
Es klingt, als habe sich Heidi Klum etwas besonders Demütigendes ausgedacht, aber der „Sausage Walk“, der aus London stammt und weltweit Nachahmer findet, hat mit Zynismus nichts zu tun: Der Massenspaziergang mit drollig verkleideten Dackeln ist ein alle Welt euphorisch stimmender Niedlichkeitsexzess. Der Erfolg dieser Walks – grafisch gut darstellbar als immer länger werdender Wursthund – liegt wohl nicht zuletzt daran, dass das Bedürfnis nach etwas durch und durch Unverlogenem so groß ist. Ein Blick in Dackelaugen kann viele Wunden heilen.
Das wird vielleicht auch die hochmögenden Arte-Programmverantwortlichen dazu bewogen haben, eine schnuffelige Dackel-Doku ins Programm zu nehmen, die zwar von A (wie Ableinen) bis Z (wie Zucht) nach einer Routinereportage aus dem regionalen Frühstücksfernsehen klingt, aber zahllosen Dackeln tief in die Augen blickt. Minimalwissen wird zwar apportiert – so die Einteilung der Teckel, wie es in der Jägersprache heißt, in drei Modelle (Kaninchen-, Zwerg-, Standard-) mit je drei Behaarungsausführungen (lang-, rau-, kurz-) –, aber wenn gleich zu Beginn knuffig musikuntermalt Sätze wie „Die preisgekrönte Hündin Wanda ist trächtig“ oder „Auch Frankreich ist im Dackelfieber“ gesagt werden, dann ist eigentlich klar: Das Hochkulturfernsehen geht gerade Gassi. Klingt klar nach Klientelprogramm, aber können wir nicht alle 45 Minuten Eskapismus gut gebrauchen?
Erdmann, der Lieblingsdachshund Kaiser Wilhelms II.
Oliver Storz, der gemeinsam mit Josef Küblbeck das Regensburger Dackelmuseum betreibt, bringt es umstandslos auf den Punkt: In Europa fliege uns gerade die Welt um die Ohren. „Wir haben Krieg, was sich keiner vorstellen konnte.“ Und da suchten die Menschen „wieder etwas Bodenständiges“. Natürlich – die Konzession ist zu machen – gibt es auch diesen einen „Reichsdackel“: Erdmann, den Lieblingsdachshund Kaiser Wilhelms II., ohne den keine Dackelkulturgeschichte auskommt (zumal auch Wilhelms Großmutter, Queen Victoria von Großbritannien, eine große Dackelliebhaberin war). Auf alten Filmaufnahmen ist Erdmann mit eigens angefertigter Pickelhaube zu sehen, bei seinem Tod gab es ein Staatsbegräbnis mit eigenem Grabdenkmal bei Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. Preußische Allüren. Erwähnt wird das alles hier natürlich auch, aber eher en passant.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Filmemacherin Pia Schädel in historischer Hinsicht zunächst nach Frankreich schaut, wo Napoleon, Brigitte Bardot und der Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau als Teckelfans bekannt sind. Später wird es – ohne allzu tiefe intellektuelle Buddelei – um die deutsche Dackelmode der Fünfzigerjahre gehen: „Die Menschen wünschen sich friedliche Geschichten, die sie nicht an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnern.“ Beleuchtet wird der Dackelhype, der durch Waldi, das Maskottchen der Olympischen Spiele von München 1972, ausgelöst wurde. Das Attentat islamistischer Palästinenser auf israelische Olympioniken, bei dem elf Sportler, ein Polizist und fünf Terroristen getötet wurden, änderte daran nichts.
Die eigentlichen Reportagepassagen der Doku präsentieren den Dackel als perfekten Jagdhund (eine echte, blutige Jagd mutet der Film den Zuschauern nicht zu, nur eine Testjagd mit Ködern: „Wiener Würstchen, das lieben alle Dackel“), als etwas sturen Rennhund (der bei Wettbewerben nur rennt, wenn ihm danach ist), als Denkmalpfleger (seine Nase entdeckt jeden Holzwurm) und als tapsige Welpenbande zum Dahinschmelzen (Wandas Wurf umfasst sechs wuffige Würstchen).
Weil man dem Hochkultursender dann aber wohl doch irgendetwas in Richtung Kunst anbieten musste, gibt es noch einen Schwenk zu Picasso, von dem nicht nur die berühmte Einstrichzeichnung stammt, die heute Tassen, Näpfe und T-Shirts für Dackelliebhaber ziert, sondern der selbst auf den Sausage Dog gekommen war. Der amerikanische Fotojournalist David Douglas (sprich: Dack’les) Duncan hatte den Maler 1957 mit seinem Hund Lump besucht, und Lump, der Lump, suchte sich einfach ein berühmteres neues Herrchen. Picasso war ganz vernarrt in diesen sanftmütigen Dackel, den er malte, modellierte und dem er Kaninchen aus Papier baute, echte Picassos zum Zerkauen. Schließlich überrascht Küblbeck noch mit einer Aussage zur Todesursache des Malers, der nach landläufiger Meinung an Lungenversagen starb: „Einen Monat nachdem Lumpito starb, verstarb auch Picasso.“ Daran sehe „man die Verbundenheit von Mensch und Tier, sprich: dem Dackel“.
Genau gerechnet war es kein Monat, sondern ein Drittel davon, zehn Tage, aber Rechnen ist auch der Dackel größte Stärke nicht. In IQ-Tests schneiden sie nicht überragend ab, keine solchen Dummchen wie Chow Chows, aber weit hinter Border Collie, Pudel und Schäferhund. Es muss ja nicht jeder studieren. Ein ehrlicher Hand-, will sagen: Nasenwerker unter den Hunden also ist der Dackel, lernen wir. Und haben eine Dreiviertelstunde nicht an die Kriege um uns herum gedacht. Was fehlt, ist bloß die mal Edison, mal Einstein zugeschriebene Anekdote, die drahtlose Telegraphie anhand eines Dackels erklärt zu haben: Man stelle sich einen solchen vor, der von New York bis London reiche. „Wenn Sie ihn in New York in den Schwanz zwicken, jault er in London.“ Da kommt keine Brieftaube mit. So bleibt nur das Fazit: Ohne Dackel? Es möchte kein Hund so länger leben.
Der Dackel läuft an diesem Donnerstag um 20.15 Uhr auf Arte.