
In knapp zehn Jahren im Amt beobachtet Henriette Reker eine „zunehmende Verwahrlosung“ in Köln. Mit den Mitteln, die der Stadt zur Verfügung stünden, könne niemand Ordnung herstellen, sagt die Oberbürgermeisterin. Bei der OB-Wahl möchte sie nicht mehr antreten.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verzichtet auf eine dritte Amtszeit. „Diese zweite Amtszeit wird meine letzte Amtszeit sein“, sagte Reker dem „Kölner Stadtanzeiger“ in einem Interview. Das Amt erlaube wenig Ruhephasen, begründete die 68-Jährige ihre Entscheidung, bei der OB-Wahl im September nicht mehr anzutreten.
Sie beobachte eine „zunehmenden Verwahrlosung der Stadt“, der sie mit ihren finanziellen und politischen Mitteln zu wenig entgegenzusetzen habe. „Einige Städte vertreiben die Obdachlosen und Drogenabhängigen aus der Stadtmitte. Dafür gibt es in Köln keine Mehrheit“, sagte die parteilose Politikerin. Dem Ordnungsamt fehlten qualifizierte Bewerber für Dutzende offenen Stellen. „Auch andere Maßnahmen, die uns im Moment zur Verfügung stehen, Drogenkonsumräume zum Beispiel, können das Problem nur abschwächen – nicht lösen“, sagte sie. „Die Entwicklung in Köln ist das Ergebnis einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die massiv voranschreitet.“
„Ich bin keine Fürstin, die per Dekret verordnet“
Sie wünsche sich selbst mehr Ordnung, „aber ich bin keine Fürstin, die per Dekret verordnet“. Für ein Verbot der Flaggenmaler auf der Domplatte hätte sie beispielsweise keine politische Mehrheit für die Änderung der Stadtordnung gefunden. Auf die Frage, wer Ordnung herstellen könne, wenn nicht die Oberbürgermeisterin, antwortete Reker: „Mit den Mitteln, die uns aktuell zur Verfügung stehen, niemand. Und wir als Stadt auch nicht allein.“
Wahr sei aber auch: Köln sei eine lässigere Stadt. „Darum lieben sie ja alle und kommen so gerne zu uns.“
Für ihren Nachfolger gelte es, die Stadt zusammenhalten. „Wir haben hier 180 Nationen, 130 Religionsgemeinschaften. Alle mit einem großen Selbstbewusstsein und mit einer eigenen Ausstrahlung, natürlich. Und alle 14 Tage kommt jemand, der ein Denkmal im öffentlichen Raum aufstellen will. Auch all das gilt es zu managen“, sagte sie.
Von einem Rechtsextremisten angegriffen
In den zehn Jahren seit ihrem Amtsantritt habe sich die Gesellschaft enorm verändert. Als sie im Wahlkampf 2015 von einem Rechtsextremisten mit einem Messer angegriffen und schwer am Hals verletzt wurde, habe sie der Generalbundesanwalt das erste politische Opfer seit den Taten der RAF genannt. „Als ich im Wahlkampf war, wäre niemand überhaupt auf die Idee gekommen, dass man angegriffen werden könnte“, so Reker. Die Oberbürgermeisterwahl gewann sie damals, während sie sich im künstlichen Koma von ihrer Not-Operation erholte.
Zu ihrem Rückzug habe sie sich entschlossen, als sie gesehen habe, dass sich „respektable Persönlichkeiten“ zur Wahl stellten. Reker kündigte an, in Köln bleiben zu wollen und sich weiter für die Stadt zu engagieren. Möglich sei auch ein Wiedereinstieg als Rechtsanwältin. Eine Vollzeitbeschäftigung schloss sie jedoch aus. Als Oberbürgermeisterin sei sie sieben Tage in der Woche im Amt gewesen. „Ich habe jedes Jahr 15 Tage Urlaub zurückgegeben, weil ich sie gar nicht nehmen konnte“, so Reker. Sie kündigte an, in Zukunft selbstbestimmter leben zu wollen.
Durch den Anschlag 2015 wurde Reker bundesweit bekannt. Immer wieder trat sie seitdem offensiv für eine offene Gesellschaft ein und bezog Stellung gegen Ausgrenzung, Rassismus und Rechtsextremismus.
Viel kritisiert wurde Reker für eine Äußerung kurz nach der Kölner Silvesternacht 2015/16. Nach den massiven sexuellen Übergriffen auf Frauen hatte sie auf eine Journalistenfrage hin empfohlen, Frauen sollten zu Fremden besser „eine Armlänge“ Abstand halten. „Ich hätte mir im Nachhinein diese unglückliche Aussage mit der Armlänge ersparen können“, sagte Reker später dazu.
sos