Litauen: DHL-Flugzeug abgestürzt – Baerbock schließt Sabotageakt nicht aus

Ein Frachtflugzeug, das im Auftrag von DHL in Leipzig startete, ist kurz vor dem Flughafen von Vilnius abgestürzt. Die Außenministerin betont, dass „in alle Richtungen“ ermittelt werde. Dem Verteidigungsministerium liegen bislang keine Erkenntnisse über einen möglichen Sprengsatz an Bord vor.

Nach dem tödlichen Absturz eines aus Leipzig kommenden DHL-Frachtflugzeugs in Litauen hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Möglichkeit eines Sabotageakts nicht ausgeschlossen. „Alleine, dass wir gemeinsam mit unseren litauischen und spanischen Partnern uns jetzt ernsthaft fragen müssen, ob das ein Unfall war oder nach letzter Woche erneut ein hybrider Vorfall, zeigt, in was für volatilen Zeiten (…) wir gerade leben“, sagte Baerbock am Montag beim G-7-Außenministertreffen im italienischen Fiuggi.

Das Frachtflugzeug war am frühen Montagmorgen bei einer Notlandung nahe dem Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius verunglückt. Ein Mitglied der vierköpfigen Besatzung, ein Spanier, starb bei dem Vorfall, die drei weiteren Insassen wurden verletzt. Das Flugzeug verfehlte bei dem Absturz kurz vor dem Flughafen ein Wohngebäude mit schlafenden Menschen nur knapp. Zahlreiche Rettungskräfte waren im Einsatz.

Die Ministerin betonte mehrfach, dass die Behörden in Deutschland und Litauen bei ihren Ermittlungen derzeit alle Möglichkeiten prüften. In Europa habe es in jüngster Zeit mehrfach „hybride Angriffe“ auf einzelne Personen oder Infrastruktur gesehen, sagte Baerbock. Deshalb sei der Schutz von kritischer Infrastruktur jetzt besonders wichtig.

Baerbock erhob nach dem Absturz keine direkten Vorwürfe gegen einzelne Personen oder Staaten. Mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin fügte sie jedoch hinzu: „Der russische Präsident wird uns nicht den Gefallen tun, dass er Rücksicht nimmt, dass jetzt Weihnachten vor der Tür steht oder gar in Deutschland die Bundestagswahl.“

Dem deutschen Verteidigungsministerium liegen bislang keine Erkenntnisse über einen möglichen Sprengsatz an Bord vor. Das teilte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Treffen mit Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Italien in Berlin auf eine Journalistenfrage hin mit.

Man habe sich insgesamt darüber ausgetauscht, dass es „darum geht, jetzt die Sensibilität zu erhöhen bei bestimmten Frachtsendungen“, fügte Pistorius hinzu. „Gleichzeitig wissen wir auch, dass es in diesem Feld wohl keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Aber die Lücken, die es gibt, die man erkennt, müssen geschlossen werden“, sagte der Minister und ergänzte: „Das weiß sowohl die zivile Luftfahrt als auch die militärische.“

Deutschland wird auch Ermittler zum Absturzort schicken. Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung werde die Ermittlungen vor Ort in Litauen unterstützen, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums vor Journalisten in Berlin. Ab dem Abend würden Kollegen dort im Einsatz sein. Nach litauischen Angaben sollen von deutscher Seite vier Experten entsandt werden. Auch Spanien werde zwei Ermittler abstellen, hieß es.

Einsatzkräfte waren um 5.28 Uhr Ortszeit von dem Absturz informiert worden. Die Besatzung hatte laut DHL vor dem Flughafen von Vilnius eine Notlandung einleiten müssen. Bei dem abgestürzten Frachtflugzeug handelte es sich um eine 31 Jahre alte Maschine der spanischen Fluggesellschaft Swift Air, wie DHL mitteilte. Swift Air sei unter Vertrag für DHL tätig.

Nach Angaben der Vertriebs- und Marketingleiterin von DHL Litauen handelte es sich bei dem Flugzeug um eine Boeing 737. Transportiert habe die Maschine Pakete für Kunden, sagte sie der Nachrichtenagentur BNS. Auf Bildern von der Unfallstelle waren vereinzelt Pakete und Kartons zu sehen. Das Flugzeug sei völlig zerstört, sagte eine Sprecherin des litauischen Rettungsdienstes der Nachrichtenagentur Elta.

