„Maxton Hall“: Noch nie sah England so deutsch aus

Die deutsche Serie Maxton Hall ist unfassbar erfolgreich. Sie spielt in
einem Elite-Internat, es gibt einen reichen, jungen Mann und eine eher ärmere
junge Frau, einen Haufen Intrigen und den großen Wunsch, in Oxford zu
studieren. Maxton Hall ist aber neben seiner Klischeehandlung ein interessantes
Beispiel dafür, wie sich das gesellschaftliche Klima gerade verändert. Die
Serie, deren zweite Staffel gerade erschienen ist, zeigt: Für reaktionäre Politik braucht
es reaktionäres Bewusstsein. Doch was genau hat eine vordergründig unpolitische
Serie wie Maxton Hall damit zu tun?

Antwort 1: Die Industrie schafft das Bewusstsein

Eine Szene irgendwo in Deutschland. Es sitzen ein paar junge Menschen um
einen Tisch und diskutieren über ein Drehbuch, über eine Fernsehserie, über die
Realität in diesem Land und warum sie am besten hinter einem Schleier von
Melodram und Traumwelt verborgen werden sollte. 

Sie unterhalten sich über Männer und Frauen, weil das der Stoff ist, aus
dem Melodramen gemacht sind. Sie unterhalten sich über oben und unten, reich
und arm, weil diese Konflikte immer gut sind, auch wenn man sie nicht ernst
nimmt. Sie unterhalten sich über Sixpacks von Männern und schmachtende Frauen
in Kniestrümpfen.

Es sind sechs Frauen und ein Mann, denn wir befinden uns im sogenannten „Writers Room“ für die deutsche Serie Maxton Hall, deren erste Staffel
ein überraschender Erfolg war – „weltweit“, wie es heißt – und deren zweite
Staffel nun auf Amazon Prime zu sehen ist.

So viel sei verraten: Noch nie sah England so deutsch aus, noch nie hatte
Oxford weniger mit Oxford zu tun, selten wurde Klasse als soziale Kategorie so
affirmativ etabliert. 

Wie kommt es also dazu?

Antwort 2: Es geht schon länger so

In den Fünfzigerjahren, als reaktionäres Denken noch übrig war, weil der
deutsche Faschismus immer noch in den Köpfen und Herzen der Menschen steckte,
hießen die Filme Die Försterliesel oder die Sissi-Serie oder Die
Landärztin
.

Heute, da die AfD bei fast 30 Prozent steht, formulieren unter anderem
Young-Adult-Romane die Grundlagen für ein Gesellschaftsbild, das traditionelle
Geschlechterrollen feiert und sich damit einfügt in rechte Politikentwürfe, wie
sie die Trumpisten genauso propagieren wie reaktionäre Parteien weltweit.

Frauen müssen hier vor allem schön sein und anschmiegsam; sie himmeln
ihren Partner an; und im neuen gesellschaftlichen Ideal des alten oder neuen
Adels (Macht und Reichtum) spiegelt sich die schwache Storyline der Demokratie.

Maxton Hall steht für die Refeudalisierung des deutschen
Fernsehens. Die Serie führt vor, wie dieses Denken in rückwärtsgewandten
Weltsichten, in Klassenstrukturen, in Kategorien von Elite und Reichtum und
Dominanz und Abgrenzung in einem Land in einer Zeit entsteht. 

Wer kommt auf solche Ideen?

Antwort 3: Provinzialisierung ist eine deutsche Tugend

Karl May hat es nicht erfunden, aber für dieses Land perfektioniert: Das
Versprechen anderer Länder und Kulturen, versehen mit der Verkitschung des
Fremden und dem Glanz des Exotismus und komplett von Wirklichkeit befreit.

Maxton Hall fügt sich ein in diese Tradition: Die Serie spielt im gleichnamigen
fiktiven britischen Elite-Internat, das nicht gotisch ist, wie es alte Schulen
oder Universitäten in Großbritannien sind, sondern neugotisch, weil es sich in
Wahrheit um die Sommerresidenz der Könige von Hannover handelt, Schloss
Marienburg.

Weitere angeblich britische Orte in Maxton Hall sind: Die
Nikolaikirche in Potsdam in der Rolle von Oxford, das Potsdamer Museum
Barberini als Gestalt von London, und das Gartenhaus der leider etwas ärmlichen
Ruby Bell (wer kommt auf solche Namen?) steht im Potsdamer Park Neuer Garten.

