Kommt ein Waffenverbot für AfD-Mitglieder?

Am 11. Juni treffen sich die Innenminister der Länder in Bremerhaven zu ihrer nächsten Konferenz. Auf der Tagesordnung wird dort auch das neue Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz stehen, in dem die gesamte AfD vom „Verdachtsfall“ zu einer „gesichert rechtsextremistischen“ Gruppierung hochgestuft wird. Manche sprechen deshalb über ein Parteiverbot, andere überlegen, ob Staatsbeamte, die in der AfD sind, nun ein Problem bekommen. Über einen Bereich, in dem die Hochstufung sehr rasch Konsequenzen haben könnte, wird seltener gesprochen: das Waffenrecht.

In Ländern wie Sachsen-Anhalt oder Thüringen, in denen die AfD bereits vor längerer Zeit als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft worden ist, haben die Waffenbehörden längst damit begonnen, den Mitgliedern der dortigen AfD-Landesverbände die Waffen wegzunehmen. Nun stehen auch die anderen Länder vor der Frage, ob sie die Parteimitglieder entwaffnen müssen. „Der Umgang mit bewaffneten AfD-Mitgliedern wird sicher ein Thema bei der Innenministerkonferenz werden“, sagt die sachsen-anhaltische Innenministerin Tamara Zieschang (CDU). Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) hat bereits „Folgefragen“ zu den bewaffneten AfD-Mitgliedern für die Tagung in Bremerhaven angemeldet.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Die einschlägige Rechtsvorschrift dafür findet sich in Paragraph 5 des deutschen Waffenrechts. Dort werden die Anforderungen beschrieben, die an Besitzer von Waffen gestellt werden. Denn in Deutschland gibt es, anders als in den Vereinigten Staaten, kein Grundrecht auf den Besitz von Schusswaffen. Es handelt sich um ein Privileg. „Ein alter Grundsatz des Bundesverwaltungsgerichts lautet: ‚So wenig Waffen wie möglich ins Volk‘“, erklärt der Waffenrechtler Markus Eisenbarth von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl.

Denn auf dem Spiel steht ein hohes Gut, nämlich Leib und Leben der Bürger. An der Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers dürfen deshalb keine begründbaren Zweifel bestehen. Der Staat will damit nicht nur verhindern, dass Kriminelle legal an Waffen gelangen. Es geht auch darum, dass sich Extremisten nicht bewaffnen. Nicht nur die ehemaligen Mitglieder verbotener Vereine oder Parteien dürfen deshalb keine Waffen bekommen. Das Verbot richtet sich laut dem Paragrafen 5 des Waffenrechts auch gegen Personen, die Mitglieder in bestehenden Vereinigungen sind oder waren, die „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ gerichtet sind.

Verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben

Genau an diesem Punkt könnte die Hochstufung der AfD vom Verdachtsfall zur gesichert rechtsextremistischen Gruppierung entscheidend sein. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hatte erst kürzlich über den Fall eines AfD-Funktionärs zu entscheiden, dem die zuständige Waffenbehörde eine Sechs-Millimeter-Repetierbüchse wegnehmen wollte. Das Ergebnis: Der Mann durfte die Waffe zwar vorerst weiter behalten, weil die AfD zum Zeitpunkt der Entscheidung vom Verfassungsschutz noch als „Verdachtsfall“ eingestuft war. Das Gericht machte allerdings klar, dass sich die Lage mit der Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ grundlegend ändern würde.

Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo die AfD deutlich radikaler auftritt und schon seit längerer Zeit als „gesichert rechtsextrem“ gilt, beschäftigen sich die Gerichte mit bewaffneten Parteimitgliedern. Für Aufsehen sorgt dort derzeit eine Urteilsbegründung des Magdeburger Verwaltungsgerichts von Ende März. Das Gericht hält es für rechtmäßig, dass die Polizeiinspektion Magdeburg drei langjährigen AfD-Funktionären die Waffen entzieht. Es geht um den ehemaligen AfD-Landesgeschäftsführer, einen mittlerweile aus der Partei ausgeschlossenen ehemaligen Bundestagsabgeordneten und um einen Landtagsabgeordneten, der auch Chef der besonders radikalen Parteijugend „Junge Alternative“ war, die sich vor wenigen Wochen aufgelöst hat.

