Lando Norris wird Formel-1-Weltmeister bei Rennen in Abu Dhabi

Max Verstappen tritt seinen Weltmeistertitel standesgemäß ab – mit einem grandiosen Sieg beim Großen Preis von Abu Dhabi. Doch der achte Saisonerfolg nützt dem Niederländer nichts mehr, am Ende reicht dem Briten Lando Norris ein dritter Platz, um mit zwei Pünktchen Vorsprung zum ersten Mal Weltmeister zu werden. Sein McLaren-Team hat zuletzt viele Chancen verschenkt, aber den Matchball hat sich der 26-Jährige aus Bristol nicht nehmen lassen.

Ein eher unauffälliger, aber klug herausgefahrener Triumph – und damit das Spiegelbild seiner Saison. Das Ende einer Fahrzeug- und Motorenära in der Formel 1, und der Beginn einer neuen Karriere. Teamkollege Oscar Piastri wird Zweiter im letzten Rennen und Dritter in der Gesamtwertung, ihm fehlen 13 Punkte auf Norris.

„Es war eine lange Reise“

„Mein Gott, das ist Wahnsinn“, rief der neue Champion ins Bordmikrophon, „ich habe schon eine ganze Weile nicht geweint, ich dachte ich würde es nicht tun, aber ich habe es getan. Es war eine lange Reise, oh, nicht wieder weinen. Jetzt sehe ich wie ein Looser aus. Jetzt weiß ich ein kleinwenig, wie Max sich fühlen muss, ich bedanke mich bei beiden Konkurrent. Es war so eng.“
Die Richtung des Titelverteidigers ist schon am Start klar. Von der achten Pole-Position des Jahres aus zeigt die Fahrzeugspitze des Red-Bull-Honda leicht nach links, Richtung der Ideallinie des WM-Spitzenreiters Norris. Was für ein reizvoller Kontrast: Hier der eine, der alles riskieren kann, weil er nichts zu verlieren hat. Dort der andere, der alles verlieren kann, wenn er zu viel riskiert. Norris ist der einzige, der aus eigener Kraft Champion werden kann. Und hinter den beiden lauert Piastri, der überhaupt nur eine Chance hat, wenn er den 24. WM-Lauf gewinnt. Es ist angerichtet, spannender geht es kaum.

Keine Überraschung, dass Max Verstappen als erster scharf in den Links-Knick nach dem Start einbiegt. Mit Ansage greift Piastri schon in der ersten Runde Norris an und geht an ihm vorbei, obwohl er auf der vermeintlich schlechteren Reifenmischung unterwegs ist. Ein Manöver, das schwer zu lesen ist zu diesem Zeitpunkt. Fährt Piastri wirklich nur auf eigene Rechnung, oder ist er auf mannschaftsdienlicher Taktik unterwegs?

„Es ist zwar nicht komfortabel, aber es sieht gut aus“, kommentiert McLaren-Boss Zak Brown kryptisch das Überraschungsmanöver gegenüber dem TV-Sender Sky. Piastri ist ohnehin der Pilot, der am schwersten auszurechnen ist. Über seine Außenseiterchancen beim Showdown hatte der Australier nur gesagt: „Komische Dinge können passieren.“ Das deckt sich mit der Herangehensweise von Verstappen: „Alles ist möglich.“

Und schon kann alles vorbei sein

Max Verstappen weiß, dass ihm ein Sieg allein nichts nützt, solange Lando Norris Dritter ist. Alle Rechenbeispiele drehen sich darum, ob noch ein anderes Auto dazwischen fährt. Charles Leclerc in einem Ferrari, dessen Qualitäten der Monegasse eher im Rallyebereich ansiedelt, hat sich hinter Norris gehängt, der offenbar mit seinen Reifen hadert. McLaren weist Piastri an, Verstappen zu jagen und so vielleicht in einen Fehler zu treiben. Es sind schon unter normalen Umständen viele Variablen, hinzu kommt im Finale der enorme Druck, der auf allen Beteiligten lasten.

Eine kleine Unaufmerksamkeit, eine falsche Lenkbewegung – und schon kann alles vorbei sein. Als Schreckgespenst spukt allen das erste Rennen in Abu Dhabi durch den Kopf, als 2010 sogar vier Fahrer Chancen haben. Allerdings werden es weder der Favorit Fernando Alonso im Ferrari noch Red-Bull-Pilot Mark Webber, sondern der Außenseiter Sebastian Vettel. Denn die Ferrari-Strategen hatten sich verzockt, unter ihnen war damals der heutige McLaren-Teamchef Andrea Stella. Der Schmerz ist eine stets präsente Warnung bei dem italienischen Ingenieur.

Zugespitzte Rennen wie dieses finden immer auch im Kopf statt. Die technischen und taktischen Schwächen in den beiden letzten WM-Läufen hatten überhaupt erst dafür gesorgt, dass das Titelrennen bis zum Schluss offen blieb – im Zusammenspiel mit einem erstarkten Verstappen. Norris kommt als erster der Kandidaten nach 17 Runden zum Boxenstopp, fällt zwischenzeitlich auf Rang neun zurück und läuft bei seiner Fahrt zurück nach vorn auf Verstappens Teamkollegen Yuki Tsunoda auf.

Der Japaner wird zum Testfahrer degradiert, will aber einen würdigen Abschied und wird dementsprechend vom Kommandostand aufgefordert, Norris das Leben schwer zu machen. Tsunoda gibt zurück: „Ich weiß, was ich zu tun habe.“ Aber wie alles, was der 25-Jährige in diesem angepackt hat, geht das fast schief. Er wechselt mehrfach die Spur, dann drängt er mit größtmöglicher Brutalität Norris in Richtung Leitplanken. Ein Schreckmoment, was wäre das für ein Skandal geworden, wenn ein schmutziges Manöver die WM entschieden hätte?

Eines der schnellsten Rennen des Jahres

Verstappen hingegen legt einen souveränen Boxenstopp hin, Piastri fährt dann lange vorneweg. Zwar setzt Leclerc weiterhin Norris zu, aber das Gesamtbild zur Rennmitte zeigt, dass McLaren mit zwei Autos auch taktisch im Vorteil ist gegen den auf sich allein gestellten Verstappen. Zwei gegen Einen gilt in der Formel 1 anders als auf dem Schulhof nicht als feige, zumindest nicht, wenn es um den Titel geht. Die so genannten „Papaya rules“ bei McLaren basieren zwar auf Chancengleichheit, aber klar ist auch, dass der am Ende chancenlosere der beiden Kandidaten dem anderen helfen muss.

Verstappen fährt eines seiner schnellsten Rennen des Jahres, aber das allein nutzt ihm wenig, solange sich Norris auf dem dritten Platz hält. Es sind noch 20 Runden, die letzte Chance, über clevere Reifenwechsel eine Entscheidung zu erzwingen. Norris kommt im 41. Umlauf just in dem Moment, als Verstappen Piastri einfängt, obwohl er bereits einen Stopp eingelegt hatte und der Australier nicht.

Auch Piastri holt sich frische Pneus für den Schlussspurt und bleibt knapp fünf Sekunden vor Norris. Für den könnte der heranpreschende Leclerc zum Problem werden, der Ferrari ist im Renntrimm plötzlich wieder eine Macht. Verstappen fragt an der Box nach: „Kommt Charles ran?“ Desillusionierende Antwort: „Nicht wirklich.“ Dann hat das Hoffen, aber auch das Bangen ein Ende: Lando Norris ist der 35. Fahrer der Formel-1-Geschichte, der Weltmeister wird.