Markus Söder will die AfD wieder klein machen: „Die Brandmauer steht!“

Herr Ministerpräsident, die AfD legt immer weiter zu. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen hat sie ihr Ergebnis verdreifacht, im Bund liegt sie gleichauf mit der Union. Woran liegt das?

Die AfD ist die größte demokratische Herausforderung unserer Zeit. Sie ist eine rechtsextreme Kaderpartei und zugleich eine Projektionsfläche für Ängste und Sorgen: Bedrohungen von außen, Abstiegsängste von innen, Inflation und Kürzungen im Sozialen. Hinzu kommt massive Einflussnahme im Digitalen, auch aus dem Ausland gesteuert. Es würde aber nichts nützen, die Partei zu verbieten. Wir müssen gute Politik machen, die Sorgen der Menschen ernst nehmen und Lösungen anbieten. Im Kampf um Platz eins in Deutschland muss die Union vorn bleiben.

Es hieß immer, auch von Ihnen: Wenn die Migrationswende geschafft ist, dann kommt auch die Wende in der Wählergunst – aber die bleibt aus.

Wir haben die Wende in der Migrationspolitik vollzogen. Die Zahlen gehen zurück. Aber es dauert, bis das in der Breite des Landes spürbar wird. Die Situation an den Grenzen hat sich verändert, aber noch nicht das Bild in vielen Städten. Gerade im Ruhrgebiet sind die negativen Folgen der Migration täglich sichtbar. Denken Sie an Clan-Kriminalität oder die Gewalt in manchen Freibädern. Grundsätzlich gilt: Wer sich integriert und arbeitet, ist bei uns willkommen. Wer nicht arbeiten will, kann nicht bleiben. Wir brauchen ebenso eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber Straftätern. Es braucht Abschiebungen auch nach Afghanistan – und zwar dauerhaft. Genauso müssen Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn sich die Situation dort geändert hat – so wie damals nach den Balkankriegen. Das gilt für Syrer zum Wiederaufbau des Landes genauso wie für kampffähige Männer aus der Ukraine.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Die Koalition hat den „Herbst der Reformen“ ausgerufen. Was für ein Paket muss bis Weihnachten geschnürt werden, damit Sie zufrieden sind?

Vor allem müssen die beschlossenen Pakete umgesetzt werden. Der Investitionsbooster und die Senkung der Energiekosten sind zentral. Zusätzlich brauchen wir einen günstigen Industriestrompreis und die Senkung der Stromsteuer für alle.

Jetzt doch eine Senkung für alle? Die Koalition ist doch gerade erst zum Ergebnis gekommen, dafür reiche das Geld nicht.

In den kommenden Haushalten gibt es erhebliches Potential zum Sparen und Konsolidieren, etwa durch Änderungen beim Heizgesetz. Das eröffnet dann neue Möglichkeiten.

Wie sieht es mit Sozialreformen aus?

Wir müssen die Kosten im Sozialsystem reduzieren. Das geht im kommunalen Sektor bei der Eingliederungshilfe und der Sozialhilfe los und reicht bis zum Bürgergeld. Wer nicht arbeiten will, obwohl er arbeiten kann, dem sollte das Bürgergeld so weit wie möglich gestrichen werden. Auch bei verpassten Terminen braucht es harte Sanktionen. Und: Die Kontrollen gegen Sozialbetrug müssen strenger werden, indem endlich Transparenz bei den Daten der Sozialhilfe hergestellt wird. Bei Einkommen gibt es über die Steuererklärung auch Kontrollen.

Der Bundespräsident hat gesagt, es sei „schlicht unredlich zu behaupten, in unserem Sozialstaat schlummerten zig Milliarden versteckt, die sich ganz problemlos einsparen lassen“.

Ich respektiere den Bundespräsidenten. Klar ist aber auch: Die Sozialausgaben sind in den letzten 20 Jahren explodiert. Allein das Bürgergeld ist mit 50 Milliarden Euro ähnlich hoch wie der reguläre Verteidigungsetat. Auffällig ist auch, dass die Hälfte der Empfänger keinen deutschen Pass hat.

Fürchten Sie nicht, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen enge Grenzen setzen wird und sich die Leistungen am Ende gar nicht so sehr kürzen lassen?

