Korsett für Männer: Die Plautzenpresse – Gesellschaft

Geht man von den Statuen der griechisch-römischen Antike aus, so hat der männliche Torso in den letzten 2000 Jahren einen ziemlichen Verfall hingelegt: vom olympisch gestählten Idealbauch der Spartaner zur Feinripp-Wampe am Teutonengrill. Tatsächlich hat der moderne Manneskörper in Friedenszeiten relativ lange seiner gesellschaftlichen Norm- und Optimierung getrotzt. Während Frauen sich quasi fortwährend in diverse Korsette, Mieder und Hüftgürtel zwängen mussten, um aktuellen Moden zu genügen, waren Männer immer gerne stattlich und unterstrichen mit der Körper- auch gleich ihre Machtfülle. Man erinnere sich – der allzu gemütliche Herr Permaneder, der Toni Buddenbrook im Roman zu einer zweiten unglücklichen Ehe verhilft, wird 1905 von Thomas Mann als „kurzgliedrig und beleibt“ beschrieben, und bei dieser maßgeblichen Körperform blieb es für Männer auch die nächsten 100 Jahre noch. Nach den Kriegen trugen Herren ihre Wirtschaftswunderwänste vor sich her, mit einer Selbstzufriedenheit, als würde Bauchfett eine Dividende abwerfen.„Was ein Mann schöner ist als ein Affe, ist Luxus“, das Bonmot von Friedrich Torberg hatte jedenfalls noch ziemlich lange Bestand.

Heute ist man in Sachen Bauchfett aufgeklärt und weiß – zu viel davon macht den Patriarchen krank. Nicht zuletzt deshalb ist der Männerbauch in den vergangenen 25 Jahren zum anerkannten Makel geworden, der mit diversen Mitteln bekämpft wird – wenn auch immer noch nicht so kategorisch wie bei den Frauen. Aber die grassierende Fitness- und Halbmarathon-Kultur, dank der nahezu jeder junge Mann heute protein- und kreatinsüchtig ist und statt ins Gymnasium lieber ins Gym geht, hat ein neues Körperideal geformt und den Druck auf die Männer erhöht – im wahrsten Sinne. Denn die letzte Konsequenz der Optimierung ist jetzt in den Herrengarderoben eingetroffen: Shapewear und Korsette. Sie sollen ermöglichen, was trotz Gym und Abnehmspritze noch ein bisschen auf sich warten lässt – ein weniger konvexes Profil.

Dieser Schritt zur Männer-Shapewear war eigentlich überfällig. Bei den Frauen ist spätestens seit dem Siegeszug der Spanx-Unterwäsche um die Jahrtausendwende der Einsatz von Bauchweg-Kleidung ziemlich gängig. Die Marke Skims aus dem Hause Kardashian betreibt seit 2019 das offensive Kaschieren, Stützen und Pushen mittels Elastan als Milliardengeschäft – im Sortiment sind dort verschiedene Kompressionsstufen von leicht bis extrastark. Bereits seit 2010 hat Spanx auch eine Herrenlinie, aber erst in den letzten Jahren werben viele Marken aggressiv auf Instagram und Co. mit männlicher Bauchweg-Mode. T-Shirts, die einerseits den Bauch wegschlucken sollen, aber andererseits an Armen und Schulter straff sitzen, waren letzten Sommer ein virales Versprechen.

Heute präsentieren sich Marken wie das deutsche Unternehmen Finn selbstbewusst mit Kompression-Shorts und -Shirts auch bei Zalando. Die Shorts setzen unterhalb der Brust an und quetschen das gesamte Quellfleisch bis zum Oberschenkel eine Kleidergröße nach unten. Bequem ist so eine Plautzenpresse vermutlich nicht, aber das ist ja vielleicht das Nachhaltigste an dieser neuen Mode: Männer erfahren damit endlich am eigenen Leib, unter welchem Druck Frauen seit jeher stehen.