Koalitionsstreit über Wehrpflicht: Was für eine Blamage! Was für eine Chance!

Man kann auf diesen Unfall, den die Koalition im Streit über den Wehrdienst verursacht hat, auch zynisch blicken. Dann hat das Ganze etwas von ausgleichender Gerechtigkeit. So wie die Union in letzter Minute bei der Wahl einer Verfassungsrichterin auf dem Ticket der SPD zusammenfiel, so tut es jetzt die SPD kurz vor knapp bei der Wehrpflicht. Die Genossen gleichen aus, nun steht es unentschieden, eins zu eins in der Kategorie schwerer Fehler im politischen Handwerk, und nun geht’s weiter mit Rambo Zambo in der Arbeits-und-Pannenkoalition, haha.

Doch dieser Vergleich ist schief und Häme ist unangebracht. Schon die Wahl der Verfassungsrichterin hatte schwerwiegende Folgen, jetzt geht es aber um etwas noch Wichtigeres: Der Wehrdienst ist eines der zentralen und folgenreichsten Vorhaben dieser Koalition und eines, das helfen soll, die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten.

Es ist deshalb nicht lustig, sondern aberwitzig, dass die Koalition, die in den vergangenen Wochen viel Energie darauf verwendet hat, ihre Zusammenarbeit zu verbessern, ausgerechnet bei diesem Thema öffentlich derart auseinanderfällt. Wieder einmal fragt man sich, warum es zwischen Fraktionen und Regierung bei Schwarz-Rot so hakt.

Es ist ein blamables Bild, einerseits im Stil: Was hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), den beliebtesten Politiker des Landes, nur geritten, in allerletzter Minute die eigenen Genossen, die zuletzt wochenlang einen Kompromiss verhandelt haben, zu brüskieren? Wie kann der SPD-Fraktionschef, Matthias Miersch, kurz vor dem Eklat in seiner Fraktion eine Einigung verkünden? Die SPD – puh. Und muss das wirklich sein, dass die Union nun kaum verhohlen über charakterliche Defizite des Ministers Pistorius ätzt? Man denkt an: Wildsau, Gurkentruppe, Ampeldauerzank.

Andererseits in der Sache: Am Mittwoch nach dem desolaten Dienstag weiß niemand im Lande so richtig, was die Koalition denn jetzt will. Den Fachpolitikern von Union und SPD schwebt vor, dass das Los entscheidet, wer gemustert wird, und falls nötig, ebenfalls per Los, wer eingezogen wird. Das Verfahren ist schwierig zu verstehen, es ist auch keine überzeugende Lösung. In vertraulichen Gesprächen ist eine gewisse Ratlosigkeit auszumachen – und das nicht bei einer Detailfrage wie der Stromsteuer, nicht bei einer Richterinnenpersonalie, sondern bei der Frage, wer Dienst an der Waffe leistet in einem Land, das sich auf den Schutz der USA nicht mehr verlassen kann und mit Angriffen aus Russland rechnen muss.

Am Donnerstag wird im Bundestag nun der ursprüngliche Entwurf von Pistorius debattiert, den die Union für völlig unzureichend, ja gefährlich hält. Welche Rede soll der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Norbert Röttgen, der Pistorius öffentlich der Sabotage bezichtigte, dazu halten? Wie soll der Verteidigungsminister selbst, der Freund und Koalitionspartner in die Parade fuhr, erklären, dass er inzwischen konstruktiv an einer Lösung mitarbeiten will? Die wochenlangen Gespräche der Fachpolitiker von Union und SPD gab es, damit die Koalition ein möglichst geeintes Bild bei der ersten Debatte im Bundestag abgeben könnte. Das Gegenteil ist eingetreten.