Luftnot im See: Klimawandel gefährdet Fische – Wissen

Der Stichling lässt sich in kühlem Wasser nicht so leicht beeindrucken. In aller Seelenruhe schwimmt er in einer Röhre in den Bereich hinein, in dem weniger als drei Milligramm pro Liter Sauerstoff im Wasser gelöst sind. Nur gelegentlich sieht es so aus, als würde er husten. Mit der Zeit nehmen diese ruckartigen Atembewegungen aber zu. Nach einer bis drei Minuten werden die Bewegungen hektisch, willkürlich – ehe sie den Fisch zurück ins sauerstoffreiche Wasser führen. Dort verfällt er umgehend in eine Starre, um sich von der Atemnot zu erholen.

Anders bei 20 Grad Celsius und einer Sauerstoffkonzentration von unter zwei Milligramm pro Liter: In dieser Versuchsanordnung reagiert der Fisch unmittelbar und macht direkt kehrt, wenn er auf das sauerstoffarme Wasser trifft. „Er mag wiederholte Versuche unternehmen, in die sauerstoffarme Zone zu gelangen, aber weicht jedes Mal wieder zurück, als ob ihn irgendwas auf gewaltsame Art irritiert“, so beschrieb der britische Zoologe Erichsen Jones die Reaktion des Fisches schon im Dezember 1951.

Jones befasste sich damals in seinen Experimenten mit Abwasser und Kühlwasser von Kraftwerken, die den Sauerstoffgehalt in Flüssen und anderen Gewässern verringern. Inzwischen kommt ein neuer Faktor hinzu: der Klimawandel. Schon heute macht dieser die Oberfläche der Seen weltweit sauerstoffärmer. Tatsächlich ist der Klimawandel sogar zum dominierenden Faktor für diesen Prozess geworden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um Yibo Zhang von der Chinesischen Akademie für Wissenschaften in Nanjing im Fachjournal Science Advances.

Allein Deutschland hat rund 260 000 Seen und Teiche

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben mehr als 15 000 Seen auf sechs Kontinenten betrachtet. Dafür griffen sie auf Klimadaten, Satellitenbilder und geographische Daten zurück und verwendeten diese für ein Computermodell. Damit konnten sie die Entwicklung der Sauerstoffsättigung in den Seen zwischen den Jahren 2003 und 2023 rekonstruieren. In 83 Prozent aller Seen machten sie einen Abfall der Sauerstoffkonzentration aus. Im Schnitt um 0,05 Milligramm pro Liter und Jahrzehnt – schneller als in Ozeanen und Flüssen.

An sich ist dieser Trend nicht neu – er wurde seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts in allen möglichen Gewässern beobachtet. Nur war bislang nicht klar, welche Rolle der Klimawandel dabei spielte. Das beantwortet das Team um Zhang nun: Demnach sei der Haupttreiber des Sauerstoffentzugs in der obersten Schicht der Seen die Erhöhung der Wassertemperatur infolge der Erderwärmung. Das verringere die Löslichkeit von Sauerstoff und fördere eine stabile Wasserschichtung. Einen kleineren Beitrag würden die kurzfristigeren Hitzewellen spielen (7,7 Prozent), ebenso die Eutrophierung infolge des Nährstoffeintrags etwa durch Düngung von Ackerflächen (zehn Prozent).

Jens Arle vom Umweltbundesamt (UBA) hält es für plausibel, dass höhere Temperaturen schon heute die Sauerstoffkonzentration in vielen Seen der Welt sinken lassen – auch in Deutschland. Inbesondere wenn kleinere Seen in Dürrejahren wie 2018 und 2019 Wasser verlieren, Wasserpflanzen weniger Sauerstoff produzieren können und sich das geringere Wasservolumen schneller erwärmt. „Dann nimmt auch die Sauerstoffkonzentration ab“, sagt der Experte für Binnengewässer.

Trotzdem zögert Arle, den Klimawandel schon heute als Hauptschuldigen für einen weltweiten Trend auszurufen. 15 000 untersuchte Seen seien sehr wenig – allein Deutschland besitze 20 mal so viel. „Angesichts der relativ geringen Fallzahl und der komplexen Prozesse, die je nach Region und See zum Tragen kommen, ist es schon gewagt, den Trend global zu verallgemeinern“, sagt er.

Erst seit wenigen Jahren wird der Sauerstoffgehalt von Seen kontinuierlich gemessen

Für die meisten Seen in Deutschland lasse sich bislang noch kein eindeutiger Trend in Sachen Sauerstoffgehalt feststellen. Das hängt auch mit der Erhebung zusammen: Ein Messnetz für alle größeren Seen existiert erst seit der Jahrtausendwende. Und die Auflösung ist gering, einmal im Monat muss jemand auf den See fahren und eigenhändig messen.

Erst seit wenigen Jahren gibt es ein Dauermessnetz, das automatisch und kontinuierlich Daten erhebt. Aber auch das betrifft nur die großen Seen. Lange war unklar, wie viele kleine Gewässer in Deutschland überhaupt existieren. Arle hat mit Kolleginnen und Kollegen auf Basis von Datenbanken der Bundesländer gerade eine Inventur gemacht und nach vorläufigen Schätzungen 260 000 Seen und Teiche bestimmt. Arle geht davon aus, dass der Sauerstoffmangel in deutschen Seen durchaus schon ein Problem darstellt, wenn auch bislang vor allem aufgrund der Eutrophierung.

Aber das dürfte sich in Zukunft ändern, wie auch die Projektionen von Zhang ergeben: Zum Ende des Jahrhunderts würde der gelöste Sauerstoff im weltweiten Schnitt um rund 4,3 Prozent pro Jahrzehnt abfallen – und damit um eine Größenordnung schneller als heute. Wohlgemerkt für ein Klimaszenario, in dem es gelingt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Darüber hinaus würde sich die Rate noch weiter erhöhen.

Während heute vor allem Seen in Nordamerika und Europa schlecht dastehen – wohl vor allem aufgrund des Nährstoffeintrags –, dürfte die zunehmende Sauerstoffarmut in Zukunft klimabedingt vor allem die Tropen betreffen. Für mehr als 200 der dort untersuchten Seen ergab sich den Simulationen von Zhang zufolge „Stressbedingungen“, also ein Sauerstoffgehalt von unter sechs Milligramm pro Liter. Im Victoriasee, dem größten See Afrikas, würden diese Bedingungen schon heute auf annähernd der Hälfte der Oberfläche herrschen. Ein weiterer Abfall könnte „beträchtliche“ Auswirkungen auf biologische und biochemische Kreisläufe haben, heißt es in der Science-Advances-Studie.

Unter den sich verschlechternden Bedingungen in den Seen der Welt würden Fische wie der Stichling leiden, aber auch die Menschen, die von den Fischen abhängen. Mehr noch setzen die sauerstoffarmen Zonen in Gewässern Lachgas frei, ein potentes Treibhausgas, das den Klimawandel weiter antreibt und damit den Seen noch ein bisschen mehr Sauerstoff raubt.