
Zweites Wohnzimmer, Pilgerstätte oder einfach Heimat: Für Fans ist
das eigene Stadion mehr als nur ein Fußballplatz. Das erste Bier gibt es
ein paar Stunden vor dem Spiel in der Stadionkneipe, kurz vor dem
Einlass noch eine Wurst. Im Block wartet der Kumpel, der wie immer in
der Reihe weiter unten sitzt. Es sind diese Rituale, die ein Heimspiel
lebendig machen – und Fußball zu einem Erlebnis. Doch genau diese
Rituale werden jetzt entwertet.
Die Fans des FC Villarreal und
der AC Mailand sind die ersten Opfer. Ihre Vereine werden erstmals ein
reguläres Ligaspiel – und in ihrem Fall: ein Heimspiel – im Ausland
austragen. Villarreal wird am 20. Dezember gegen Barcelona in Florida
spielen und Milan gegen Como am 6. Februar 2026 in Australien.
Ein
Spiel weniger in der eigenen Stadt, stattdessen ein „Heimspiel“ in
Miami oder Perth – Städte, die mit der eigenen Vereinsgeschichte so viel
zu tun haben wie ein Gourmetmenü mit einer Stadionwurst. Es ist der
Versuch, die Seele des Spiels in einen Koffer zu packen und an den
Meistbietenden zu versenden.
Mal ehrlich: Ein Heimspiel ohne
Heimvorteil ist kein Heimspiel. Diejenigen, die eine Fußballpartie zu
einem Heimspiel machen, fehlen bei diesen Spielen. Es werden wohl kaum
70.000 Milan-Fans ans andere Ende der Welt fliegen. Der sportliche
Wettbewerb wird verzerrt – aus kommerziellen Gründen. Es geht nicht um
Fairness, es geht um Märkte; nicht um Fankultur, sondern um Einnahmen.
Denn Spiele im Ausland bedeuten Aufmerksamkeit, neue Sponsoring- und
TV-Verträge oder einfach: mehr Geld für Vereine, Ligen und Verbände.
Die
Uefa hat dem Druck der spanischen und italienischen Liga – nach eigenen
Angaben „widerwillig“ – nachgegeben und den beiden Partien in Perth und
Miami am Montag zugestimmt. Präsident Aleksander Čeferin versichert, dies sei „kein Präzedenzfall“. Trotzdem könnte es einer werden.
Die Uefa hat zugestimmt aus Sorge, es könnte ein Rechtsstreit drohen, wenn sie sich gegen die Ligen stellt. Ein Rechtsstreit über Regeln, die es noch nicht
gibt. Die Fifa ist es nämlich, die die Regeln macht oder zumindest
machen soll. Seit 2019, als die Vermarktungsagentur Relevent schon
einmal La-Liga-Spiele nach Miami bringen wollte, arbeitet ein Ausschuss
an einheitlichen Regeln. Darin sitzen neben Vertretern der Fifa auch
private Unternehmen, die an der Organisation internationaler Spiele oder
Wettbewerbe beteiligt sind. Ergebnisse gibt es nach über einem halben
Jahrzehnt noch nicht.
Selbst wenn sich die Arbeitsgruppe endlich
auf etwas Spruchreifes einigen könnte, wäre wohl kaum Besserung zu
erwarten. Die Unternehmen kümmern sich nur wenig um den heimischen Fan
und seine Stadionwurst. Und dass sich die Fifa gegen den Fan und für das
Geld entscheidet, wäre auch nichts Neues.
Fußball lebt von
seiner lokalen Verankerung. Die Fifa tut mit ihrer Tatenlosigkeit schon wieder viel dafür,
das zu verlieren, was den Fußball groß gemacht hat: die Menschen auf den
Tribünen, die mit Herz und Stimme den Unterschied ausmachen.
Natürlich
können sich die Australier auf Stars wie Rafael Leão oder Luka Modrić
und die Amerikaner auf Lewandowski und Lamine Yamal freuen. Die vier
Teams können so vielleicht auch neue Fans gewinnen. Allerdings: Wären
die Menschen in Perth wirklich so fußballverrückt, kämen wohl mehr als
7.000 Zuschauer zum heimischen Verein Perth Glory – derzeit sind es nur
34,7 Prozent Stadionauslastung. Auch bei Inter Miami hält sich die
Begeisterung trotz Stars wie Messi, Suárez und Busquets in Grenzen. In
dieser Saison war dort noch kein Spiel ausverkauft.
Was mit der
Austragung des spanischen und italienischen Supercups im Ausland
begonnen hat, setzt sich nun bei Ligaspielen fort. Heute Miami und
Perth, morgen Shanghai, übermorgen Las Vegas? Die Türen sind jetzt offen.
Noch haben die Fans die Chance, etwas dagegen zu tun. Den Versuch, mit einer Super League noch mehr Profit aus
dem Fußball zu schlagen, konnten sie mit Protesten und vielen
Tennisbällen schon verhindern. Jetzt beginnt die nächste Runde im Kampf
gegen die Kommerzialisierung des Fußballs. Spätestens wenn Borussia
Dortmund und Eintracht Frankfurt in Katar spielen sollen, wird der Rasen
der Bundesligastadien hoffentlich wieder zum Tennisplatz.