
Für sie: Leichte Muse
Was ziehe ich an? Diese Frage bewegt Leute stark, die auf Vernissagen und, noch wichtiger, auf Kunstmessen wie die Art Basel gehen. Man ist ja offiziell für die Kunst hier, weswegen man sich möglichst lässig in die angestrengt unangestrengten Künstler-Looks der anderen einfügen möchte. Und am besten wäre es natürlich, man sähe aus wie eine echte Sammlerin mit Geld- und Geschmackshintergrund. Aber das ist eigentlich vergebliche Mühe. Weil die großen Galeristen und Sammler ihre Sales schon gemacht haben, bevor solche Kunst-Events überhaupt angefangen haben – in Hotels oder Privatjets. Man ist also selbst dann längst als Adabei geoutet, wenn man auf das Preview-Event eingeladen ist, so wie hier Claudia Schiffer auf der Frieze Art Fair in London. Ja, ihr Lieblings-Bild von Andy Warhol hängt bei ihr zu Hause, außerdem noch ein Ed Ruscha mit dem Titel „Marry Me“, der in Auftrag gegebene Heiratsantrag ihres Gatten. Auf die Frage nach dem Lieblingsbild mit Warhol zu antworten, hilft aber nicht dabei, ernst genommen zu werden, genauso wenig wie das Outfit, das sie hier trägt. Wieso, sieht doch gut und unaufdringlich aus, denkt sich der unbedarfte Beobachter. Schon, aber die gut gekämmte Schiffer trägt einen Komplett-Look von Chloé, einem Label, für das sie modelt, was hier allen die ewig beweinte Verquickung von Kunst und Kommerz schmerzhaft vor Augen führt. Hätte sie doch wenigstens einen Baumwoll-Beutel mit Galerie-Logo statt It-Bag zu dieser sauberen Werbefläche getragen! Wie geht man denn nun stilvoll Kunst anschauen? Vor allem nie zur Eröffnung, sondern immer erst, wenn alle weg sind. Und dann ganz einfach als man selbst.

Für ihn: Rüstige Rüstung
Der hier zu sehende, agile 70-Jährige ist Mario Testino, bis 2018 einer der bekanntesten und meistgebuchten Modefotografen der Welt. Er fotografierte zum Beispiel die legendär anzüglichen Tom-Ford-Kampagnen und die weniger anzüglichen britischen Royals und hatte eine Standleitung zu allen Supermodels der alten Fashionwelt. Seine Karriere mit und im Blitzlicht endete allerdings ziemlich abrupt, als Vorwürfe wegen sexueller Belästigung im Raum standen und sich viele Modemarken von ihm abwandten. Ein Urteil ist in dieser Sache nie gefallen, und Testino macht seither das, was viele Männer machen, die ihre Verrentung nur zähneknirschend wahrhaben wollen: Viel auf Reisen sein und mit frisch gemachten Zähnen bei Kunstmessen rumstehen. Sein Look beim Wiedersehen mit Claudia S. ist dazu passend, so ein typischer Aktivsenior-Look, den man auch am Tegernsee und in sämtlichen Yachthafen-Restaurants dieser Welt oft sieht: Ganz wichtig sind dabei die Sneakers der Schweizer Marke On, die vordergründig signalisieren, dass hier einer dynamisch noch den ganzen Tag auf den Beinen sein muss. Und hintergründig, dass hier einer eben auch Wert auf ein sehr bequemes Fußbett legt. Dazu eine Hose in einer Freizeit-Farbe, mit der sich der Kontrast zur armen, arbeitenden Bevölkerung deutlich machen lässt. Gerne zeigen Premiumsenioren bei solchen Gelegenheiten auch rotes oder gelbes Beinkleid, denn man ist ja aufgeschlossen. Obenrum herrscht bei Testinos Kunstmessen-Auftritt ein klaffendes Durcheinander aus Hemd, Sakko und Übergangsjacke. Damit ist man nämlich für alles gewappnet, was der Tag an Abenteuern bringt. Meistens ist das größte Abenteuer aber der Nervenkitzel, abends herauszufinden, in welche der vielen Taschen man seinen Schlüssel versenkt hat.