
Fast drei Jahre ist es her, dass Open AI mit der Einführung von ChatGPT eine neue Ära in der Technologieindustrie einläutete und Künstliche Intelligenz erstmals in die breite Masse brachte. Dieser Coup war nicht unbedingt vorauszusehen, weitaus finanzstärkere Branchenvertreter wie Google und Meta hatten an ähnlichen KI-Systemen gearbeitet. Es war auch alles andere als selbstverständlich, dass Open AI an der vordersten Front bleiben würde.
Die Konkurrenz hat nach dem ChatGPT-Beben alle Kräfte mobilisiert und erhebliche Fortschritte gemacht. Aber vereinzelten Ausrutschern zum Trotz ist Open AI bis heute tonangebend und feuert mit neuen Angeboten aus allen Rohren. Zum Beispiel mit einem sozialen Netzwerk rund um seine Video-KI Sora oder der Integration von Apps in ChatGPT. Open AI arbeitet sogar an einem speziellen KI-Gerät, das einmal heutige Aufgaben von Smartphones übernehmen könnte. ChatGPT hat jetzt mehr als 800 Millionen Nutzer, und Open AI ist mit einer Bewertung von zuletzt 500 Milliarden Dollar das teuerste nicht börsennotierte Unternehmen der Welt.
Seine Aggressivität demonstriert Open AI in diesen Tagen allerdings nicht nur mit KI-Produkten, sondern auch mit Finanzakrobatik. Das Kalkül dahinter: Im gegenwärtigen KI-Wettrennen können nur diejenigen bestehen, die rasant ihre Computerkapazitäten in Rechenzentren ausbauen, und das verschlingt enorme Summen. Wie Vorstandschef Sam Altman sagt, will Open AI in der näheren Zukunft mehrere Billionen Dollar ausgeben. Anders als Google oder Meta, die auf sprudelnde Gewinne aus ihrem Werbegeschäft zurückgreifen können, kann Open AI dies aber nicht annähernd aus eigener Kraft stemmen. So schnell die Nutzerzahlen von ChatGPT auch steigen: Die Einnahmen sind bislang gemessen an den kühnen Expansionsvorhaben überschaubar.
Einsatz von kreativen Konstrukten
Aus dieser Not heraus hat Altman in jüngster Zeit eine Serie ungewöhnlicher Allianzen geschlossen. Der Chipkonzern Nvidia will sich mit bis zu 100 Milliarden Dollar an Open AI beteiligen, und dieses Geld soll offenbar direkt wieder in die Anschaffung von Nvidias KI-Chips fließen. Auch mit dem Nvidia-Wettbewerber Advanced Micro Devices (AMD) wurde ein Chipkauf inklusive Kapitalverflechtung vereinbart, wenn auch in umgekehrter Form. In diesem Fall soll Open AI zum Großaktionär von AMD werden. Jenseits solcher kreativen Konstrukte vergibt Open AI auch konventionelle Aufträge, bei denen es um atemberaubende Beträge geht. Ein Abkommen mit dem Softwarekonzern Oracle ist auf 300 Milliarden Dollar dotiert.
Der Investitionsrausch von Open AI verheißt den Partnern nicht nur Umsätze, sondern auch Relevanz, denn damit ist die Aussicht verbunden, mit einem Protagonisten der KI-Revolution in einem Atemzug genannt zu werden. AMD und Oracle, zwei Traditionsadressen der Technologiebranche, konnten sich dank ihrer Kooperationen mit Open AI über lange nicht gekannte Kurssprünge an der Börse freuen. Dieser Überschwang macht aber auch stutzig, umso mehr als die Transaktionen in diesem immer komplexeren Netz an Querverbindungen de facto den Effekt haben können, dass Geld hin und her verschoben wird. Etwa von Open AI über Oracle und Nvidia wieder zurück zu Open AI.
In der Technologiebranche wird in jüngster Zeit verstärkt über die Gefahr einer KI-Blase diskutiert, und Open AI befeuert diese Debatte mit seinen Finanzmanövern weiter. Es ist heute eine offene Frage, inwiefern sich die gigantischen Investitionen auf diesem Gebiet auszahlen werden. Viele Geschäftsmodelle, darunter auch das von Open AI, stehen noch am Anfang. Unlängst sorgte eine Studie des Massachusetts Institute of Technology für Aufsehen, wonach sich 95 Prozent der untersuchten KI-Projekte in Unternehmen finanziell nicht ausgezahlt hätten.
Altman selbst hat Investoren „übermäßige Begeisterung“ rund um KI attestiert. Freilich sieht er sein eigenes Unternehmen auf der siegreichen Seite, und er spricht von einer Zukunft mit sagenhaften Gewinnen. Er arbeitet im Moment zielstrebig darauf hin, mit Open AI die nächste große Techplattform aufzubauen und so etwas wie ein KI-Betriebssystem zu entwickeln. Dabei hat er keinerlei Scheu, sich mit den größten Konzernen der Branche wie Meta, Google und Apple anzulegen. Von seinem Erfolg hängt viel ab, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Partnerunternehmen, die ihr Schicksal eng an Open AI geknüpft haben. Es sind Wetten, die schiefgehen können – so gut die Ausgangsposition von Open AI heute auch sein mag.