
Russischer Strategiewechsel: Hunderte Drohnen, zumeist Shaheds nach ursprünglich iranischer Bauart, terrorisieren in Schwärmen ukrainische Städte – inzwischen auch weitab der Front. Und auch anderswo geht Moskau in die Offensive.
Russland hat die Ukraine zuletzt in einer Woche mit beinahe so vielen Drohnen angegriffen, wie anfangs pro Jahr geschickt wurden. Allein in der zu Ende gehenden Woche habe Russland 1800 Drohnen gestartet, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram, offenbar in Bezug auf Shahed-Drohnen ursprünglich iranischer Bauart.
Laut dem Portal „Airwars“, das Russlands Angriffe auf das Nachbarland zu verifizieren und quantifizieren versucht, waren es im gesamten ersten Jahr nach Aufkommen der Shaheds insgesamt fast 2000 Angriffe mit dieser Waffe. Die rund drei Meter langen Flugobjekte, wegen ihres charakteristischen lauten Brummens beim Anflug von den Ukrainern oft „Mopeds“ genannt, wurden ursprünglich ab Spätsommer 2022 von Teheran geliefert. Inzwischen produziert Moskau die Drohnen auch selbst.
Selenskyj warf dem russischen Militär eine zunehmende Terrorisierung der Zivilbevölkerung vor. Tatsächlich waren zuletzt auch Städte weitab der Front ins Visier russischer Luftangriffe geraten, die bislang von Attacken weitgehend verschont worden waren, darunter Luzk und Czernowitz, weit im Westen und Süden des Landes. Laut Selenskyj wurden zuletzt in einer Woche neben den Drohnen, die oft in Schwärmen angreifen, mehr als 1200 Gleitbomben auf die Ukraine abgeworfen. Hinzu kämen 83 Raketen verschiedenen Typs. „Die Russen verstärken den Terror gegen Städte und Gemeinden, um unsere Menschen noch mehr einzuschüchtern.“
Zugleich lobte Selenskyj die Arbeit der eigenen Flugabwehr. Speziell die entwickelten Abfangdrohnen hätten innerhalb einer Woche schon Hunderte Shahed-Drohnen abgeschossen. Mit den westlichen Partnern habe er zuletzt mehrere Treffen zum Ausbau der Produktion dieser Abwehrwaffe gehabt, schrieb Selenskyj.
Russische Truppen haben derweil ihre Bemühungen zur Eroberung der Inseln im Dnipro-Flussdelta südlich der Hafenstadt Cherson verstärkt. Die Zahl der täglichen Angriffe habe sich von zwei bis drei auf inzwischen sechs bis zehn erhöht, sagte Wladislaw Woloschin, Sprecher der für diesen Abschnitt zuständigen ukrainischen Streitkräfte, dem staatlichen Fernsehen. „Der Feind will damit bestimmte Brückenköpfe in der Region bilden“, erklärte Woloschin.
Die russischen Angriffe seien bisher abgeschlagen worden. Die ukrainischen Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Wer die Dnipro-Inseln kontrolliert, hat nach Ansicht ukrainischer Militärs einen erheblichen taktischen Vorteil. Sollte es russischen Einheiten gelingen, die Inseln zu kontrollieren, wäre ein Vordingen auf das Festland im äußersten Süden der ukrainischen Verteidigungslinien nicht auszuschließen. Zudem wäre dadurch jede Schifffahrt in der Region blockiert.
Russen wollen Ort namens Karl Marx erobert haben
In der ostukrainischen Oblast Donezk wollen russische Truppen derweil die Siedlung Karl Marx eingenommen haben. Damit sei die Eroberung der von Russland beanspruchten Region Donezk beinahe vollständig abgeschlossen, berichtete die russische Staatsagentur Tass unter Berufung auf Militärs. Lediglich zwei Siedlungen stünden noch unter der Kontrolle ukrainischer Einheiten. Aus Kiew gab es dafür keine Bestätigung.
In den ehemaligen Gebieten der einstigen Sowjetunion gibt es viele Ortsnamen mit Bezug auf die damals herrschende Kommunistische Partei und deren führende Politiker. So gibt es eine Vielzahl von Siedlungen mit dem Namen Karl Marx oder auch des Staatsgründers Lenin. Die Region um die Millionenstadt St. Petersburg – die 1991 von Leningrad in St. Petersburg rückbenannt wurde – etwa trägt heute noch die Bezeichnung Oblast Leningrad.
Die Namensgebung kann allerdings auch in die andere Richtung gehen: So gibt es in der Oblast Donezk einen Ort mit dem Namen Nju-Jork – nach dem Vorbild des amerikanischen Big Apple.
säd mit dpa