Die Demokratie darf sich nicht selbst überflüssig machen, indem sie nichts mehr entscheiden kann. Wenn das politische System in sich selbst gefangen ist, besteht die Gefahr, dass das System als Ganzes infrage gestellt wird. Genau das versucht die AfD.

Söder respektiert den Bundespräsidenten, ist aber anderer Meinung.
Söder respektiert den Bundespräsidenten, ist aber anderer Meinung.Thomas Dashuber

Das Kabinett hat beschlossen, den Nachhaltigkeitsfaktor, der die demographische Entwicklung bei der Steigerung der Rente berücksichtigt, für weitere fünf Jahre auszusetzen. Ist das nicht ein völlig falsches Signal im „Herbst der Reformen“?

Lebensleistung muss sich lohnen. Wer immer gearbeitet und eingezahlt hat, der muss mehr haben als jemand, der noch nie einen Euro eingezahlt hat. Deshalb wollen wir nicht an der Rente sparen. Die Mütterrente ist beispielsweise eine Frage der Gerechtigkeit: Es ist verwunderlich, wenn Menschen mit sehr hohen Einkommen herablassend über andere urteilen, die sich ihr Leben lang um die Familie gekümmert haben und nun mit Kleinstrenten leben müssen.

Die Mütterrente soll aus dem Sondervermögen für Investitionen finanziert werden. Das hat zuletzt etwa das Institut der Deutschen Wirtschaft kritisiert. War das nicht anders gedacht?

Der Finanzminister organisiert die Finanzströme.

Jens Spahn hat kürzlich Heidi Reichinnek von der Linken zugestimmt, dass die Vermögensverteilung in Deutschland ungerecht sei. Sind Sie derselben Meinung? Und was könnte das für anstehende Reformen heißen?

Wir müssen zwischen Ungerechtigkeit und Neid unterscheiden. Steuererhöhungen sind jedenfalls der falsche Weg. Beispiel Erbschaftsteuer: Das ist eine reine Neidsteuer. Sie umfasst ungefähr ein Prozent des gesamten Steueraufkommens, und dieses eine Prozent kommt überwiegend aus Bayern. Es ist Vermögen, das Menschen ihr Leben lang erarbeitet und mit der Einkommensteuer schon einmal versteuert haben. Dass Linke darüber entscheiden wollen, wie diese Lebensleistung neu verteilt wird, ist eine typische sozialistische Phantasie.

Das Vermögen in Deutschland ist also nicht ungerecht verteilt?

Die Verteilung ist in Deutschland mit die gerechteste in der Welt. Jeder muss wissen: Wenn wir Steuern massiv erhöhen, fließt das Kapital in einer globalen Gesellschaft ins Ausland ab. Höhere Steuersätze führen auf Dauer immer zu weniger Steuereinnahmen. Das wird die CSU verhindern.

Hat die SPD in ihrer aktuellen Verfassung die Kraft zu grundlegenden Reformen des Sozialstaats? Stichwort Bärbel Bas und Bullshit.

Bei der Kommunalwahl in NRW wurde deutlich, dass die SPD zunehmend ihre klassische Arbeitnehmer-Wählerschaft an die AfD verliert. Die SPD hat das erkannt und ist veränderungsbereit.

Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber hat Ihrer Partei geraten, sich wieder mit den Grünen zu vertragen. Mit denen täte man sich in Berlin leichter mit Sozialreformen.

Ich freue mich, dass er gesund und munter ist.

Sehen Sie die Grünen, jetzt, wo Robert Habeck weg ist, eher als Partner oder als Konkurrent?

Die Grünen sind auf dem absteigenden Ast. Im Kampf mit ihren schlechten Ergebnissen bewegen sie sich immer weiter nach links. Außerdem werden sie aggressiver und verlieren ihren Stil. Sie haben sich aus dem bürgerlichen Lager weitgehend verabschiedet.

Die Grünen haben in Nordrhein-Westfalen gut sechs Prozentpunkte verloren, die CSU in der jüngsten Forsa-Umfrage nur unwesentlich weniger: genau sechs.

