Kritik an Regierung nach Anschlag in Sydney

Ein Rabbi, ein Holocaust-Überlebender, ein Israeli und ein Franzose – sie alle gehörten zu den Gästen der Feier zum „Chanukka am Meer“ am Sonntagabend am australischen Bondi Beach. Jetzt sind sie tot. Sie wurden Opfer eines Terror-Gespanns aus Vater und Sohn. Die 50 und 24 Jahre alten Männer hatten ihren Familien gesagt, sie wollten zum Fischen gehen. Stattdessen machten sie Jagd auf Juden, die an dem berühmten Strand von Sydney den ersten Tag des jüdischen Lichterfests begingen. Doch der eigentliche Täter ist der „bösartige Antisemitismus“, von dem der australische Ministerpräsident Anthony Albanese wenige Stunden nach dem Angriff sprach. Da sind sich in Australien vor allem die Mitglieder der jüdischen Gemeinde einig, die durch den Anschlag mit nunmehr 16 Toten – darunter ein zehn Jahre altes Mädchen und der ältere der beiden Schützen – und 42 Verletzten auf lange Sicht erschüttert wurde.

An Warnungen, dass sich der Hass auf Juden in Australien immer mehr ausbreite, hatte es nicht gemangelt. „Leider muss ich sagen, dass ich mit angehaltenem Atem befürchtet habe, dass so etwas passieren würde. Denn es kam nicht ohne Vorwarnung”, sagte Jillian Segal dem australischen Sender ABC. Segal ist seit dem vergangenen Jahr Australiens Sonderbeauftragte für Antisemitismus. Mit der erstmaligen Ernennung einer Beauftragten im Kampf gegen Judenhass hatte die Regierung auf eine Reihe von Zwischenfällen in Australien seit der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober 2023 reagiert. Dazu gehörten persönliche Angriffe auf Juden, Schmierereien auf Autos und Wände und Brandanschläge auf Synagogen. Auf einer pro-palästinensischen Demo an der Sydney Oper wurden judenfeindliche Parolen skandiert. Nach einem weiteren Protest auf der Harbour Bridge waren ebenfalls Vorwürfe des Antisemitismus laut geworden.

Heftige Kritik von Seiten Netanyahus

Segal zufolge hatten die antisemitischen Vorfälle innerhalb eines Jahres nach dem Oktober-Anschlag um 300 Prozent zugenommen. Australien war ihr zufolge nicht entschlossen genug gegen Antisemitismus vorgegangen. Segal hatte im Juli einen umfangreichen Plan vorgelegt, der konkrete Schritte für den Kampf gegen den Judenhass in der Gesellschaft vorsah. Demnach sollte Universitäten, die sich nicht gegen Judenfeindlichkeit einsetzten, die Finanzierung gestrichen werden können. Zudem sollten die Berichterstattung der Medien beobachtet und Antragsteller auf australische Visa auf antisemitische Äußerungen geprüft werden. Die Albanese-Regierung hatte bisher nicht auf den Plan reagiert. Am Montag wurde sie unter anderem von der Oppositionsführerin Sussan Ley „mit Nachdruck“ aufgefordert, die Empfehlungen so bald wie möglich umzusetzen.

Scharfe Kritik an der australischen Regierung kam außerdem aus Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte noch am Sonntagabend erklärt, Australien vor vier Monaten in einem Brief gewarnt zu haben, „dass die Politik der australischen Regierung Antisemitismus in Australien fördert und ermutigt“. Netanjahu meinte damit insbesondere die Anerkennung eines palästinensischen Staats durch Australien und einige andere Länder unter dem Eindruck des Gaza-Kriegs. Er warf Albanese vor, damit „Öl ins antisemitische Feuer“ gegossen zu haben. Auf die Frage eines Journalisten nach Netanjahus Kritik ging Albanese am Montag auf einer Pressekonferenz nicht ein. Dies sei „ein Moment der nationalen Einheit“, an dem die Australier zusammenkommen müssten, sagte Albanese.

Albanese-Regierung wehrt sich gegen Vorwürfe

Auf die Frage, ob seine Regierung die australischen Juden im Stich gelassen habe, sagte der Ministerpräsident, seine Regierung habe „starke Maßnahmen“ ergriffen und werde weiterhin gegen Antisemitismus in allen Formen vorgehen. Der Regierungschef führte das nicht näher aus, könnte damit aber die verschärften Sicherheitsvorkehrungen an jüdischen Einrichtungen meinen, für die seine Regierung insgesamt umgerechnet 33 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hatte. Ley zufolge ist es aber „eindeutig nicht gelungen, die Sicherheit der jüdischen Australier zu gewährleisten“. „Wir haben eine Regierung, die Antisemitismus als ein Problem betrachtet, das bewältigt werden muss, und nicht als ein Übel, das ausgerottet werden muss“, sagte die Oppositionsführerin auf einer Pressekonferenz am Montag. „Ab heute muss sich alles ändern, was die Reaktion der Regierungen angeht.“

Angesichts dieser scharfen Kritik bereits wenige Stunden nach dem Anschlag dürfte es schwierig für die sozialdemokratische Labor-Regierung werden, den Verdacht wieder loszuwerden, sie habe nicht genug für den Schutz der jüdischen Gemeinde getan. In Teilen der konservativen Opposition verknüpfen manche den Anstieg der Judenfeindlichkeit außerdem mit der Zuwanderung. Es sei „ein beschämender Moment“ für ein Land, das stolz auf die Harmonie zwischen verschiedenen Einwandererkulturen war, kommentierte die Zeitung „The Australian“. „Stattdessen scheint es, als hätte Australien uralte Feindseligkeiten importiert, die sich auf tragische Weise auf unserem Boden entfaltet haben.“ Das Massaker werde Australien „als Brutstätte antisemitischen Terrors auf die Weltkarte bringen“, so die Zeitung weiter.

Blumen am Surferstrand

Dabei waren am Montag die jüdische Gemeinde und mit ihr viele weitere Australier in Trauer vereint. Viele kamen zu dem ikonischen Strandgebiet in dem Vorort Bondi direkt vor den Toren der Millionenmetropole Sydney, an dem sich sonst die Badenden und Surfer tummeln, um dort Blumen niederzulegen. Alex Ryvchin vom Exekutivrat der australischen Juden sagte dem Sender Sky News, seine Gedanken seien zunächst bei den Toten und ihren Familien. „Aber es wird eine Abrechnung geben, es wird in den kommenden Tagen einen Zeitpunkt geben, an dem wir uns damit befassen, wie dies geschehen konnte“, so Ryvchin. Er wisse, dass der Ministerpräsident diese Art von Hass verabscheue, sprach aber von einem „kolossalen Versagen der Regierung“.

In ihrer Berichterstattung gedachte die australische Presse unter anderem dem Holocaust-Überlebenden Alex Kleytman und dem Rabbiner Eli Schlanger, die zu den Opfern des Anschlags gehörten. Der aus Großbritannien nach Australien übergesiedelte Schlanger, ein Vater von fünf Kindern, gehörte zu den Organisatoren der Chanukka-Feier und war einer der bekanntesten Vertreter der jüdischen Gemeinde in Bondi. Presseberichten nach hatte er in den vergangenen Monaten an die jüdische Gemeinde appelliert, sich trotz der Anfeindungen nicht zu verstecken. „Sei jüdischer, handle jüdischer und wirke jüdischer“, habe er gesagt. Ein in England lebender Cousin bezeichnete Schlanger einem dortigen jüdischen Medium zufolge als „fröhlichen Rabbiner“, der als einer erinnert werde sollte, „der mehr Licht“ auf der Welt verbreitete.