
Der Landesverband der AfD in Nordrhein-Westfalen hat den Bundestagsabgeordneten
Matthias Helferich aus der Partei ausgeschlossen. Das Urteil fällte das Landesschiedsgericht
auf einer Sitzung am Mittag. Das haben Helferich und Parteikreise gegenüber der ZEIT bestätigt. Der Landesverband selbst wollte sich auf Nachfrage zunächst
nicht äußern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren geht nun
in zweiter Instanz vor das Bundesschiedsgericht.
Der Landesverband hatte bereits im Mai vergangenen Jahres
den Parteiausschluss beantragt und Helferich mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte entzogen. Er wirft Helferich unter anderem vor, in verschiedenen
Social-Media-Posts Menschen mit Migrationshintergrund beleidigt und in ihrer
Menschenwürde verletzt zu haben. Als Beleg führt der Antrag, der der ZEIT
vorliegt, beispielsweise einen Post auf, in dem Migranten pauschal als „Viecher“
bezeichnet werden. Helferich vertrete einen „ethnisch-biologischen“ statt eines
„ethnisch-kulturellen“ Volksbegriffs, heißt es in dem Papier. Wie schon im
Verfahren um die Hochstufung zum rechtsextremen Verdachtsfall am Oberverwaltungsgericht
Münster ist die Partei in diesem sehr heiklen Punkt anscheinend um eine klare Differenzierung
bemüht.
Etwa zweieinhalb Stunden dauerte das Verfahren in der Düsseldorfer
Landesgeschäftsstelle. Wie DIE ZEIT aus Teilnehmerkreisen erfuhr, soll es
zwischenzeitlich hoch hergegangen sein. Nach einem Streit mit einer Richterin soll Helferich des Saales verwiesen und von einem Securitymitarbeiter vor die
Tür gebracht worden sein. Helferich bestätigt den Vorfall. „Das war kein faires
Verfahren, sondern ein reiner Willkürakt“, sagte er. Zu diesem Vorwurf wollte sich der Landesverband zunächst nicht äußern. Zudem spricht Helferich von zahlreichen Verfahrensfehlern. Er gehe deshalb fest davon aus, dass das Bundesschiedsgericht zu einem anderen Ergebnis kommen werde.
Jahrelanger Streit der Lager
Der Parteiausschluss ist der bisherige Höhepunkt eines seit
Jahren erbittert geführten Streits zwischen Helferich und der Spitze des NRW-Landesverbands.
Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete trägt seine radikale Haltung schon lange
Zeit offen zur Schau, sehr zum Ärger mancher Parteifreunde. Auf seinen Social-Media-Kanälen
bewirbt der 36 Jahre alte Jurist etwa eine „millionenfache Remigration“. Er sagt Sätze wie: „Wir
Bürger müssen entscheiden, ob Deutschland zum multi-kulturellen Schlachthaus
verkommt oder unsere Heimat bleibt.“ Er ist Unterstützer des Vereins Ein
Prozent und war Förderer der inzwischen aufgelösten AfD-Jugendorganisation Junge
Alternative. Beide wurden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem
eingestuft. Zudem gilt er als Vertrauter des Thüringer AfD-Landeschefs Björn
Höcke sowie des einflussreichen neurechten Vordenkers und Mitgründers des
mittlerweile aufgelösten Instituts für Staatspolitik, Götz Kubitschek.
NRW-Landeschef Martin Vincentz, entschiedener Gegner Höckes
und seiner Gefolgsleute, wiederum hatte mit dem Versprechen sein Amt übernommen, allzu extremistische Personen in der Partei zu isolieren und – falls erforderlich – über
Parteiausschlussverfahren loszuwerden, und damit seinem Landesverband Mäßigung zu verordnen. Auf seiner Liste stand Helferich ganz oben. Dieser wirft Vincentz im Gegenzug Doppelmoral vor: Er wolle
nur jene radikalen Leute loswerden, die ihn kritisierten. Andere Mitglieder etwa mit teils rechtsextremer Vergangenheit belasse er dagegen in der Partei, solange sie ihn unterstützten
und seinem Machterhalt dienten.
Der Machtkampf spaltet auch den Landesverband. Vincentz‘ Versuche, Helferich aus der Partei zu drängen, waren bisher an dessen Unterstützerblock
gescheitert. Beim Landesparteitag im Februar in Marl wurde er als Beisitzer sogar
erneut in den Landesvorstand gewählt. Bereits Anfang Januar erhielt er dank
Stimmen seines Lagers einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl.
