Marcel Reif: „Die Bayern sind Müller eine Menge schuldig“ 

AZ: Herr Reif, Thomas Müllers Zeit als aktiver Spieler beim FC Bayern endet nach der Klub-WM, mehrere Klubs aus den USA und Europa, etwa Florenz, haben Interesse an ihm signalisiert. Wo sehen wir Müller in der kommenden Saison – oder macht er doch ganz Schluss?

Müller hätte in den USA die Chance, „die Welt noch mal anders zu sehen“

MARCEL REIF: Ich glaube, dass Thomas Müller sehr genau in sich hineinhört und abwartet, wie die Klub-WM für ihn läuft. Hoffentlich bekommt er bei dem Turnier Spielzeit, damit er wirklich testen kann, wie gut er unter ernsthaften Wettkampfbedingungen noch ist. Müller hat zuletzt zu wenig gespielt bei Bayern, um sicher zu sein, wie viel er noch leisten kann. Von einem Klub wie Florenz verlangt niemand die italienische Meisterschaft, vielleicht wäre das eine gute Geschichte für ihn.

Und die USA?
In den USA hätte Müller die Chance, die Welt noch mal anders zu sehen. Aber will der Ur-Bayer das auch? Ist es das, was ihn reizt? Ich denke, dass es bei Müller auf viele weiche Faktoren ankommt. Generell ist mein Gefühl: Er hat noch ein Jahr im Tank. Franz Beckenbauer hat immer gesagt: „Um Himmels Willen, spiel‘ solang du kannst! Denn das ist die schönste Zeit.“

TV-Legende Marcel Reif sieht ein großes Loch, das Thomas Müller beim FC Bayern hinterlässt.
TV-Legende Marcel Reif sieht ein großes Loch, das Thomas Müller beim FC Bayern hinterlässt.
© IMAGO
TV-Legende Marcel Reif sieht ein großes Loch, das Thomas Müller beim FC Bayern hinterlässt.

von IMAGO

„}“>

Reif: „Müller wird auch auf dem Platz fehlen“

War es aus sportlicher Sicht die richtige Bayern-Entscheidung, sich von Müller zu trennen?
Es ist okay, dass es beim FC Bayern für Müller zu Ende geht. Das hat er wohl auch selbst eingesehen. Uli Hoeneß hat recht mit seiner Einschätzung, dass ein großer Spieler wie Müller nicht ständig auf der Bank sitzen sollte. Ich glaube Uli, dass das durchaus auch ein väterlicher Rat von ihm war und er Müller nicht einfach rauswerfen wollte. Und ein Trainer wie Vincent Kompany hat das Recht, zu sagen, dass er nicht mehr auf den Spieler Müller setzt. In jedem Spiel der kommenden Saison wären ja die Kameras auf Müller geschwenkt und die Fragen gekommen: Warum spielt Müller wieder nicht? Ist das ein schönes Karriereende? Ich glaube nicht.

Inwiefern wird Müller vor allem abseits des Platzes als Kommunikator und Außenminister des Klubs fehlen?
Müller wird auch auf dem Platz fehlen mit allem, was er konnte. Jamal Musiala, hochgelobt, muss noch ein paar Runden drehen, bis er diesen verlässlichen Einfluss aufs Spiel des FC Bayern hat. Louis van Gaal hat gesagt: „Müller spielt immer!“ Und der wusste, was er tat. Van Gaal wollte nicht den Außenminister auf dem Platz haben, sondern den in seiner Art unverzichtbaren Fußballer Müller. Aber klar: Auch außerhalb des Platzes wird Müller extrem fehlen. Da hatten die Bayern zuletzt ohnehin Probleme.

