
Wie bereitet man sich auf ein Grand-Slam-Finale vor? Einen konkreten Plan hatte Coco Gauff noch nicht, als sie am Donnerstagabend nach ihrem gewonnenen Halbfinale bei den French Open über den Tag vor dem großen Spiel sprach, aber zumindest einen Gedanken, was sich nach dem Training und allem drum und dran mit dem Rest davon anfangen ließe. „Ich bin jemand, der gerne Escape Rooms macht“, sagte Gauff, die während des Turniers in Paris schon in zwei dieser Rätselräume war: „Vielleicht mache ich noch einen.“
In Escape Rooms gilt es, in einer bestimmten Zeit wieder hinauszugelangen oder eine Aufgabe zu lösen. Im ersten Raum sollte Gauff einen Arzt finden, der Experimente an Menschen durchgeführt hat, und dies beweisen. Im zweiten ging es darum, eine U-Bahn zu reparieren, die in die Luft geflogen war. Einen löste sie, einen nicht, weil es dabei um Mathematik ging – und Zahlen liegen Gauff einfach nicht. „Da war ich die schlechteste Spielerin im Raum“, erzählte die US-Amerikanerin, die am Samstag vor dem nächsten kniffligen Rätsel steht: Wie schlägt sie Aryna Sabalenka auf dem Court Philippe Chatrier?
Gereifte „Mrs. Mature“
Nach Madrid und Rom ist Gauff in ihr drittes Finale innerhalb von wenigen Wochen eingezogen. Schon der Weg dorthin schien so schwer wie ein Algebra-Escape-Room für sie: Gauff musste nicht nur die französische Überraschungs-Halbfinalistin Loïs Boisson bezwingen, sondern auch die 15.000 Zuschauer, die alle nur ihre Gegnerin unterstützten. Daran war die 18 Jahre alte Russin Mirra Andrejewa zuvor zerbrochen. Doch Gauff, im März 21 Jahre alt geworden, ging mit dem Druck so spielerisch leicht um, als stünde sie in einem Escape Room.
Kollegen wie ihr Landsmann Frances Tiafoe bezeichnen sie als „Mrs. Mature“, als gereifte Spielerin oder Erwachsene. Wenn Gauff spricht, hat man das Gefühl, sie sei schon jahrelang dabei. Und so ist es ja auch. 2018 spielte sie ihre erste Profisaison, da war sie 14 Jahre alt. 2023 gewann sie in der Heimat bei den US Open ihren ersten und bisher einzigen Grand-Slam-Titel.
„Ich habe das Gefühl, dass man durch das Tennisspielen vielleicht schneller erwachsen wird“, sagt Gauff. Sie erinnert sich noch an Zeiten, in denen sie sich auf der Tour ziemlich allein gefühlt hat. Wer will schon mit jemandem etwas unternehmen, der zehn Jahre jünger ist? Heute ist das anders. In die Escape Rooms begleiten sie Spieler wie Chris Eubanks oder Ben Shelton, mit anderen trifft sie sich abends zum Essen.
„Hatte das Gefühl, dass ich das nie überwinde“
Inzwischen wirkt auch ihr Spiel erwachsener. Die Konstanz soll Gauff, die im vergangenen September Matt Daly anstelle von Brad Gilbert als Trainer angestellt hat, zum nächsten großen Titel führen. 2022 stand sie bei den French Open schon einmal im Finale. „Davor war ich super nervös und hatte mich in einer Weise schon vor dem Match abgeschrieben“, sagte Gauff, die damals chancenlos gegen Iga Swiatek war.
Das Endspiel verfolgte sie. „Ich war so enttäuscht, wie ich das Match mental angegangen bin. Ich hatte das Gefühl, dass ich das nie überwinden könnte.“ Dann zog sie aus all der Negativität neue Motivation. „Jetzt habe ich viel mehr Selbstvertrauen, weil ich schon einmal ein Grand-Slam-Finale gewonnen habe.“
Das Spiel auf Sand liegt Gauff schon immer, obwohl sie das Tennisspielen auf Hardcourts gelernt hat. 2018 gewann sie bereits das Juniorinneneinzel der French Open. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich auf einem Hartplatz auch viel rutsche“, erklärt Gauff. Das Bewegungsmuster, das auf Asche elementar ist, fühlt sich vertraut an. Hinzu komme die Athletik: „Ich glaube, es ist sehr schwer, auf diesem Belag zu gewinnen, wenn man sich nicht gut bewegt.“ Leicht favorisiert ist dennoch ihre Gegnerin.
Eine Niederlage wäre nicht mehr das Ende der Welt
Sabalenka entthronte im Halbfinale Sandplatzkönigin Iga Swiatek und steht als konstanteste Spielerin des Jahres mit großem Abstand vor Gauff an der Spitze der Weltrangliste. Die Belarussin zeigt Powertennis wie keine andere auf der Frauentour. „Sie wird sehr aggressiv spielen“, sagt Gauff: „Damit muss ich rechnen und mein bestes Tennis zeigen, um das zu kontern.“
Fest steht schon jetzt, dass selbst eine Niederlage sie diesmal nicht in ein Loch stürzen würde. „Ich habe erkannt, wie unbedeutend es ist. Jeder hat mit viel größeren Dingen im Leben zu tun, als ein Endspiel zu verlieren“, sagt Gauff: „Zuerst dachte ich, es wäre das Ende der Welt, aber am nächsten Tag ging die Sonne trotzdem auf.“
Auch deshalb will Gauff sich nicht nur zwei Wochen lang 24 Stunden am Tag auf Tennis konzentrieren, wenn sie große Turniere spielt: „Ich will nicht heimkommen und sagen, dass ich das Zimmer nicht verlassen habe, wenn jemand fragt, wie Paris war.“ Zu erzählen hat sie schon jetzt einiges. Von durchgeknallten Ärzten und explodierenden U-Bahnen in Escape Rooms zum Beispiel. Vielleicht kommt noch die Geschichte von einem Titel dazu.