Tatsächlich konnte er wenig später sein Mandat als Bundestagsabgeordneter
verteidigen. Ohne große Debatte wurde er anschließend in die Fraktion aufgenommen,
trotz Parteiverbotsverfahrens und aller Warnungen, die Vincentz zuvor an die Berliner
Parteispitze gesendet hatte. Nach der letzten Bundestagswahl hatte Helferich noch
freiwillig auf seine Fraktionszugehörigkeit verzichtet, nachdem kurz zuvor private
Chats geleakt worden waren, in denen er sich unter anderem als das „freundliche
Gesicht des NS“ bezeichnet hatte. In der Partei hatte er damit für einige
Unruhen gesorgt, einen wie Helferich wollte man zumindest damals noch nicht in
den eigenen Reihen wissen.
Weitere Vorwürfe gegen Helferich
Die Einstellung hat sich offenbar geändert. Wie zu hören
ist, meidet inzwischen auch Parteichefin Alice Weidel die Auseinandersetzung
mit Helferich. Sie hätte das Problem gern schon vor der Wahl erledigt gehabt,
zumal ihr Parteifreund mit zu den Großlieferanten von Belegzitaten im jüngsten
Gutachten des Verfassungsschutzes gehört, das die Partei als gesichert rechtsextrem
einordnet. Die AfD hat dagegen Klage eingereicht. Für zahlreiche Politiker der
demokratischen Mitte ist die jüngste Einstufung des Inlandsgeheimdienstes Grundlage,
sich nun ernsthaft über ein Parteiverbotsverfahren Gedanken zu machen.
Erst kürzlich wurden der an Skandalen nicht gerade armen
Karriere Helferichs weitere Vorwürfe hinzugefügt, die am Samstag nun auch im
Verfahren um den Parteiausschluss Thema gewesen sein sollen. Wieder ging es um
geleakte Privatnachrichten, diesmal aus den Jahren 2014 bis 2016, aus seiner
Zeit bei der Bonner Burschenschaft Frankonia. Die Dokumente hatten zwei
Antifa-Gruppen besorgt und dem Spiegel nach eigener Darstellung zugespielt. Darin soll
er seine Bewunderung für den Nazi-Propaganda-Maler Wolfgang Willrich zum
Ausdruck gebracht haben. An anderer Stelle soll er einem Verbindungsmitglied geschrieben
haben: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“
Die betreffende Mail, so heißt es in dem Beitrag, habe er mit „Heilchen“ begonnen
und mit dem Namen „Matthias“ geschlossen. In einer weiteren Mail soll er das
N-Wort benutzt und Menschen mit dunkler Hautfarbe unterstellt haben, eine „genetische
Disposition zur kriminellen Lebensweise“ zu besitzen.
Auf Anfrage des Magazins schrieb
Helferich, dass ihm die zitierten Mailauszüge nicht bekannt seien. Die Sprachstile
würden nicht dem von ihm verwendeten Sprachduktus ähneln. Ebenfalls sei nicht ausgeschlossen, dass die
Mails im Zuge eines Hacks des Accounts eines „Bundesbruders“ manipuliert worden
sein könnten. Im Gespräch mit der ZEIT bestätigte er die Angaben zu seiner Rechtfertigung. Mit Bezug
auf die Quellen des Spiegel habe er inzwischen Strafanzeige gegen Unbekannt bei der Polizei in Berlin gestellt.
Helferich werden all diese Debatten kaum stören. Er
betrachtet es vielmehr als seine Aufgabe, die Partei vor einer Mäßigung zu
bewahren und – wie er es nennt – „bestimmte Positionen“ zu verteidigen. Allen
voran den Begriff der „Remigration“, der zuletzt fester Bestandteil der AfD-Agenda
war, den die Bundestagsfraktion aber offenbar in Zukunft nicht mehr zu
verwenden gedenkt. Zumindest gehört er nicht zum Sieben-Punkte-Plan mit den zentralen
AfD-Positionen, den die Bundestagsfraktion zum Auftakt ihrer zweitägigen Klausur
an diesem Wochenende beschlossen hat.
Von einem „Anbiedern an die CDU“, das sagte er schon im
Februar in Marl, halte er ohnehin nicht viel. Inzwischen sitzt Helferich für die
AfD im Kulturausschuss des Bundestages. Auch hier will er sich um eine Stärkung
der nationalen Identität kümmern. Kultur müsse einen „positiven Bezug zu
Nation und Volk“ haben, sagte er. Nun muss das Bundesschiedsgericht
entscheiden, ob er diese Haltung künftig weiter im Namen der AfD verbreiten
darf.