
I ch habe mich schon immer gefragt, warum die linke Szene so eine krasse Obsession mit Adidas hat. Egal wie sehr wir uns spalten, die Marke ist in jeder linken Gruppierung – von der Dyke*Organisierung bis hin zum Ü30-Antifa-Treff – beliebt. Dass wir eine Marke feiern, deren Gründer Adi Dassler NSDAP-Mitglied war und im Krieg Zwangsarbeiter*innen beschäftigte, ist zwar absurd, aber darum geht es hier heute nicht, sondern um die Suche danach, was genau Adidas jetzt mit links sein und Klasse zu tun hat.
Ich war ein absolut unmodisches Kind. Meine Mutter brachte mir Kleidung von Kik und dem einzigen Second-Hand-Laden im Nachbardorf mit: T-Shirts mit fetzigen Sprüchen, neongelbe Schals, graue Sweatshirt-Jacken. Wir hatten kein Geld.
Meine erste Adidas-Hose war ein Glücksgriff: Meine Mutter brachte aus besagtem Second-Hand-Laden eine schlichte Shorts mit – und ich war verliebt. Zu sagen, dadurch hätten sich die abwertenden Blicke der anderen in Luft aufgelöst, wäre zu viel gesagt. Dennoch habe ich das erste Mal in meinem Leben Komplimente für ein Kleidungsstück bekommen.
Klassismus am Körper
Dadurch kommt aber auch die Erkenntnis, dass man anders behandelt wird, wenn man anders aussieht. Und das ist brutal. Mir war es von dem einen auf den anderen Moment wichtig, was ich trug. All mein Taschengeld, über Monate zusammengespart, ging in Markenkleidung. Ich will zeigen, wer ich bin. Das tun alle, die die finanziellen Ressourcen dazu haben: Punks mit ihren Kutten ebenso wie FDPler mit ihren Tommy-Hilfiger-Steppjacken.
Es gibt auch peinliche Ausrutscher – wie als die Luxusmarke Balenciaga kaputte Schuhe für mehrere hundert Euro auf den Markt gebracht hat: Poverty Cosplay.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wir trugen kaputte Kleidung aus Mangel an anderen Optionen, nicht für Style. Ich begehre auch, dass man mir eine Zugehörigkeit ansieht. Klasse und Sportlichkeit in einem Look: Aber dann eben auch nur in einem bestimmten Rahmen. So aussehen, als könnte ich jederzeit Liegestütze machen – aber trotzdem auch eins: sozial akzeptiert. Adidas ist Klasse. Aber welche eigentlich? Adidas ist eine funktionale Sportbekleidungsmarke der Arbeiter*innenklasse.
In den 70er Jahren wurde sie besonders in der britischen Ultraszene populär und war somit Teil eines (männlichen) proletarischen Stils, der sich mit der antifaschistischen Szene überkreuzte. Das ist die einfache Geschichte, warum die Marke bis heute so präsent in linken Kreisen ist. Aber Adidas ist längst mehr als proletarische Ästhetik. Der männliche Habitus und damit auch der Kleidungsstil wurde später von den queeren Bewegungen reclaimed – als Symbol für den Widerstand gegen Geschlechternormen.
Style für alle(s)
Adidas ist zugänglich – man kann die Kleidung neu kaufen oder auf der Straße finden, weil sie ein über Jahre andauerndes Massenprodukt geworden ist. Teilweise ist sie noch Ausdruck von working class – oder eben das Accessoire einer Person, die working class stilisiert.
Denn sind wir mal radikal ehrlich: Eins dieser Sprüche-T-Shirts, die mir meine Mama damals mitgebracht hat, würde ich wahrscheinlich heute nicht mehr tragen und das hat definitiv mit klassistischer Abwertung zu tun. Die Jogginghose hingegen funktioniert überall: In Leipzig ist sie modisch, in der Kunstszene Teil eines jeden Kleiderschranks.
Adidas auf einer Benefizveranstaltung zu tragen, ist lange kein revolutionärer Akt mehr. Es ist ein Kleidungsstück, das problemlos in bürgerliche Kreise diffundiert ist. Man kann sich den Stil aneignen, ohne die realen Konsequenzen von Armut tragen zu müssen. Sie ist inzwischen eine von vielen Marken mit problematischer Vergangenheit (und Gegenwart), die Menschen aus den verschiedensten Subkulturen stilsicher tragen.