Am Samstag wollte RB-Chef Oliver Mintzlaff die Fortschritte inspizieren, die der Bundesligist aus Leipzig im vergangenen halben Jahr gemacht hat. Der erste Eindruck, den er mitgenommen hatte, war am 1. Spieltag ein 0:6 beim FC Bayern gewesen. So schlimm kam es am Samstagabend nicht einmal annähernd, doch was Mintzlaff sah, dürfte der frühere Leichtathlet, der viel Fußballkompetenz mitgebracht hatte (allen voran den einstigen Pöhler Jürgen Klopp) als einigermaßen ernüchternd wahrgenommen haben. Trotz Führung setzte es für die Leipziger eine 1:3-Niederlage gegen Leverkusen.
Das war einerseits die erste Heimpleite der laufenden Saison, andererseits bedeutete es, dass der zweite Tabellenplatz in der Bundesliga fürs Erste in den Besitz von Borussia Dortmund wandert. Nach nur sechs Punkten aus den vergangenen sechs Spielen ist Leipzig sogar hinter die ersatz- und Afrika-Cup-geschwächten Leverkusener auf Platz vier gerutscht. Sind das schon erste Vorboten einer Krise?

:„Manchmal kommen Gegner zu mir und sagen: Bitte, bitte nicht!“
Leverkusens Alejandro Grimaldo ist einer der gefürchtetsten Freistoßschützen der Welt. Er erklärt seine Schusstechnik, welche Rolle Mauer und Torwart spielen, was er sich von Cristiano Ronaldo abgeschaut hat – und er äußert einen kuriosen Verdacht.
Die Leipziger reklamierten zunächst einmal nach dem 1:3, das Montrell Culbreath in der 90. Minute erzielte, ein Handspiel am Strafraum der Leverkusener, das sich vor der Entstehung des Tores zugetragen hatte. RB-Verteidiger Willi Orbán hatte Leverkusens Verteidiger Robert Andrich unterlaufen, Andrich berührte im Fallen den Ball mit der Hand. Nach ellenlanger Prüfung durch den VAR gab der Schiedsrichter den Treffer. Berechtigterweise. „Wenn man dafür Elfmeter gibt – gute Besserung“, sagte Andrich.
Das 1:3 fiel lange, nachdem der Führungstreffer von Xaver Schlager gefallen war (35.) und die Partie damit zwar nicht völlig, wohl aber beträchtlich auf den Kopf gestellt worden war. Bis dahin hatten sich die Leipziger, von dem einen oder anderen ernsthaft zum „Bayern-Jäger“ stilisiert, weitgehend als kleines Team präsentiert. Der Fokus lag darauf, entweder hoch zu pressen oder tief zu verteidigen – und in jedem Fall auf Umschaltmomente zu hoffen. Das gehört bei vielen Mannschaften zum Standard, auch Leverkusen ist ein solcher Ansatz nicht völlig fremd. Aber die Leverkusener versuchten bisweilen, auch mal Fußball zu spielen.
Die Entstehungsgeschichte des Führungstores der Leipziger stand für sich. Christoph Baumgartner passte den richtigen Moment ab, um einen Einwurf auf Schlager zu schleudern, und dieser nahm, indem er die Sechzehnerlinie entlanglief, die Parade der Leverkusener Abwehrkräfte ab. Als Schlager auf der Höhe des zweiten Pfostens angekommen war, drückte er ab – und versenkte den Ball links unten im Netz. Dass Leverkusen fußballerisch reifer und selbstsicherer wirkte, durch Patrik Schick (5.), Martin Terrier (6.), Arthur (21.) und neuerlich Schick (24.) die besseren Chancen gehabt hatte, schien plötzlich einerlei zu sein.
Leipzig ein Bayern-Jäger? Gegen Leverkusen spielt RB eher wie ein Außenseiter
Doch Leverkusen reagierte. Erst durch Terrier, der eine wohltemperierte Flanke von Arthur per Kopf und im hohen Bogen in den Winkel verlängerte (40.). Und dann durch Schick. Nathan Tella schickte den tschechischen Stürmer, der einst auch in Leipzig gespielt hatte, in den von RB-Kapitän Willi Orbán sträflich vernachlässigten Raum. Dort tanzte Schick den Außenverteidiger Kosta Nedeljkovic aus, ehe er den Ball zum 2:1-Pausenstand unter die Querlatte jagte.
Nach der Pause versuchte es Leipzig mit Impetus. Doch ohne offenkundige Kontergelegenheiten ist das Latein der Leipziger endlich. Die größte Chance hatte der dänische Stürmer Conrad Harder (52.), als ihm Schlager den Ball irgendwie – ja, wirklich irgendwie – in den Strafraum stopfte. Doch Harder nahm den linken statt den rechten Fuß und ermöglichte es Leverkusens Torwart Mark Flekken, den Ball noch zu parieren. Später traf er nach einer Flanke von Kapitän David Raum das Außennetz (61.). In Wahrheit konnte Leverkusen die Angriffe der Gastgeber mit einigem Gleichmut über sich ergehen lassen.
In der Schlussphase brachte dann Trainer Ole Werner den Lieblingsspieler von Mintzlaff in die Partie: Timo Werner. Der frühere DFB-Stürmer wird seit Wochen von örtlichen Medien in die USA verschifft, wobei die angeblichen Wechselabsichten vor allem in die Pläne von RB passen dürften. Werner gilt mit angeblich rund zehn Millionen Euro Jahresverdienst als Großverdiener in Leipzig. In der bisherigen Saison hatte er nur zwei kurze Bundesligaeinsätze in Wolfsburg und gegen Union Berlin, dass er da nicht weiter auffiel, konnte man ihm nicht vorwerfen.
Allerdings hatte Werner auch am Samstagabend in Leipzig keine weitere nennenswerte Aktion. Im Gegensatz zum Siegtorschützen Culbreath, der bei seinem Bundesligadebüt gleich sein erstes Tor erzielte.
