
Ein Mann mit grau meliertem Haar und dunklem Hemd legt seine Uhr ab. Sicher ist sicher. Dann taucht er beide Arme langsam fast vollständig in das Becken vor seiner Nase ein. Er atmet durch, hebt dann leicht den Kopf und sagt: „Da fühlt man sich fünf Jahre jünger.“ Ein Mann gegenüber nickt und meint lächelnd: „Fast wie ein kühles Bier.“ Etwa eine halbe Minute halten sie ihre Arme in das naturkalte Wasser der Kneipp-Anlage unweit der Burg. Anschließend reiben sie sich mit den Händen über die nasse Haut und lassen die Arme in Ruhe an der Luft trocknen. Pater Sebastian Kneipp selig, der Verfechter der Kaltwassertherapie, wäre wohl stolz auf sie. Denn die beiden Männer halten sich nahezu penibel an die Empfehlung, wie jemand solches Tauchbad machen sollte.
Derweil stehen schon die nächsten Besucher des Hessentags bereit, um sich gratis abzukühlen. Eine Frau mittleren Alters macht es wie die beiden Männer und ruft ihrer Begleiterin zu: „Das ist herrlich, Heike.“ Eine andere Frau schaut zu und sagt dann: „Am Freitag hatte ich dabei meine Uhr um.“ Ob sie nun eine neue habe, fragt ein anderer Kneippier augenzwinkernd. Beide lachen.
An der Kneipp-Anlage treffen sich nahezu alle Generationen
Nebenan krempeln Kinder, Frauen und Männer ihre Hosen hoch. Manche ziehen sie ganz aus. Sie haben sich augenscheinlich bewusst auf diese Erfrischung vorbereitet und die Badehose oder den Badeanzug angezogen. Eine Frau in den Dreißigern juchzt, während sie die ersten Schritte durch das Wassertretbecken geht. „Schon geil“, entfährt es ihrer Bekannten an ihrer Seite. Einem Mann mit Hut im Rentenalter scheint das Wasser zu kalt zu sein, nach ein paar Schritten kehrt er um. Doch die meisten Gäste im Wasser zeigen sich von der Kälte unbeeindruckt und waten staksend im Storchengang durch das Becken.
An der Kneipp-Anlage treffen sich nahezu alle Generationen, wobei an diesem Werktag seit dem Morgen besonders Kindergartengruppen, Schulklassen und Rentner die Szenerie prägen. Von der Wassertretschleife für die Größeren liegt durch ein Geländer nebst Zaun abgegrenzt das Becken für die mehr oder weniger Kleinen. Auf die Weise können sie ihre Zehenspitzen ins Wasser stippen und sich im Kneippen üben ohne Angst, im Zweifel auszurutschen und mit dem Kopf unter Wasser zu geraten. Mithin ist an diesem Ort auch an die Sicherheit der Besucher gedacht und nicht nur an ihre Gesundheit.
Die Übungen regulieren den Blutdruck
Wie gesund Kneippen ist, davon künden zwei im Boden verankerte, mehr als mannshohe Informationstafeln. Das Kneipp-Bäder-Dreieick Wetterau mit Bad Nauheim, Bad Salzhausen und Bad Vilbel hat sie gemeinsam mit dem örtlichen Kneipp-Verein aufgestellt, unterstützt von der Europäischen Union, wie das EU-Logo am Fuß der Tafeln nahelegt. Auf ihnen heißt es: „Wassertreten und Armbäder beleben die Sinne und fördern die Durchblutung.“ Sie stärkten Herz und Kreislauf und aktivierten die Abwehrkräfte. Wer zu niedrigen oder zu hohen Blutdruck hat, ist demnach an der Anlage auch richtig. Denn die Übungen regulierten den Blutdruck.
Allerdings sollten die Gäste ein paar Regeln beachten: „Armbad oder Fußbad niemals mit kalten Händen oder Füßen beginnen“, lautet eine Mahnung. Die für solche Fälle empfohlene Gymnastik dürfte jedoch in Anbracht der Temperaturen während des Hessentags höchstselten nötig sein. Zumal die Sonne die Haut wärmt. Genau deshalb suchen augenscheinlich viele Gäste die Kneipp-Anlage auch auf.
Andere kühlen sich lieber ein paar Schritte weiter unter den Bäumen am Ufer der träge dahinfließenden Nidda. Ein Mann macht es an diesem Tag auf seine Weise: Er trinkt Cola-Whisky aus einer Dose. Ist ja schon nach Mittag.