Der Chef der obersten Gesundheitsbehörde in den USA fordert Krebs-Warnhinweise bei alkoholischen Getränken. In Deutschland hat die Branche eine klare Meinung zu solchen Verbraucherschutz-Forderungen. Tatsächlich hat sich hierzulande der Alkoholkonsum bereits stark verändert.
Vivek Murthy hat weltweit die Aktienmärkte bewegt. Nachdem der sogenannte Surgeon General, also der oberste Mediziner der USA, kürzlich die Einführung von Krebs-Warnhinweisen auf den Etiketten alkoholischer Getränke gefordert hat, sind die Kurse sowohl von amerikanischen als auch von europäischen und asiatischen Brauereien und Spirituosenherstellern gefallen.
Und Analysten warnen vor weiteren Verlusten angesichts möglicher regulatorischer Änderungen, die den ohnehin schon unter Druck stehenden Sektor belasten könnten. „Der Markt reagiert auf die mögliche Einführung von Gesundheitswarnungen auf alkoholischen Getränken mit einer schnellen Abgabepolitik, bevor weitere Fragen gestellt werden“, sagt etwa Edward Mundy, Analyst beim Finanzdienstleister Jefferies Financial Group.
Alkohol sei eine „anerkannte und vermeidbare Ursache für Krebs“ und in den USA für alleine 100.000 entsprechende Erkrankungen sowie 20.000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich, begründet Murthy seinen Vorstoß. Der Mediziner zitiert dabei Studien, denen zufolge Alkoholkonsum mindestens sieben Krebsarten begünstigt, darunter Brust-, Darm- und Rachenkrebs. Zudem werde auch das Risiko für einige Herzerkrankungen gesteigert.
Der US-Kongress solle deswegen die bisherigen Alkohol-Warnhinweise überarbeiten und verschärfen. Bislang wird in den USA auf Bier-, Wein- und Schnapsflaschen davor gewarnt, dass Frauen während der Schwangerschaft keinen Alkohol konsumieren sollten und Alkoholkonsum die Fahrtüchtigkeit oder die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt.
Wirklich neu ist das Thema nicht, auch nicht in Deutschland und Europa. So wurde in den vergangenen Jahren zum Beispiel im Zuge der Initiative „Europas Plan gegen den Krebs“ über gesundheitsbezogene Warnhinweise auf Etiketten diskutiert. Verbindliche Vorgaben aus Brüssel gibt es bislang nicht für die Mitgliedstaaten, erste Länder preschen allerdings vor. In Irland zum Beispiel muss ab Mai 2026 auf Etiketten von alkoholischen Erzeugnissen der Kaloriengehalt und die Gramm-Zahl des Alkohols angegeben und gleichzeitig auf die Gefahr von Lebererkrankungen und tödlichen Krebserkrankungen durch Alkoholkonsum hingewiesen werden.
Für Deutschland bevorzugt der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen andere Methoden. „Die Fachwelt ist sich völlig einig, dass wir in Deutschland viel mehr tun müssen, um die Alkoholprävention zu stärken“, sagt Burkhard Blienert (SPD) WELT. Immerhin gebe es hierzulande rund 1,6 Millionen Menschen, die unter Alkoholabhängigkeit leiden. Und noch deutlich mehr würden Bier, Wein und Spirituosen in gesundheitlich bedenklichen Mengen trinken.
„Die ersten Maßnahmen wären für mich konsequente Grenzen für die Alkoholwerbung und ein viel strikterer Jugendschutz“, so Blienert. Dass in Deutschland schon 14-Jährige im Beisein der Eltern Alkohol trinken dürfen, sei völlig aus der Zeit gefallen. „Wenn wir das geschafft haben, können wir weiter sehen.“
Branche wünscht sich Differenzierung
Aus der hiesigen Alkoholwirtschaft wiederum kommen Widerstand und generelle Zweifel, wie eine WELT-Umfrage bei den Verbänden der betroffenen Branchen zeigt. „Stark vereinfachende Krebs-Warnhinweise, wie Irland sie im Alleingang einführen will, halten wir für nicht sachgerecht und lehnen sie deshalb ab“, sagt Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB).
Die notwendige Unterscheidung zwischen Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch werde dabei ebenso wenig beachtet wie die wissenschaftliche Datenlage. „Der Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebsrisiko ist komplex. Krebs ist eine multikausale Krankheit und Alkohol hier nur einer von vielen vermeidbaren Risikofaktoren.“
Zuletzt hatten sowohl die Weltgesundheitsorganisation WHO als auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) darauf hingewiesen, dass es laut neueren Untersuchungen keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum gibt.