Die CSU steht national von allen demokratischen Parteien am besten da. Die Grünen verlieren dagegen seit Jahren fast überall. Im Osten sind sie kaum noch existent. Ihr Selbstbewusstsein wird nicht durch Wahlergebnisse gedeckt.

Was meinen Sie mit grünem Stilverlust? Habecks Vorwurf, Sie betrieben „fetischhaftes Wurstgefresse“?

Die persönlichen Angriffe werden immer extremer. Leider gab es keine einzige Stimme von der grünen Führung, die den Begriff „Hundesohn“ der Vorsitzenden der Grünen Jugend relativiert, zurückgewiesen oder sich gar dafür entschuldigt hätte.

Wenn die Grünen so out sind, wie Sie sagen, warum arbeiten Sie sich nach wie vor an Ihnen ab?

Diesen Eindruck teile ich nicht. Wir reden in erster Linie über die AfD.

Na ja, neulich im Bierzelt auf dem Gillamoos ging es schon viel um Würste und „Tofu-Terror“. 2021 riet ihr damaliger Generalsekretär Markus Blume der CSU: „Finger weg von den Identitätsthemen“ – die führten „zu wenig ertragreichen Debatten“.

Das ist vier Jahre her. Die Welt verändert sich und mit ihr die Themen. Im Zeitalter von Social Media sind Identitätsthemen für viele Menschen sehr wichtig. Daneben gibt es viele weitere Themen. All das bildet dann politische Heimat.

Ein Thema, das Sie immer wieder ansprechen, ist der Fleischkonsum. Es gibt genügend Studien, wonach weniger Fleisch diverse Probleme auf der Welt zumindest abmildern würde, die Erderwärmung voran. Warum pochen Sie beim Fleischkonsum auf die individuelle Freiheit – beim Impfen haben Sie deren Beschränkung mit dem Gemeinwohl entschuldigt?

Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Der Impfstoff war die konkrete Lösung, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Das Weltklima wird dagegen nicht unmittelbar vom Verzehr von Nürnberger Rostbratwürsten beeinflusst. Das sind größere Linien. Natürlich ist es gut, sich ausgewogen zu ernähren. Auch ich mache das und habe sogar abgenommen. Aber das ist nicht der Punkt.

Es geht um die Wucht, wie Alltagsthemen moralisch aufgeladen werden. Wer nicht ins eigene Weltbild passt, wird „gecancelt“. Nehmen Sie den Fall Julia Ruhs beim NDR: Hier wird eine Journalistin vom eigenen Sender kaltgestellt, weil sie eine andere Meinung vertritt. Auch solch ein Vorgehen stärkt die AfD. Konservative Stimmen müssen zum demokratischen Meinungsspektrum gehören dürfen. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte für Meinungsfreiheit und Pluralität stehen. Zum Glück gibt es den Bayerischen Rundfunk, der zu Julia Ruhs steht.

Apropos AfD: Es gibt schon auch Leute in Ihrer Partei, die sich da eine Zusammenarbeit vorstellen können. Sie auch?

Nein. Die Funktionäre der AfD rücken immer weiter nach rechts. Bei uns im Landtag hält die AfD-Fraktionsvorsitzende Reden mit einem Duktus, der an dunkelste Zeiten erinnert. Die AfD will raus aus der NATO, raus dem Euro und raus aus der EU. Die AfD würde uns an Russland ausliefern, und die AfD will unsere Demokratie zerstören. Die Union ist der einzige echte Schutzwall gegen die AfD. Deshalb: Die Brandmauer steht!

Söder bleibt dabei: Die Brandmauer steht.
Söder bleibt dabei: Die Brandmauer steht.Thomas Dashuber

Haben Sie nicht selbst schon Hand an die Brandmauer gelegt, als Sie dem rechtspopulistischen Portal Nius ein Interview gaben?

Quatsch. Wir werden Wähler nur zurückgewinnen, wenn wir unsere Politik besser erklären. Es gehört zur demokratischen Aufgabe, auch Skeptiker und Zweifler anzusprechen. Der größte Fehler wäre, nicht mehr miteinander zu sprechen oder andere nur zu belehren.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sagte, Nius und die linke „taz“ seien sich in ihren Methoden „nicht so sehr unähnlich“. Sehen Sie das auch so?