„Kämpferisch-aggressive Haltung“ gegen Verfassung?

Das Magdeburger Gericht attestiert der sachsen-anhaltischen AfD eine „kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung“. Genau diese Hürde hatte im Februar 2024 das Thüringer Oberverwaltungsgericht in einer Entscheidung aufgestellt. Nach Ansicht der Richter muss das nicht bedeuten, dass die AfD sich tatsächlich mit Gewalt gegen den Staat wendet. Es reicht aus, dass die Partei die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will. Bei dieser Einschätzung stützt sich das Gericht auf die Einschätzungen des Verfassungsschutzes, weil diesem diesbezüglich eine „besondere Beurteilungskompetenz“ zukomme.

AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla Mitte Januar in Riesa
AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla Mitte Januar in RiesaAFP

Diesen Aspekt streicht auch der Waffenrechtler Eisenbarth heraus. Der einschlägige Paragraph des Waffenrechts wurde nämlich in den vergangenen Jahren genau in diese Richtung nachgeschärft. Von den Einstufungen „Verdachtsfall“ und „gesichert rechtsextrem“ ist dort zwar nicht die Rede, und die waffenrechtlichen Feststellungen erfolgen eigenständig. Der Paragraph hebt aber dennoch explizit auf die Einschätzungen des Verfassungsschutzes ab. Die nun erfolgte Hochstufung der gesamten AfD sei daher „ein starkes Indiz“, sagt Eisenbarth. Nun müssten sich alle Länder dazu verhalten.

Die AfD klagt allerdings vor dem Kölner Verwaltungsgericht gegen ihre Hochstufung und hat dazu auch einen Eilantrag gestellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat deshalb bis zur Klärung im Eilverfahren eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. Die Einstufung ist damit vorläufig ausgesetzt. Die Behörde löschte auch ihre Pressemitteilung zu ihrem geheimen, 1108 Seiten langen Gutachten, obwohl es an die Medien durchgestochen wurde und inzwischen frei im Internet zugänglich ist.

Länder wollen Ausgang des Eilverfahrens abwarten

Unklar ist derzeit, welche Auswirkungen die Stillhaltezusage auf die mögliche Entwaffnung der AfD-Mitglieder hat. Denn die Einstufung des Verfassungsschutzes ist nun einmal in der Welt und das Waffenrecht eigenständig. „Die Waffenbehörden könnten aufgrund ihrer eigenen Beurteilungsverantwortung schon jetzt entscheiden; das wäre aber ein früher Schritt“, sagt Eisenbarth. Der Waffenrechtsexperte rät eher dazu, die Stillhaltezeit zu nutzen, um sich über die praktische Umsetzung Gedanken zu machen.

Die F.A.S. hat in allen Bundesländern nachgefragt, wie sie mit der neuen Lage umgehen. „Wenn eine Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist, ist das natürlich von Bedeutung“, sagt der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl. „Waffen gehören nicht in die Hände von Feinden unserer Demokratie“, sagt der CDU-Politiker, „daher müssen wir alle rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen.“ Baden-Württemberg strebt jedoch ein „bundesweit einheitliches Vorgehen“ an und möchte einen „Flickenteppich“ vermeiden. Auch Bayern kündigt an, sich „zeitnah auch mit den Innenministerien der anderen Länder austauschen“ zu wollen. Das niedersächsische Innenministerium vertritt die Auffassung, dass sich die Stillhaltezusage des Verfassungsschutzes auch auf die waffenrechtlichen Prüfungen auswirkt. Auch Schleswig-Holstein will den Ausgang des anhängigen Eilverfahrens abwarten.

Sollte die Hochstufung Bestand haben, müssten die Waffenbehörden womöglich alle Mitglieder der AfD auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit prüfen.
Sollte die Hochstufung Bestand haben, müssten die Waffenbehörden womöglich alle Mitglieder der AfD auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit prüfen.EPA

Sollte die Hochstufung der AfD vor den Gerichten Bestand haben, könnte das erhebliche Auswirkungen für die Waffenbehörden haben. Denn diese müssten dann möglicherweise alle Mitglieder der AfD auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit prüfen. Jeder Einzelfall müsste geprüft werden. Bei dieser Prüfung müsste dann jedoch von einer „Regelunzuverlässigkeit“ aller AfD-Mitglieder ausgegangen werden. Die Behörden dürften zwar nicht ignorieren, wenn sich ein Mitglied der Partei erkennbar von deren extremistischen Zielen distanziert. Eine solche Abweichung von der Regelvermutung komme jedoch „nur ausnahmsweise“ in Betracht, schreibt das niedersächsische Innenministerium. So sieht es auch der Waffenrechtsexperte Eisenbarth.