Studien, die in der Vergangenheit positive Effekte von moderatem Alkoholkonsum propagierten, hätten methodische Mängel, heißt es bei der DGE, die ihre Empfehlung zu einem Komplettverzicht auf Alkohol von einer Auswertung von 107 Langzeitstudien durch Forscher der Universität Victoria in Kanada bestätigt sieht. Umgekehrt verweist der Brauer-Bund auf ein Ende Dezember 2024 von der Dachorganisation der US-amerikanischen Wissenschaftsakademien NASEM veröffentlichten Bericht, wonach es für die Behauptung, selbst geringste Mengen an Alkohol seien in jedem Fall ein Risiko, keine stichhaltigen Beweise gibt.
Auch der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure (BSI) meldet Zweifel an. „Alle Studien, die Zusammenhänge zwischen moderatem Trinken und bestimmten Erkrankungen wie Krebs oder kardiovaskulären Erkrankungen aufzeigen, weisen darauf hin, dass es sich keinesfalls um den Nachweis eindeutiger kausaler Zusammenhänge handelt, sondern oft nur um Korrelationen“, sagt Geschäftsführerin Angelika Wiesgen-Pick, die zudem kritisiert, dass individuelle Risikofaktoren wie Genetik oder Lebensführung außen vor gelassen würden. „Zu Ende gedacht, müsste für jedes Individuum ein individueller Grenzwert definiert werden.“ Allgemeingültige Handlungsempfehlungen oder allgemeingültigen Grenzwerte abzuleiten sei jedenfalls nicht praktikabel.
Staatliche Eingriffe lehnt der BSI entschieden ab. „Es muss die Frage erlaubt sein, wie viel Gesundheitsrisikovermeidung in die Zuständigkeit des Staates fällt und welche Einschnitte in die selbstbestimmte Lebensführung verhältnismäßig sind, wenn sich mündige Bürger eigenverantwortlich dafür entscheiden, gewisse Lebens- und Gesundheitsrisiken billigend in Kauf zu nehmen, zum Beispiel, wenn sie Ski fahren, Süßigkeiten essen oder bei besonderen Gelegenheiten einmal eine Spirituose genießen“, sagt Wiesgen-Pick, die auf Präventionskampagnen ihres Verbandes hinweist. „Information Aufklärung, Bildung und eine gute medizinische Betreuung sind der Schlüssel für ein gutes Risikomanagement, das auch Raum für Genuss und Lebensfreude als wichtige Faktoren der psychischen Gesundheit lässt.“
Deutsche Jugendliche so abstinent wie nie
Auch Deutschlands Brauwirtschaft setzt auf Selbstverantwortung und Selbstbestimmung, unterstützt durch Präventionskampagnen. So gebe es schon seit Jahren Initiativen wie „Don’t drink and drive“ oder „Bier bewusst genießen“. Und Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) würden die Wirkung von Aufklärungsarbeit bezeugen.
So gehe der Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit Jahren deutlich zurück und sei mittlerweile auf einem historisch niedrigen Stand, gleichzeitig steige die Abstinenz gerade in der jüngeren Altersgruppe: „Übrigens ohne eine Änderung von Gesetzen oder neue Warnhinweise.“
Tatsächlich hat sich der Konsum von Bier, Wein, Sekt und Spirituosen in Deutschland in den vergangenen knapp 50 Jahren mehr als halbiert. Gleichzeitig ist das Alter gestiegen, in dem Jugendliche zum ersten Mal Alkohol trinken – von 14,2 Jahren im Jahr 2004 auf zuletzt 15,2 Jahre, wie BZgA-Daten zeigen.
Die Branche versucht diesem Trend etwas entgegenzusetzen – und bietet zunehmend alkoholfreie Varianten an. Beim Bier kommen diese Alternativen mittlerweile schon auf einen Marktanteil von rund zehn Prozent. In den anderen Sparten sind es zwar noch merklich weniger, die Steigerungsraten liegen aber auch bei Wein, Sekt und Spirituosen Jahr für Jahr im zweistelligen Prozentbereich.
Der Januar ist dabei ein zunehmend wichtiger Monat. Denn inzwischen beteiligen sich Millionen Menschen am sogenannten „Dry January“, was übersetzt für „trockener Januar“ steht und den Verzicht auf Alkohol im kompletten Monat meint.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.