Menschheit im jeweils vorangegangenen Jahr in den Kategorien Physik, Chemie, Physiologie/Medizin, Literatur und Frieden den größten Nutzen gebracht haben. Die Auszeichnung in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften kam erst Ende der 1960er-Jahre hinzu. Sie wird von der schwedischen Zentralbank gestiftet.
Im vergangenen Jahr war der Medizin-Nobelpreis an die US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun gegangen. Sie wurden für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung geehrt.
Überreicht werden die Nobelpreise am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel. Dotiert ist die Auszeichnung in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund eine Million Euro) pro Kategorie.