Helden unter sich: Thomas Müller mit Goofy und Micky Maus.
Helden unter sich: Thomas Müller mit Goofy und Micky Maus.
© dpa
Helden unter sich: Thomas Müller mit Goofy und Micky Maus.

von dpa

„}“>

„Große Klubs sollten Kommunikatoren haben“

Welche genau?
Die Außendarstellung war nicht gut. Es gilt immer, Entscheidungen zu treffen und diese dann auch zu kommunizieren. Und wer konnte das besser als Müller? Dass er das nach seinem beschlossenen Aus selbst gemacht in der Öffentlichkeit, hat Bayern extrem geholfen. Damit hat er dem Klub den größten Dienst erwiesen. Dass er sein eigenes sportliches Ende so wegmoderiert hat gegen alles, was die Verantwortlichen versemmelt hatten, von Uli Hoeneß bis Max Eberl – diese Kuh hat Müller vom Eis geholt. Allein dafür sind die Bayern Müller eine Menge schuldig.

Müller hat sich den Medien immer gestellt in kritischen Phasen und für den Klub gesprochen, während sich andere Stars oft weggeschlichen haben. Wie groß ist die Lücke, die Müller in dieser Hinsicht reißt?
Einfach wortlos durch die Mixed Zone gehen, ohne etwas zu sagen, das kann jeder. Aber das ist nicht der FC Bayern und entspricht auch nicht den heutigen Verhältnissen. Es ist Teil des Deals, dass die Klubs vor und nach dem Spiel auch Gesprächspartner zur Verfügung stellen. Und große Klubs sollten große Kommunikatoren haben. Natürlich reißt Müller da eine große Lücke. Und jetzt wird Joshua Kimmich, der offenbar beschlossen hat, das zu machen, an Müller gemessen.

Könnte der neue Kommunikator des FC Bayern werden: Joshua Kimmich.
Könnte der neue Kommunikator des FC Bayern werden: Joshua Kimmich.
© IMAGO
Könnte der neue Kommunikator des FC Bayern werden: Joshua Kimmich.

von IMAGO

„}“>

Reif lobt Kompany für seine Kommunikation

Sehen Sie sonst noch Spieler, die als Kommunikatoren infrage kommen? Kapitän Manuel Neuer?
Nein, Neuer ist auf Abschiedstour. Es läuft auf Kimmich hinaus. Müller war der Kapitän ohne Binde. Und den brauchst du jetzt auch in der Zeit danach. Einen, der sich auch mal wehrt, der den Medien Kontra gibt. Es geht um die Phasen, wenn der Klub von außen richtig angebellt wird. Wenn der Wind weht, brauchst du starke Anführer. Müller hat in dieser Hinsicht viele Dinge gut geregelt. Aktuell haben sie mit Vincent Kompany einen Trainer, der es kommunikativ sehr gut macht. Und jetzt brauchen sie noch einen Spieler, der Müllers Part übernimmt.

Ist Müllers Weg in die Führungsetage des FC Bayern vorgezeichnet – trotz des Wirbels um seinen Abschied?
Da wird nichts hängenbleiben. Müller hat die Entscheidung geschluckt. Und der FC Bayern wäre ja ohne Verstand, wenn er dieses Gottesgeschenk Müller nicht annehmen würde. Bayern sucht seit Jahren Figuren, die den Klub in die Zukunft führen. Das hat bislang nicht wirklich funktioniert. Bei Müller sind es keine romantischen Überlegungen. Er kann es – davon bin ich überzeugt.

„Irgendwann muss man loslassen“

Würden sich die Aufsichtsräte Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge dann komplett zurückziehen?
Das ist die Königsdisziplin: Wenn sie es nicht tun, wird es Müller nicht machen. Rummenigge agiert clever, er ist Berater im Hintergrund. Aber es kann doch nicht sein, dass auf alles, was einer sagt, der Stempel vom Tegernsee draufkommen muss. Das würde Müller nicht mitmachen – und das ergibt auch keinen Sinn. Irgendwann muss man loslassen. Wenn Dinge nicht gut laufen, verstehe ich, wenn jemand sein Lebenswerk gefährdet sieht. Aber vielleicht kommt mit Müller einer, bei dem Uli Hoeneß sagt: Jetzt kann ich mich entspannen. Und dann ist es gut. Die Chance sehe ich als sehr gut gegeben.