Krippendarstellungen: Jesus lag schon mal im Sarkophag

Das Christkind ist verschwunden, die Krippe leer. Zumindest im Fall jener Nachstellung der Weihnacht in der nordamerikanischen Kirchengemeinde Saint Susanna in Dedham, Massachusetts. Die stellte dieses Jahr eine Krippe mit fehlender Heiliger Familie auf. Zwar schwebte ordnungsgemäß der Engel mit „Gloria“-Schriftrolle über der Szenerie der Christnacht und betete ein junger Hirte mit erhobenen Händen, ebenso wie von rechts etwas vorzeitig schon die Heiligen Drei Könige dazutraten. Doch waren weder Jesus, Maria noch Joseph zur Stelle, die Krippe verwaist. Anstelle des Kindes aber stand ein Schild vor der Krippe mit der Aufschrift „I.C.E. WAS HERE“ in kantig-martialischen Lettern.

Die Gemeindemitglieder vergleichen damit Trumps Häscher der I.C.E., die in den USA gerne des Nachts Migranten ergreifen, kasernieren und abschieben, dabei mitleidlos Familien auseinanderreißen, indem sie Kinder von ihren Eltern trennen, mit den Greifern des biblischen König Herodes. Wie dieser, so der Analogieschluss des „I.C.E. WAS HERE“ in der Krippe von Saint Susanna, lasse Präsident Trump die Kinder und Eltern ergreifen und malträtieren. Tatsächlich waren Maria, Joseph und damit auch Jesus ebenfalls Flüchtlinge, fremd in Bethlehem, arm, obdachlos. Wer kann schon mit Gewissheit sagen, ob sich nicht der Heiland gerade unter den verfolgten Hispanos verbirgt? Beruhigend versichert die besorgte Gemeinde in deutlich kleinerer Schrift unter der Fehlanzeige, das Christkind habe sichere Zuflucht im Altarraum der Kirche genommen.

Skurrile Menschen, Mischwesen und allerhand Getier

Bei all der Trübsal des zurückliegenden Jahres wirkt eine Ausstellung wie die jüngst im Kölner Museum Schnütgen eröffnete „Glaube mit Humor – Ein Gebetbuch aus Nordfrankreich“ da wie ein erbauliches Antidot. Die neu erworbene Handschrift aus der Zeit um 1300, die derzeit in einer kleinen Schau vorgestellt wird, ist ein besonders prachtvolles Beispiel für die Buchmalerei der französischen Gotik. Von besonderem Reiz unter den 700 Folios des Psalter-Breviars sind die Zierseiten mit großen Anfangsbuchstaben voller figürlicher Darstellungen und Blattranken, in denen sich skurrile Menschen, Mischwesen und allerhand Getier tummeln.

Wer knabbert da an meinem Haar? Eine Darstellung von Ochs und Esel an der Krippe aus dem Psalter-Breviar, entstanden um 1300
Wer knabbert da an meinem Haar? Eine Darstellung von Ochs und Esel an der Krippe aus dem Psalter-Breviar, entstanden um 1300Museum Schnütgen Köln

In der aufwendig illuminierten Initiale auf Folio 118 recto, wie die mittelalterliche Pergamentseitenzählung korrekt lautet, stehen Ochs und Esel an Fuß und Kopf der Krippe, die ein Rundbogenfenster mit Schneuß bekrönt. Das Maul des Esels aber vergräbt sich – statt das Neugeborene mit seinem heißen Atem in der kalten Winternacht zu wärmen – in der Lockenpracht des Jesusknaben, sodass es wirkt, als fresse ihm das Grautier die ersten Haare vom Kopf. Auch der Ochse erfüllt keineswegs seine heilsgeschichtliche Pflicht des Wärmens (ursprünglich wurde das Vieh hinzugenommen, um die Typologie in Jesaja 1,3 zu erfüllen, wo der Prophet klagt: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht“), sondern scheint lustvoll in die mumienhaft eingewickelten Füße des Heilands zu beißen. Angesichts der für ein Gebetbuch zum Teil erstaunlich derb-provokanten Randszenen darf dem Buchmaler unterstellt werden, dass er das von ihm sehr bewusst gesetzt Groteske auf die Tiere ausweitet, die den Messias anknabbern, als wäre er eine Leib-Christi-Hostie in der Messe.

Krippe leer, Krippe umstanden von enthemmt fresslustigen Tieren, der Geburtstrog erscheint wie ein Spiegel der Fährnisse dieser Welt. Dabei war der zum Heilandsbett umfunktionierte Futtertrog einst ehrwürdiges Signum der Gottessohnschaft Christi. Franz von Assisi wird die Erfindung der ersten Krippe zugeschrieben, Tiere inklusive. Selbst das vom Knaben belegene Stroh war dem Mittelalter so heilig, dass es eine hochverehrte Reliquie wurde.

Sarkophag statt Krippe

Doch ist man ehrlich, war die Krippe immer schon ein unbequemer bis gefahrvoller Ort für den schutzlosen Miniaturmessias. Nicht erst die italienischen Renaissancemeister wie Andrea Mantegna verwandeln in ihrer Antikensehnsucht die Futterraufe in einen antiken Sarkophag, mithin eine Totenkiste aus kaltem Stein (womit sie zumindest realienkundlich nicht danebenlagen, wurden doch in Italien nicht selten die einst sündteuren Marmorsarkophage zu Fresströgen für Tiere zweckentfremdet).

Theologisch aber war mit der Bettung des Jesuskinds in einem Sarg natürlich schon seit der Spätantike und dem Frühmittelalter auf den kommenden Opfertod Christi angespielt, was sich auch in seinen häufig wie später am Kruzifix überkreuzten Beinchen und den wie am Querbalken des Kreuzesstamms horizontal ausgebreiteten Ärmchen äußert.

Explizit wird diese juvenile Opfermetaphorik des eben erst Geborenen in Bildern, in denen er auf einem steinernen Block liegt, als würde er im nächsten Moment auf diesem Opferaltar geschlachtet, was de facto seine Entsprechungen in der Theologie des Mittelalters hat. Vielleicht schadet es ja nicht, beim nächsten Einfüllen des Echt-Strohs in die putzige kleine Krippe unterm Weihnachtsbaum kurz an die wahre Geschichte dieser Glaubens-Wiege zu denken.