
Auslöser fürs Komponieren war das Jazz-Improvisieren auf Volksmusik-Instrumenten in den 1970ern mit ihrem Ensemble Astreja. Das Improvisieren habe ihr das Tor zur Inspiration geöffnet, sagte sie einmal. Seither schrieb sie – in Stalins Sowjetunion verbotene – Oratorien, Passionen, Pslamenvertonungen, hielt sich nebenbei mit Filmmusik über Wasser.
1992 sei das dann in Russland genug gewesen, die gesellschaftliche Atmosphäre aggressiv und die innere und äußere Ruhe fürs Komponieren dahin. Sie zog mit ihrem Ehemann, dem Musiktheoretiker Pjotr Meschtschaninow nach Appen bei Hamburg; der einstige Astreja-Mitstreiter Viktor Suslin wohnte nebenan.
Da war sie hierzulande längst bekannt, hatte der Geiger Gidon Kremer doch 1981 ihr Violinkonzert „Offertorium“ im Westen uraufgeführt. Seitdem galt Gubaidulina, neben Alfred Schnittke und Edisson Denissov, als eine der wichtigsten zeitgenössischen russischen KomponistInnen.
Sie schätzte düstere Klänge
Und ihr Spektrum war breit, die Besetzung eigenwillig und reichte vom „Sonnengesang“ für Cello, Chor, Schlagzeug und Celesta bis zu „Im Zeichen des Skorpions“ für Bajan und Orchester. Sie schätzte düstere Klänge, beobachtete die Welt genau und warb dafür, über den Alltag hinauszuwachsen und sich auf das Spirituelle und Einigende zu besinnen. 2016 wurde dann ihr Oratorium „Über Liebe und Hass“ uraufgeführt.
Aber eigentlich, sagte sie an jenem Tag in Appen, sei ihr der Trubel zuviel. Zum komponieren brauche sie Ruhe. Wenn sie dem Klang der Natur, des Universums lausche, ereile sie jene Inspiration, die ihr, plötzlich und komprimiert, das ganze Stück eingebe. Den Rest der Zeit verbringe sie damit, das in Noten zu übersetzen – die übrigens aussehen wie ein Mix aus mathematischer Gleichung und Geometrie mit Pfeilen und Zahlen.
Das passt: Als größtes Vorbild bezeichnete sie den „intuitiv wie strukturiert komponierenden“ Johann Sebastian Bach.