Laura Karasek über True-Crime: „Bin sogar für den Tatort zu zartbesaitet“ – Medien

Während des Telefoninterviews hastet Laura Karasek durch Frankfurt am Main, die Stadt, in der sie wohnt. Die Verbindung bricht immer wieder ab, aber sie ist bester Laune, überhaupt scheint gern Dinge gleichzeitig zu tun: Karasek, 43, ist Autorin mehrerer Bücher, TV-Moderatorin, Gast in etlichen TV-Shows, sie moderiert die Crime-Serie „Dark Minds“ und ist nun auch Host von „Ermittlungen im Detail“, eines zwölfteiligen True-Crime-Podcasts. Darin will die Juristin Karasek den Fokus vor allem auf die Arbeit der Ermittler legen.

SZ: Frau Karasek, haben Sie schon mal geträumt, ein Verbrechen zu begehen?

Laura Karasek: Nein. Aber ich habe schon oft geträumt, Opfer eines Verbrechens zu werden. Ich habe leider Albträume, seit ich denken kann. Täterin im Traum war ich höchstens mal von Beleidigungen, also von verbalen Verbrechen.

Hören Sie selbst denn gern True-Crime-Podcasts?

Eigentlich bin ich dafür zu ängstlich.

Wie waren Sie denn dann zu überzeugen, ausgerechnet einen True-Crime-Podcast zu machen?

Ich habe Jura studiert und wollte mal Staatsanwältin werden. Ein toller Beruf. Weil ich mich jetzt aber so viele Jahre von Jura abgewandt, und mich den Medien und der Unterhaltung zugewandt hatte, empfand ich es als reizvoll, zurückzukehren. Ich will immer alles ausprobieren. Und als Juristin weiß ich immerhin aus dem Studium noch, was in der Strafprozessordnung steht, ich weiß, was Notwehrexzess und was ein Beweisverwertungsverbot ist.

Gleich die erste Folge des Podcasts behandelt einen Femizid. Sehen Sie als Juristin Verbesserungsbedarf im Umgang mit Femiziden und bei Vergewaltigungsprozessen in Deutschland?Den Verbesserungsbedarf sehe ich diesbezüglich in der ganzen Gesellschaft. Wir sollten endlich aufhören, Männern beizubringen, dass es okay ist, eine Frau besitzen zu wollen, zu schlagen. Warum führt die Zurückweisung durch eine Frau dazu, dass Männer so oft gewalttätig werden? Sie kennen die Statistiken. Warum müssen sich Mädchen schützen und sich unwohl fühlen in dieser Welt? Ich habe oft Angst, wenn ich nachts unterwegs bin – und das nicht nur im Frankfurter Bahnhofsviertel. Taxifahrer haben mich allerdings auch schon begrapscht. Es ist einfach beschissen manchmal, obwohl ich es liebe, eine Frau zu sein.Sie haben nicht als Strafverteidigerin gearbeitet, sondern als Wirtschaftsanwältin. Was vermissen Sie daran?Der Beruf war stabiler. In der Medienwelt ist man ja täglich der Meinung anderer ausgeliefert und auch den Launen des Publikums. Lieben sie mich noch? Habe ich was falsch gemacht? Kaufen sie meine Bücher? Schauen sie meine Shows? Eine schlechte Quote, und ich bin den ganzen Tag niedergeschlagen. Dann läuft es gut und ich höre pathetische Musik und glaube, ich kriege bald einen Preis für mein Lebenswerk. Diese Extreme, die hatte ich als Anwältin nicht.

Was muss ein True-Crime-Podcast haben, damit er funktioniert?

Er muss, wie jede gute Geschichte, gut erzählt sein. Man muss sich für den Fall interessieren, für die Abgründe, für den Täter, aber auch für die Ermittlungsarbeit. Man muss beim Hören erstaunt sein, wie man jemandem auf die Schliche kommen kann. Der eine Fehler führt dazu, dass jemand überführt wird: die Ameise am Schuh, die eine E-Mail zu viel, die eine Google-Recherche, der eine falsche Satz im Alibi.

Die Ermittler kommen in Ihrem Podcast auch ausführlich zu Wort.

Das befreiende, auflösende Moment des „Wir haben ihn gefasst, wir wissen, wer es war“ ist mir wichtig, um wenigstens etwas Ruhe hineinzubringen. Unlösbare Rätsel sind für alle Menschen unbefriedigend. Worauf wir keine Antwort haben, treibt uns in den Wahnsinn. Daran zerbrechen auch die Angehörigen von Opfern häufig.

Der Podcast hat zwölf Folgen. Wie haben Sie die Fälle ausgewählt?