Ich kann nur für mich sprechen. Nur wer erklärt und kommuniziert, kann politische Überzeugungsarbeit leisten.

Sie sind auf Social Media sehr aktiv. Zu einem der meistdebattierten Themen der vergangenen Tage, der Ermordung Charlie Kirks, haben Sie geschwiegen. Warum?

Mord ist immer unerträglich – wie jede Form von Gewalt. Man kann auch betroffen sein, ohne sich dazu zu äußern. Deshalb finde ich es auch verstörend, wenn Frau Reichinnek in der Sendung „Miosga“ eiskalt dazu antwortet.

Zuletzt sind russische Drohnen in NATO-Gebiet vorgedrungen. Putin scheint das Bündnis zu testen. Was muss die Antwort sein?

Entschlossenheit. Wir müssen den Ausbau unserer eigenen Sicherheitskapazitäten so schnell wie möglich beschleunigen. Dazu gehört für die Bundeswehr eine eigene Drohnenarmee, ein Raketenschutzschirm und langfristig auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Für wie konkret halten Sie die Gefahr durch Russland?

Russland wäre wohl im Moment nicht in der Lage, die NATO militärisch zu besiegen. Allerdings wächst die Gefahr jeden Tag. Im Moment geht es Moskau vorrangig darum, die NATO zu destabilisieren und in der Bevölkerung für Angst zu sorgen. Die AfD ist dabei ein zentraler Helfer. Sie ist eine Vorfeldorganisation von Putin in Europa.

Sie sagten neulich, es sei kaum vorstellbar, dass NATO-Truppen in der Ukra­ine stationiert werden. Das würde Russland „keinesfalls akzeptieren“. Außerdem sei die Bundeswehr dafür nicht bereit. Heißt das, Sie sind grundsätzlich dagegen, dass sich deutsche Soldaten an einer europäischen Mission zur Friedenssicherung beteiligen?

Europa wäre ohne Amerika nicht in der Lage, einen Waffenstillstand oder Frieden zu gewährleisten. Besser ist es, die ukrainische Armee durch Material und Geld in die Lage zu versetzen, Russland zu ermüden und Putin zu Verhandlungen zu bewegen. Russland wird dabei keinen Kompromiss akzeptieren, der NATO-Soldaten in der Ukraine beinhaltet. Deshalb stellt sich die Frage einer deutschen Beteiligung nicht.

Das sieht der Kanzler anders, auch Ursula von der Leyen, auch Manfred Weber.

Friedrich Merz ist der vielleicht größte Versteher von Donald Trump, ohne dass er ihm nach dem Mund redet. Er kann mit ihm. Das ist ein Segen für unser Land und für Europa. Ob aber am Ende das herauskommt, was wir uns wünschen? Wir werden sehen.

Die Franzosen und die Engländer stünden bereit für eine Friedensmission. Soll Deutschland sie im Regen stehen lassen?

Noch mal: Diese Frage stellt sich nicht.

In noch einer Sache sind Sie anderer Auffassung als Merz: Sie würden Israel weiter auch solche Waffen liefern, die in Gaza eingesetzt werden können. Hat sich an dieser Haltung nach dem Einmarsch in Gaza-Stadt etwas geändert?

Für Bayern und die CSU ist klar: Wir stehen an der Seite Israels. Dazu gehört auch das Äußern von Kritik. Das wird in Israel selbst ebenfalls getan. Natürlich sind wir für eine bessere humanitäre Situation in Gaza. Auf Dauer kann es nur eine gemeinsame und friedliche Lösung geben. Die Wahrheit ist aber: Wenn die Hamas morgen die Waffen abgibt, die Geiseln freilässt und den Staat Israel anerkennt, ist Frieden. Würde hingegen Israel morgen die Waffen abgeben, gibt es ein neues Massaker. Israel ist bis heute in seiner Existenz bedroht. Wir stehen klar zur einzigen stabilen Demokratie im Nahen Osten. Wir sind in Freundschaft verbunden. Auch die EU-Kommission sollte das endlich erkennen. Sanktionen gegen Israel sind grundlegend falsch. Wir als CSU werden das in Deutschland nicht akzeptieren.