Soll Maxton Hall ein künstlerisches Manifest der Potsdamer Republik
sein? Oder handelt es sich eher um die typische Mischung aus deutscher
Weltabgewandtheit und Wurstigkeit? Wenn schon die Orte so falsch gewählt sind,
wie soll dann eine Fernsehserie funktionieren, die immerhin doch die großen
Fragen von oben und unten und der Möglichkeit von gesellschaftlichem Aufstieg
verhandeln will? 

Antwort 4: Elite ist nicht das Problem, Elite ist die Lösung

Übersteuertes Werbevideo für Sixpacks, Rolls-Royce und weinrote Blazer: Szene aus der zweiten Staffel von „Maxton Hall“ © Amazon Prime

Die Geschichte, die in Maxton Hall erzählt wird, bizarr zu nennen,
wäre noch zu freundlich. Sie basiert auf der Roman-Serie Save me, Save
you
, Save us der Schriftstellerin Mona
Kasten
,
die mit Anfang 30 schon erstaunliche 17 Werke in ihrer Bibliografie verzeichnen kann.

Es ist eine klassische Boy-meets-Girl-Story, inszeniert als übersteuertes
Werbevideo für Sixpacks, Rolls-Royce und weinrote Blazer, als Feier einer
Dominanz von Reichtum und Privileg, die nur zaghaft konterkariert oder gar
dekonstruiert wird.

Damian Hardung ist der hübsche Super-Erbe James Beaufort (wieder so ein
Name), Harriet Herbig-Matten die hübsche Super-Aufsteigerin Ruby Bell, es gibt
noch ein paar mehr oder weniger eifersüchtige Nebenfiguren, weil Neid und
Angeberei Grundzutaten dieser überzuckerten Mischung sind.

Ruby Bells Ambition ist Oxford, die Ambition von James Beaufort sind
Oxford-Shirts. Mal dürfen sich die beiden lieben, mal nicht. So geht das seinen
einschläfernden Gang, eine Episode schaut aus wie die andere, was sicher auf
ausgetüftelten Befragungen oder KI-gesteuerter Ermittlung von
Zuschauerverhalten beruht. 

Und ja, die dritte Staffel ist bereits beschlossene Sache. Aber was sagt
das über unser Land aus?

Antwort 5: Die Erbengesellschaft schlägt die Meritokratie

„Silver Tsunami“ heißt die Erbschaftswelle, die auf dieses Deutschland
(und andere alternde Demokratien des Westens) zurollt – mehr als 400 Milliarden
Euro

gehen in Deutschland jedes Jahr auf die nächste Generation über, es ist eine
krasse Verschiebung von Reichtum und Macht.

Maxton Hall wirkt dabei wie eine Vorbereitung auf diesen gesellschaftlichen
Schockmoment, der sich auch politisch abbilden wird. Die Serie spielt das
Aufstiegsversprechen durch Leistung, Meritokratie genannt, als Klischee durch
und lässt es etwas ratlos am Rand der Handlung liegen.

Der Rest ist Betäubungsfernsehen: Familienkonflikte werden freudlos
angedeutet, die Geschlechterrollen wirken wie hingezimmert, Liebe ist weniger
ein Gefühl als ein Accessoire. Die Serie etabliert damit eine spezifische
politische Kategorie: den reaktionären Kapitalismus.

Warum also dieser Erfolg?

Antwort 6: Weil sich diese reaktionären Geschichten und die reaktionären Verschiebungen gegenseitig nähren und befeuern

Politische Verschiebungen, heute auch vibe shift genannt, passieren
nicht in einem Vakuum. Das Bewusstsein wird durch die Geschichten geformt, die
entweder das reflektieren, was Realität ist, oder dieser Realität etwas
entgegensetzen, das sie verdecken hilft.

Der Name für diese Art von Geschichten ist Ideologie. Sie bilden eine Welt
ab, die es nicht oder noch nicht gibt. Das Wort ist erst einmal wertfrei. Wie
man zu Ideologien steht, hängt davon ab, wie man zur Welt und Wirklichkeit
steht. 

Die Frage richtet sich also an die Macherinnen und Macher von Maxton
Hall
: Was für ein Land, was für eine Welt wollen sie darstellen?
Auch Unterhaltung hat Verantwortung. Das muss man vielleicht ab und zu sagen.

Die zweite Staffel von „Maxton Hall“ läuft auf Amazon Prime Video.