Wir haben versucht, besonders spektakuläre Fälle mit aufwendiger Ermittlungsarbeit, die sich über Jahre hinzog, zu finden. Aber auch Fälle von gesellschaftlicher Relevanz: Femizide zum Beispiel. Es gibt natürlich mehr Männer, die morden. Frauen haben andere Motive, das finde ich interessant: Warum bringt eine Frau ihre eigenen Kinder um? Warum bringt eine sehr reiche Frau ihren Ehemann um, der ihr ein sehr luxuriöses Leben ermöglicht hat? Uns war dabei wichtig, nicht die Täter zu heroisieren, nicht den Voyeurismus zu bedienen.

Geht das denn? Führt nicht schon das dramatische Erzählen von solchen brutalen Geschichten dazu, dass gewisse Narrative reproduziert werden?

Diese Kritik kenne ich, es ist wichtig, dem entgegenzutreten, indem wir uns auf die Ermittlungsarbeit konzentrieren und die Taten und Täter nicht glorifizieren. Täter sind keine coolen Gangster. Den Vorwurf könnte man allerdings auch jeder zweiten Netflix-Serie und jedem Tarantino-Film machen.

Die Kollegen von Zeit-Verbrechen oder die Podcasterinnen von „Mord auf Ex“ füllen ganze Konzerthallen mit Geschichten über Verbrechen. Warum funktioniert das Konzept True Crime so unglaublich gut?

Ich bin sogar für den „Tatort“ zu zartbesaitet. Ich interessiere mich mehr für die menschlichen Abgründe, die gerade noch so im Bereich des nicht Kriminellen sind. Ich lese auch am liebsten Bücher über Psychologie oder Romane, über Süchte, über Sehnsüchte, über die Liebe. Die Welt ist ja schon grausam genug. Aber natürlich fasziniert uns alle die dunkle Seite des Menschen, das Ungeheuerliche.

Hilft True Crime den Menschen vielleicht dabei, den Blick auf die eigenen Sorgen zu relativieren? Man erschreckt sich und denkt: Ach, verglichen damit ist meine Welt einigermaßen in Ordnung?

Ich denke schon. Vielleicht liegt darin auch eine Sehnsucht, sich zu spüren, sich so richtig zu gruseln.

Sigmund Freud sagt, jeder von uns trage einen kleinen Straftäter in sich und projiziere den Wunsch des Rechtsbruchs auf jemand anderen. Also: Andere überschreiten an meiner statt eine Grenze.

Das ist doch der Grund, warum wir überhaupt Romane lesen und Geschichten verfolgen: Da ist ein Stellvertreter, der für uns etwas erlebt. Der hat für uns Liebeskummer, in der italienischen Oper stürzt er sich vom Balkon oder duelliert sich, oder er bringt eben jemanden um. Diese Figuren habe eine Platzhalterfunktion inne, sodass wir uns selbst frei fragen können: Wie weit würde ich gehen?

Welche Geschichten lesen Sie gern?

Zeitgenössische Literatur von Frauen: Julia Schoch, Ruth Herzberg, Mariana Leky, von Elke Schmitter habe ich gerade: „Alles was ich über die Liebe weiß, steht in diesem Buch“ gelesen. Ich mag auch Leïla Slimani, Karine Tuil.

Sie sind als Tochter von Hellmuth Karasek und der Literaturkritikerin Armgard Seegers in einem sehr künstlerisch geprägten Haushalt aufgewachsen. Empfanden Ihre Eltern Ihr Jurastudium als Affront?

Da war man schon stolz drauf, aber es war das totale Exotentum. Ich war das Enfant terrible, das aus Versehen in die Seriosität ausgebrochen ist. Ich habe als Kind nur Gedichte von Rilke und Ringelnatz gelesen, bin mit meinem Papa in die Oper gegangen. Die Jungs, die mich gedatet haben, sagten damals immer: „Oh Gott, ich gehe zu Karaseks nach Hause, da muss ich vorher noch ganz viele Reclamhefte lesen“, weil sie Angst hatten, meine Eltern fragen sie ab.

Inzwischen sind Sie doch bei der Kunst und bei der Unterhaltung gelandet.

Meine Mutter sagt: „Laura, du bist so vulkanisch!“ Ich glaube, mein Hang zum Pathos, zum Impulsiven, der kommt von meiner Beschäftigung mit Kunst. Am Ende bewegt mich doch Literatur und Musik mehr, sie heilt, wühlt auf und tröstet. Ich fühle mich dadurch lebendig.

„Ermittlungen im Detail“, zwölf Folgen bei Audible.