Makula-Degeneration: „Meilenstein in der Behandlung“ – winziges Implantat lässt Blinde wieder sehen

Die altersbedingte Makula-Degeneration zählt zu den häufigsten Augenkrankheiten in Deutschland. Die trockene Form galt bisher als unheilbar. Ein neuartiges Netzhaut-Implantat liefert nun erstaunliche Behandlungserfolge.

Es ist eine Angst, die bei vielen Menschen mit dem Alter größer wird: Zahlen, Buchstaben, Gesichter, alles verschwindet langsam hinter einem grauen Fleck im Sichtfeld, bis die Augen kaum noch etwas wahrnehmen können. Die altersbedingte Makula-Degeneration (AMD) führt bei älteren Menschen zu einem dramatischen Verlust der Sehkraft.

Für Patienten mit geographischer Atrophie, einer schweren Spätform von AMD, eröffnet sich nun womöglich eine neue Perspektive für die bislang als unheilbar geltende Augenkrankheit, die weltweit Millionen älterer Menschen betrifft.

Ein winziges Implantat, das ins Auge eingesetzt wird, lässt selbst Menschen mit schwerer Sehbehinderung wieder sehen. Mediziner beobachteten im Rahmen einer klinischen Studie am Moorfields Eye Hospital in London deutliche Verbesserungen bei den Probanden. Die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlichten sie im „New England Journal of Medicine“.

Bei der altersbedingten Makula-Degeneration sterben die für die Umwandlung des Lichts in elektrische Impulse verantwortlichen Zellen der Netzhaut ab. Sie ist eine der häufigsten Ursachen für schwere Sehbeeinträchtigungen bei Menschen über 50 Jahren.

Es gibt zwei Formen: Die langsam fortschreitende trockene AMD und die feuchte AMD, die schneller zu Sehverlust führen kann, aber unter anderem mittels einer Injektionsbehandlung therapiert werden kann. Das nun getestete Implantat ist für Menschen mit fortgeschrittener trockener AMD und Verlust des zentralen Sehens geeignet.

Insgesamt nahmen 38 Patienten an 17 Kliniken in fünf Ländern an der Untersuchung teil; die Teilnehmer litten an einem fortgeschrittenen Sehverlust durch AMD. „Diese Patienten waren blind für Gesichter, Buchstaben, ihre Umwelt. Jetzt können sie ihr Sehvermögen wieder nutzen“, erklärte Mahi Muquit, leitender Augenchirurg an der Moorfields-Klinik.

Muqit und seine Kollegen setzten den Probanden einen Chip – klein wie ein Reiskorn – ein, der ursprünglich auf Forschungen der Stanford University in den USA basiert. Das nur zwei mal zwei Millimeter kleine und 30 Mikrometer dünne Implantat wurde den Patienten bei einem mikrochirurgischen Eingriff unter die Netzhaut gesetzt und ersetzte fortan die Funktion der degenerierten Photorezeptoren. Die Eingriffe dauerten jeweils weniger als zwei Stunden, so die Mediziner.

Das drahtlose Implantat wurde mit der Videokamera einer Augmented-Reality-Brille verbunden. Diese sendet Infrarot-Signale an den Chip, der gesunde Nervenzellen in der Netzhaut aktiviert. Über den Sehnerv wird das Signal anschließend als Bild an das Gehirn weitergeleitet. Nach dem Eingriff folgte für die Teilnehmer eine monatelange Phase des Sehtrainings.

Die Ergebnisse sind bemerkenswert: mehr als 80 Prozent der Teilnehmer wiesen laut der Forscher deutliche Verbesserungen der Sehschärfe auf. Mehr als 84 Prozent konnten nach der Implantation wieder Buchstaben und Zahlen erkennen. „Während bisherige Therapien meist nur das Fortschreiten der Erkrankung bremsen, erlaubt dieser Ansatz erstmals eine partielle Wiederherstellung des Sehens – ein echter Paradigmenwechsel“, sagte Netzhautchirurg Muquit.

„Diese Ergebnisse markieren einen Meilenstein in der Behandlung der geographischen Atrophie. Erstmals gelingt es, zentrale Sehfunktionen bei fortgeschrittener AMD teilweise zurückzugewinnen“, erklärte der Erstautor der Studie, Prof. Frank Holz. Der Netzhautchirurg und Direktor der Augenklinik der Universitätsklinik Bonn betonte, dass sich für viele Betroffene eröffnet eine „neue Perspektive“ eröffne.

Ein unabhängiges Datenüberwachungskomitee sprach sich für eine Zulassung der Technologie auf dem europäischen Markt aus. Die Forscher arbeiten an weiteren Verbesserungen von Bildverarbeitung und Tragekomfort.

rc