Will sich eine Bild-Kollegin etwas antun? In großer Sorge wendet sich eine Journalistin an Chefredakteurin Marion Horn. Was sie aus dem Gespräch schildert, passt so gar nicht zu Springers angeblichen Kulturwandel. Eine Recherche, die der Konzern gern verhindert hätte.
Von Anna Ernst und Marvin Schade
Es war ein Montagabend Anfang September, als ihr Handy klingelte. Das ging schnell, dachte Julia Meier*. Nicht einmal eine halbe Stunde zuvor hatte die Journalistin eine sorgenvolle E-Mail abgeschickt, in der sie um das Gespräch mit einer der mächtigsten Frauen der deutsche Medienbranche bat.
„Sehr geehrte Marion Horn”, schrieb Julia Meier der Bild-Chefredakteurin um kurz vor 19 Uhr. „Ich hoffe, Sie gestatten mir, mich in einer äußerst dringenden und brisanten Angelegenheit direkt an Sie zu wenden.” Es gehe ihr um „die aktuellen, mutmaßlichen Geschehnisse in Ihrem Haus, die äußerst beunruhigend sind”. Etwas Vergleichbares habe sie in ihrer gesamten beruflichen Laufbahn noch nie erlebt, schrieb Meier, deshalb suche sie nun das vertrauliche Gespräch.
Die Geschehnisse, die Julia Meier vor dem Telefonat schon vage angedeutet hat, sind in der Tat schwierig. Sie handeln von Stress, Druck, Depressionen, diffusen Ängsten vor einer Führungskraft und suizidalen Gedanken einer Bild-Redakteurin am Arbeitsplatz.
Axel Springer und die Anwälte des Konzerns hätten diesen Artikel gerne verhindert. Medieninsider hat sich trotzdem dazu entschlossen, diese Geschichte zu veröffentlichen.
Denn es geht um einen außergewöhnlichen Vorgang in Deutschlands größter und einflussreichster Boulevardzeitung. Und es geht um die Frage: Wie weit ist es her mit der angeblichen „Kultur des Respekts“, die Marion Horn und Axel Springer als Antwort auf die Krisenjahre unter Julian Reichelt ausgerufen hatten?