
Eins ist klar: Von dem wachsfarbenbunten Wald, in dem Matthew Forsythe jetzt sein drittes in Deutsche übersetztes Werk für Kinder von vier Jahren an spielen lässt, kann man einfach nicht genug bekommen. Dieses Licht, diese Farben, diese Verwunschenheit: Wenn man es nicht den Figuren des amerikanischen Bilderbuchkünstlers – irgendwo liest immer jemand – gleichtun und sich in ein Buch vertiefen will, möchte man es ihnen gleichtun und sofort raus, unter Bäume, über Blätter, auf Lichtungen und an Teiche. Wie Pokko, das Froschmädchen, das von seinen Eltern eine Trommel geschenkt bekommt und hinauskomplimentiert wird, als es im kleinen Pilzhaus einfach zu laut wird. Oder wie die Maus Mina, die vom Vater als Überraschung ein Eichhörnchen mit nach Hause gebracht bekommt, das allerdings nicht nur verdächtig eher wie eine Katze aussieht.

Wie Pokko und Mina sieht sich auch die Heldin von Matthew Forsythes neuem Bilderbuch, „Aggie und der Geist“, unerschrocken mit einem ernsten Problem konfrontiert. Diesmal allerdings haben es ihr nicht die Eltern eingebrockt. Eltern kommen nicht einmal vor in der Geschichte. Überhaupt dreht sich diesmal, wenn man von einem ebenso hochinteressierten wie parteiischen Geisterpublikum beim zentralen Duell des Buchs und von einer weisen Eule absieht, deren Schiedsspruch allerdings unbeachtet bleibt, alles nur um die beiden bereits im Titel genannten Figuren: um Aggie, die sich sehr darauf gefreut hatte, allein in ihrem Häuschen im Wald zu leben, und um das Gespenst, das sie dort bereits erwartet. Ein äußerst anhängliches Gespenst noch dazu. Eines, das außerdem Socken und Schals stiehlt, den ganzen Käse verputzt und dermaßen im Dunklen spukt, dass die arme Aggie vor lauter herumschwebenden Büchern, Blättern, Schemeln und Tassen nicht zum Lesen kommt.
Matthew Forsythe verzichtet dabei auf jede vermittelnde Instanz, wie es etwa Eltern wären. Stattdessen lässt er seine Aggie selbst darauf kommen, wie man sich mit dem zumindest anfangs unliebsamen Mitbewohner arrangiert. Sie versucht es mit einem Klassiker, den jedes Kind vom Umgang mit Geschwistern und Freunden oder aus dem Kindergarten kennt: mit Regeln. Leider ist der Geist, wie er selbst sagt, nicht gut darin, Regeln zu befolgen. Man einigt sich auf eine Partie Tic-Tac-Toe: Wenn er verliert, muss er ausziehen. Nach einem ganzen Tag und einer ganzen Nacht erkennt die Eule ein Unentschieden, doch die beiden sind längst so ins Spiel vertieft, dass sie schließlich vergessen, warum sie überhaupt begonnen hatten: eine Annäherung, aber keine Lösung des Problems.
Der Schlussakkord wird das Bilderbuchpublikum beschäftigen
Die Geschichte ist so schlicht, dass sie nachvollziehbar bleibt auch für ein junges Publikum, aber sie ist nicht flach. Durch einen doppelten Kunstgriff: Zum einen kultiviert Matthew Forsythe in Bild und Wort eine Lakonie, die seine Leser für das weniger Offensichtliche, für Bedeutung unter der Oberfläche empfänglich macht. Hier kommentieren nicht Blitze und Knallfarben das Geschehen, sondern veränderte Schwünge in den Augenbrauen oder Mundwinkeln. Zum anderen traut der Künstler seinem derart sensibilisierten Publikum zu, sich selbst in die Geschichte einzufühlen: Gereiztheit, Traurigkeit und Sympathie müssen nicht benannt werden – sie werden erkannt.
Erst als die Lage eskaliert, als Aggie die Liste der Regeln noch erweitert und der Geist jede einzelne bricht, erst als er das Haus verlässt und sie erkennt, dass sie ihn vermisst, finden die beiden zu einem neuen Miteinander, das kein Gegeneinander mehr ist. Aber auch – ein Schlussakkord, der das Bilderbuchpublikum beschäftigen wird – keine Freundschaft.
Matthew Forsythe: „Aggie und der Geist“. Aus dem Englischen von Rita Fürstenau. Rotopol, Kassel 2025. 68 S., geb., 18,– €. Ab 4 J.