Was führte zu dem Unglück?

Die Suche nach der Absturzursache wird nach Einschätzung des litauischen Polizeichefs Arunas Paulauskas einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Besichtigung des Tatorts, die Beweisaufnahme und die Sammlung von Informationen und Objekten könne eine ganze Woche dauern.

Paulauskas sagte, die Feuerwehr habe zwei Piloten aus dem Cockpit befreit. Beide seien verletzt. Bei dem Toten handle es sich um ein weiteres Besatzungsmitglied.

Das Flugzeug habe versucht zu landen und die Landebahn nicht erreicht, schilderte Paulauskas. Der Absturz sei „höchstwahrscheinlich auf einen technischen Fehler oder ein menschliches Versagen zurückzuführen“. Zugleich sagte er auf die Nachfrage, ob es sich auch um einen Terroranschlag gehandelt haben könnte, dass ein solches Szenario nicht auszuschließen sei. „Dies ist eine der Versionen des Absturzes, die untersucht und überprüft werden müssen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.“

Die Temperaturen am Flughafen lagen zur Unglückszeit vor Sonnenaufgang bei bewölktem Himmel um den Gefrierpunkt. Die Windgeschwindigkeiten erreichten um die 30 Stundenkilometer.

Ein in litauischen Medien verbreitetes Video soll den Absturz zeigen und lässt eher keine Explosion in der Luft vermuten.

Auch Aufnahmen, die die Kommunikation zwischen dem Piloten und der Flugverkehrskontrolle dokumentierten, geben keinen Hinweis auf einen möglichen Brand oder anderen Vorfall im Cockpit. Die letzte Meldung des Piloten an den Tower, wenige Minuten vor dem Absturz, ist eine routinemäßige Bestätigung des Funkfrequenzwechsels. Gegen 5.30 Uhr funkt dann ein Fluglotse ein anderes Flugzeug am Flughafen von Vilnius an: „Brecht euren Start ab. Wir haben einen Absturz im Landeanflug, also werden wir etwas Zeit brauchen.“

Der Leiter des litauischen Rettungsdienstes, Renatas Pozela, sagte, dass das Frachtflugzeug wenige Kilometer vor dem Flughafen abgestürzt sei, dann mehrere hundert Meter weit schlitterte und seine Trümmer ein Wohnhaus erfassten. Das Haus habe zwei Etagen und vier Wohnungen. Drei Familien hätten darin gelebt. Alle zwölf Bewohner befänden sich in Sicherheit.

Eine Frau, die in der Nähe des betroffenen Hauses wohnt, berichtete im litauischen Rundfunk, dass sie am frühen Morgen durch ein Geräusch geweckt worden sei: „Ich habe im Schlaf ein Geräusch gehört, ich schaue aus dem Fenster – alles war rot und voller Funken“. Sie sei sofort losgerannt, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauche. Sie stehe unter Schock: „Schrecklich, schrecklich“ sei das Ganze.

Ein Nachbar erzählte, was er im Hof zum Zeitpunkt des Unglücks beobachtet hat: „Es gab einen Blitz. Den Aufprall selbst habe ich nicht gesehen, aber der Blitz war sehr hell, er erleuchtete den ganzen Hof, und er war etwa einen Kilometer von mir entfernt. Und dann erschien das Feuer und es gab eine Menge Rauch.“

Der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas sagte, es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass sich bei dem Absturz um Sabotage oder einen Terroranschlag gehandelt habe.

Auch wenn derzeit von einem technischen Defekt ausgegangen wird, appellieren Politiker, die Unglücksursache genau zu untersuchen. „Vor dem Hintergrund der bekannt gewordenen Sabotageaktionen mittels Brandsätzen in der Fracht von DHL auch am Leipziger Flughafen, muss dieser Absturz umgehend genauestens untersucht werden“, sagte Konstantin von Notz (Grüne), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste WELT.

Auch Ex-BND-Agent Gerhard Conrad sagte WELT: „Noch ist es zu früh, eine konkrete Ursachen- und Schuldzuweisung vorzunehmen, doch erinnert das Unglück fatal an die Brandsätze im DHL-Verteilzentrum Leipzig, darüber hinaus aber auch in London vom Sommer 2024, bei denen der Verdacht auf russisch inspirierte Sabotage aufgekommen war.“

dpa/Reuters/rct/geheg/sos/krott/coh/banjo/lep/jr