Waffenbehörden kennen Parteizugehörigkeiten nicht

Beim Vollzug der Entwaffnung könnten die Behörden jedoch vor großen Schwierigkeiten stehen. Denn die Waffenbehörden wissen meistens gar nicht, ob ein Waffenbesitzer in der AfD ist oder nicht. „Der Bundesgesetzgeber hat keine Befugnis geschaffen, im Rahmen des waffenrechtlichen Erlaubnisverfahrens Parteimitgliedschaften amtlich zu erfassen“, schreibt das sächsische Innenministerium. Nicht einmal bei Kontrollen von Waffenbesitzern dürften die Behörden danach fragen, heißt es aus Niedersachsen.

Aus den einschlägigen Gerichtsentscheidungen ergibt sich der Eindruck, dass die Waffenbehörden deshalb bisher vor allem gegen ranghohe und besonders auffällige AfD-Mitglieder vorgehen. Denn die Beamten der unteren Waffenbehörden recherchieren selbst in öffentlich zugänglichen Quellen, zudem bekommen sie im Rahmen der vorgeschriebenen Abfragen auch Hinweise von den Verfassungsschutzämtern. Der Waffenrechtler Eisenbarth regt an, bei einer angestrebten flächendeckenden Entwaffnung der Parteimitglieder das Waffenrecht so zu ergänzen, dass eine spezifische Abfrage nach AfD-Mitgliedschaft möglich wird.

Zu wenig Personal für flächendeckende Kontrollen

Es gibt aber noch eine weitere Schwierigkeit: Viele der unteren Waffenbehörden, die all dies leisten müssten, gelten bereits heute als unterbesetzt. Und sie müssen sich bereits mit anderen Pro­blemgruppen wie den Reichsbürgern und den Folgen der zunehmenden Messerkriminalität herumplagen. Das ohnehin komplizierte Waffenrecht wird auch immer komplizierter, wie sich allein an der stetigen Ausweitung des erwähnten Paragraphen 5 des Waffenrechts zeigt.

Umso wichtiger sei im Fall der AfD eine „kongruente Vollzugslinie“, die Handlungssicherheit für die Beamten schaffe, mahnt Eisenbarth. Denn die AfD hat mittlerweile rund 50.000 Mitglieder in Deutschland. Unter ihnen werden zahlreiche Jäger und Sportschützen sein, die zusammen das Gros der legalen Waffenbesitzer in Deutschland stellen. Wie viele Waffen die AfD-Mitglieder besitzen, ist aufgrund der fehlenden Daten nicht bekannt. Es dürften mehrere Tausend sein. Denn auch ohne Kenntnis des AfD-Mitgliederverzeichnisses sind allein den Behörden im kleinen Bundesland Sachsen-Anhalt bisher schon 74 AfD-Mitglieder bekannt, die insgesamt 330 Schusswaffen besitzen – 99 Kurzwaffen und 231 Langwaffen. 25 von ihnen sind Jäger, 49 Sportschützen.

Auch auf Regierungsebene werden mit Blick auf die AfD deshalb erhebliche Kapazitätsengpässe befürchtet. Ein Entzug aller Waffen sei kaum erreichbar, heißt es. Eher gehe es darum, dass keine weiteren AfD-Mitglieder an Waffen gelangten. Die Grünen dringen dennoch auf ein scharfes Vorgehen. Es sei „absolut untragbar“, dass Mitglieder einer Partei wie der AfD legalen Zugang zu Schusswaffen hätten, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich, der F.A.S. Die AfD-Bundestagsfraktion teilt auf Anfrage mit, dass ein Entzug aller Waffen nach ihrer Auffassung noch in weiter Ferne liege. Die Behörden hätten nicht nur die Entscheidung der Verwaltungsgerichte zum Gutachten des Verfassungsschutzes abzuwarten. Nötig sei auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.