
Mats Hummels ist jetzt in Rom ganz unten angekommen. Und es fühlt sich sicher nicht gut an. Die Brutalität der Fußballwelt in der italienischen Hauptstadt kennt kaum Grenzen und kaum Mitleid, weshalb der Corriere dello Sport am Montag aus ein paar verstreuten Pfiffen gleich wieder eine Schlagzeile machte: Am Sonntagabend im Stadio Olimpico, im Heimspiel gegen Cagliari, hatte Hummels nicht einmal gespielt. Die Tifosi jedoch sollen laut Ohrenzeugen ihre Missgunst gegenüber Hummels schon beim Warmlaufen und bei den Stadiondurchsagen eindeutig akustisch hinterlegt haben. Sie scheinen ihr Urteil gefällt zu haben, nun, Mitte März: Das Votum fällt negativ aus.
Übereinstimmend wird derzeit in italienischen Medien vom baldigen Ende der kurzen Zeit des Mats Hummels berichtet, der erst seit sechs Monaten in Rom Fußball spielt, auch wenn er in diesem halben Jahr schon mehr Höhen und Tiefen erlebt hat als andere in ihrer gesamten Karriere. Er werde kein Spiel mehr bestreiten, schrieb Tuttosport, die Gazzetta dello Sport attestierte ihm, er habe „alles kaputt gemacht“ und manche Beiträge in den sozialen Medien könnte man in Lexika für italienische Schimpfwörter abdrucken, ein Pfeifen im Stadion wirkt da im Vergleich wie milde Kritik.

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Zurückzuführen ist diese Welle der Kritik auf den vergangenen Donnerstag, der Tatort war das Estadio San Mamés in Bilbao, es lief die elfte Minute. Einen katastrophalen Querpass an der Mittellinie spielte Hummels dort, der auf dem Niveau eines Europa-League-Achtelfinals unbedingt bestraft werden sollte, aber vielleicht nicht mit einer gar so erniedrigenden Kette aus Ereignissen: Hummels grätschte, um zu retten, schlitterte aber in den Gegenspieler hinein. Schiedsrichter Clement Turpin zeigte ihm dafür eine strenge rote Karte, die Roma verlor mit 1:3, schied aus dem Wettbewerb aus. Und Hummels blieb nur ein Bitten um Vergebung: Bei der Mannschaft, bei Instagram, bei den paar verstreuten Anhängern am Flughafen Roms spät in der Nacht, überall entschuldigte sich Hummels. Allein: Die Sorrys und Scusis bekamen weniger Aufmerksamkeit als die Stimmen der Kritiker, die es ohnehin schon zur Genüge gab.
Liebe hat Hummels seit seiner Ankunft in Rom im vergangenen September aus verschiedenen Gründen nur selten zu spüren bekommen. Erst, weil der ganze Verein in eine tiefe Krise stürzte, die damit begann, dass Trainer Daniele De Rossi, der Hummels geholt hatte, umgehend entlassen wurde. Die Krise aber wurde dann im Oktober immer existenzieller, als die Fans gar nicht mehr ins Stadion kamen, sondern frustriert von zuhause aus gegen Vereinsführung und Mannschaft protestierten. Dass der damalige Trainer Ivan Juric komplett auf den Deutschen verzichtete, war eher ein kleiner Nebenschauplatz in einem großen Drama, was allerdings auch für die Umkehrung der Ereignisse galt.
Hummels veröffentlicht einen ironischen Instagram-Post, den Humor lesen die meisten Anhänger aber nicht raus
Claudio Ranieri nämlich, der als so heilig verehrt wird, dass sie in Rom am Ende noch einen Hügel nach ihm benennen könnten, hat das ganze Drama in eine Comeback-Saga umgeschrieben. Sie handelt von einer Mannschaft, die doch Fußball spielen kann und die auf einmal wieder um einen Europacup-Startplatz kämpft, nach zuletzt sechs Siegen nacheinander in der Liga. Dass an diesem Aufstieg auch Hummels entscheidenden Anteil hatte, der in der Mannschaft offenbar sehr beliebt ist, für zwei Monate zum garantierten Stammpersonal zählte und von Ranieri in den Himmel gelobt wurde, verkam allerdings erneut zu einem Nebenschauplatz.
Während die Roma sich aus den Untiefen der Liga hervorspielte, ein Derby gegen Lazio gewann und in der Europa League die Gruppenphase überstand, erarbeitete sich Hummels nicht den Ruf des Abwehrchefs, sondern den eines Urlaubers. In der öffentlichen Wahrnehmung wurden seine Instagram-Posts aufgefasst als die eines Spielers, der seine Zeit in Rom genießt, auch wenn er nicht spielt. „Der Oscar für den längsten Urlaub geht an… “, schrieb er dort Anfang März unter ein Foto vom Tiberufer, kurz zuvor hatte er gegen Venedig nur auf der Bank gesessen. Die Ironie aber lasen die meisten in Rom aus dem Beitrag nicht heraus, die Stadtpresse lief Sturm. Der Römer Ranieri verteidigte ihn zwar noch mit einem öffentlichen Hinweis darauf, dass Hummels nun mal in der schönsten Stadt der Welt zuhause sei und machen könne, was er wolle. Aber in Wahrheit schaffte die Debatte um die Urlaubsfotos und die Ernsthaftigkeit, mit der Hummels sein Sportlerdasein in Rom auslebt, die Basis für sein Scheitern in Bilbao. Man könnte sagen: Erst spielte Hummels einen Fehlpass in den sozialen Medien, dann einen im Stadion.
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„Vielleicht wäre es besser gewesen, im Urlaub zu bleiben“, so steht es nun über den Memes mit dem Foto vom Tiberufer, Hummels Ruf in Rom ist erst einmal ruiniert. Im Unterschied zum Herbst aber gibt es kaum noch Gelegenheit für ihn, wieder zum Helden aufzusteigen: Ein Derby wird noch gespielt, Titel gibt es nicht mehr zu gewinnen, die Erfolge in der Liga werden zu Recht als das Werk des großen Trainers angesehen – der letztlich die Entscheidung treffen wird, ob und wie es mit Hummels weitergehen könnte.
Die Kaderplanung für die kommende Saison liegt in den Händen von Ranieri, der sich im Herbst noch als so großer Fan seines erfahrenen Abwehrspielers gab, dass manche glaubten, aus Hummels in Rom könnte doch noch eine schöne Liebesgeschichte werden. Von Romantik allerdings fehlt nun im März jede Spur, die Pfiffe und Memes sind dafür genauso Zeugnis wie die Zweifel an der fußballerischen Qualität, die auch Ranieri inzwischen äußert. Und Hummels selbst versteckt seine Ungewissheit auch nicht: Auf die Frage nach seiner Zukunft in Rom antwortete er zuletzt mit derselben Phrase, mit der er dem Thema durch all die Höhen und Tiefen der Saison begegnet ist: „Wir werden sehen.“