Lars Klingbeil lässt sich nicht festnageln

Wer nur einen kleinen Blick in den eigenen Kalender wirft und ihn mit den Weltereignissen abgleicht, könnte meinen, da stimme etwas nicht, entweder mit dem eigenen Leben oder mit der Welt. Der Juni, früher mal ein ganz netter Monat, war einfach nur verrückt, unvorhersehbar, dabei ist er noch gar nicht zu Ende. Manchmal durfte man sich fragen, woher der Mensch seine Resistenz nimmt. Nicht nur der Mensch im Allgemeinen, also wir alle, sondern auch dieser bestimmte Mensch, der die Weltnachrichten beherrscht und uns fast jeden Tag aufs Neue schockt. Oder schleicht sich hier und da nicht auch ein bisschen Bewunderung dafür ein, dass der Mann einfach die Ärmel hochkrempelt und was macht, egal was? Wenn man die Tageszeitung „Die Welt“ liest, könnte fast der Eindruck entstehen.

Ist es wirklich erst knapp drei Wochen her, dass Donald Trump unseren Bundeskanzler „a great leader“ nannte (und dabei eigentlich sich selber meinte)? Dass der amerikanische Präsident und Elon Musk sich verkrachten wie ein sehr altes Ehepaar? Kaum zwei Wochen her, dass die Putin-SPD fröhliche Urständ feierte und Israel den Iran bombardierte? Kaum eine Woche, dass Trump sich „zwei Wochen“ Zeit ausbat, um in Ruhe darüber nachzudenken, was er mit dem Iran zu tun gedenke – und 48 Stunden später flogen schon amerikanische Raketen? Den Rest der Saga sparen wir uns, er ist bekannt. Ach, den deutschen Finanzminister hätten wir fast vergessen, Lars Klingbeil, der mit den Krediten so in die Vollen geht, als gäbe es kein Morgen. Was sind schon 143 Milliarden Schulden dieses Jahr? Ein Schluck aus der Pulle.

Weil es an ihm abperlt

Klingbeil war zu Gast bei Sandra Maischberger, und je länger man ihn beobachtet mit dem feinen Dauerlächeln, der ebenmäßigen Stimme, den kontrollierten Emotionen und seiner reiß-, biss- und kratzfesten Rhetorik, die alles in die Klingbeil-Aura hüllt wie in eine riesige rosa Polyesterdecke, desto eher muss man sich entscheiden, ob man ihn bewundern oder nicht doch schreiend davonlaufen soll. Früher hieß es über solche Leute mal, einen Pudding könne man eben nicht an die Wand nageln. Aber vielleicht genügt es im vorliegenden Fall schon, Sandra Maischberger zu zitieren. Die Moderatorin beherrscht die nicht geringe Kunst, ihren Gästen kleine Frechheiten zu sagen, ohne unhöflich zu sein.

Es ging darum, dass Klingbeil die Wahl vergeigt, die SPD in den Sumpf geführt hatte und seinerseits aus dem Schlamassel strahlender und mächtiger hervorgegangen war als je zuvor. Aus der SPD, wie Maischbergers Einspieler ziemlich unbarmherzig zeigten, riefen ihm enttäuschte Frauenstimmen zu, der Tiefpunkt der Partei dürfe „nicht zum Höhepunkt einzelner Karrieren werden“! (Seiner nämlich.) Und wenn der Generationswechsel schon angekündigt sei – „warum lässt du dann den Architekten des Misserfolgs aus?“ (Gemeint war er.) Maischberger setzte noch einen drauf. Ihm, Klingbeil, würden aus der eigenen Partei „billige Machtmanöver, fehlende Demut und Taschenspielertricks“ vorgeworfen. „Und auch hier lächeln Sie, weil es an Ihnen abperlt?“ Genau! Auch hier lächelte er, weil es an ihm abperlte.

Im Zentrum ist immer Lars Klingbeil

Denn da gibt es eine Schicht, die wohl etwas anderes ist als Haut, ein synthetisches, errötungsresistentes Material, das ihm hilft, in jedem Augenblick und in jeder Situation Lars Klingbeil zu sein. Auch wenn Maischberger nicht locker ließ. Klingbeil sagte etwa: „Wir haben die Partei anders aufgestellt“, und Maischberger fuhr ihm höflich in die Parade mit dem Satz: „Um sich herum haben Sie die Partei anders aufgestellt, mit dem Zentrum Lars Klingbeil.“ Das ist schon ziemlich witzig, darauf muss man erst mal kommen, wenn der Mann vor einem sitzt. Er ist ja obendrein nett, manchmal sieht er aus wie der junge Mann, der er mal war. Man kann ihn nicht am Nacken packen wie einen Welpen, so gern man es würde.

Wie bekommt man ihn also dazu, dass er mal etwas Überraschendes, Widerständiges, Kontroverses sagt? Das kann man vergessen. Man schafft es einfach nicht. Ob es um die saftige Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten von 5,4 Prozent ging, den großen Mitarbeiterstab von Bundeskanzler a. D. Olaf Scholz (acht Leute statt der anvisierten fünf) oder die gewaltige Zinsanstrengung bei der Rückzahlung der Milliardenkredite, die jetzt in Klingbeils Ressort geschaufelt werden, der Bundesfinanzminister glitt um die Fragen herum oder hinter ihnen weg oder unter ihnen hindurch – jedenfalls kam er davon, ohne sie so zu beantworten, dass irgendein Schatten auf ihn, sein Ressort, sein Amt oder die SPD gefallen wäre. Er mag sogar den Herrn Söder. Er duzt ihn nicht, aber er mag ihn. Herr Söder war nicht im Studio, also entfiel die Gegenprobe.

Maischberger versuchte ja wirklich, Klingbeil zu stellen. Die unglaubliche Karriere des Wahlverlierers nach der verlorenen Wahl ging auch ihr noch nach. „Was macht Bärbel Bas besser als Saskia Esken?“, fragte sie den SPD-Vorsitzenden und spielte auf sein rigoroses Aufräumen in der eigenen Partei nach dem Desaster im Februar an. Antwort Klingbeil: „Es geht nicht um ‚Besser machen‘, sondern darum, dass Bärbel Bas eine andere Politikerin ist und andere Schwerpunkte setzt.“ Doch!, hätte man ihn am liebsten angebrüllt. Es geht ausschließlich ums Bessermachen! Was denn sonst?

Aber niemand war da, der ihn angebrüllt hätte. Maischberger brüllt nun einmal nicht. Sie sandte ihm zum Abschied noch einen kleinen aparten Maischberger-Giftpfeil hinterher, nachdem er den schrecklichen Satz gesagt hatte, er und Bärbel Bas wollten „gemeinsam an der Stärke der Sozialdemokratie arbeiten“, sie sagte also: „1a-Diplomat in eigener Sache und der SPD. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Lars Klingbeil.“

Wir danken auch. Der Mann wird es noch weit bringen.