Klimawandel: Eisschmelze in den Bergen – „Die Chronik des maximalen Gletscherschwunds steht noch nicht fest“

Schon jetzt schmelzen Gletscher weltweit rapide ab. Doch in wenigen Jahren wird die Zahl der Eisströme auch im mildesten Klimaszenario stark abnehmen, so eine Studie. Besonders betroffen davon sind die Alpen.

Der weltweite Gletscherschwund dürfte einer Prognose zufolge Mitte des Jahrhunderts zahlenmäßig sein Maximum erreichen. Je nach Klimaszenario würden zwischen den Jahren 2041 und 2055 jährlich zwischen 2000 und 4000 solche Eisströme verschwinden, schreibt ein internationales Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“. Besonders betroffen sind demnach Regionen mit kleineren Gletschern, vor allem die Alpen, der Kaukasus und die äquatornahen Anden.

Schon jetzt schrumpften Gletscher weltweit stark, schreibt die Gruppe um Lander Van Tricht von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Bisher hätten sich Studien auf die Rückgänge der Eismasse und -fläche konzentriert sowie auf die Folgen für den Meeresspiegel. Doch viele einzelne Eisströme hätten eine regionale historische, kulturelle, soziale und touristische Bedeutung und seien zudem wichtig für die Wasserversorgung der jeweiligen Bergregionen.

Das Team – darunter Fachleute auch aus Österreich, Großbritannien, Belgien und den USA – prognostizierte nun anhand von vier verschiedenen Klimaszenarien die Folgen bis zum Ende des Jahrhunderts für jene mehr als 210.000 Gletscher, die in einer Datenbank, dem Randolph Glacier Inventory (RGI), aufgeführt sind. Rund 3200 davon liegen in Mitteleuropa – also in den Alpen.

Bei 4 Grad Erwärmung verbleiben in Mitteleuropa noch 20 Gletscher

Die jeweiligen Szenarien gehen von einer Erwärmung bis zum Jahr 2100 im Umfang entweder von 1,5 Grad, von 2,0 Grad, von 2,7 Grad oder von 4,0 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit aus. Als verschwunden gilt ein Gletscher nach Angaben des Teams dann, wenn die Eisfläche entweder unter 10.000 Quadratmeter oder aber unter 1 Prozent der Ursprungsfläche sinkt. In jenen Regionen wie etwa den Alpen, wo kleinere Gletscher dominieren, werden demnach in den kommenden beiden Jahrzehnten mehr als die Hälfte aller Gletscher verschwinden.

Bei der geringsten prognostizierten Erderwärmung – um 1,5 Grad – werden demnach schon um das Jahr 2041 weltweit etwa 2000 Gletscher pro Jahr verschwinden. Bei diesem 1,5 Grad-Szenario würden bis Ende des Jahrhunderts noch knapp die Hälfte der heutigen etwa 211.000 Gletscher (rund 96.000) verbleiben – davon knapp 430 in Mitteleuropa.

Dieses milde Klimaszenario gilt allerdings unter Klimafachleuten inzwischen als äußerst unwahrscheinlich. Bei einer Erwärmung um 4,0 Grad verschiebt sich das Maximum des zahlenmäßigen Gletscherschwunds der Studie zufolge auf Mitte der 2050er-Jahre: Dann würden pro Jahr etwa 4000 Gletscher verschwinden. Nach diesem Maximum sinkt der Gletscherschwund demnach bis zum Jahr 2100 auf etwa 700 bis 1200 pro Jahr. Im Jahr 2100 gäbe es dann weltweit noch etwas mehr als 18.000 Gletscher – und in Mitteleuropa noch 20. Insgesamt wären das also zahlenmäßig weltweit unter zehn Prozent der heutigen Gletscher.

Verzögerter Gletscherschwund

Generell verzögert sich das Schwinden von Gletschern in jenen Regionen mit großen Gletschern, etwa in der Antarktis, Grönland, Nordkanada, Spitzbergen und in der russischen Arktis. Allerdings werde sich der Gletscherschwund im 22. Jahrhundert fortsetzen, betont die Gruppe.

Die Autoren halten zurzeit einen Temperaturanstieg um 2,7 Grad bis zum Jahr 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Niveau für am wahrscheinlichsten. Dann gäbe es ihren Kalkulationen zufolge weltweit noch knapp 44.000 und in Mitteleuropa noch 110 Gletscher. Das Verschwinden einzelner Gletscher habe in bewohnten Regionen große kulturelle und soziale Bedeutung und sei besonders wichtig für jene Menschen, deren Wasserversorgung vom Schmelzwasser kleinerer Gletscher abhängt, heißt es.

Das Team räumt ein, dass seine Prognosen auf Klimamodellen basieren und entsprechend Unsicherheiten aufweisen. Studien zur Entwicklung von Gletschermasse und -fläche basierten dagegen stärker auf direkten Messungen. „Die Chronik des maximalen Gletscherschwunds steht bislang nicht fest“, schreibt die Gruppe. „Ob wir bis Mitte des Jahrhunderts pro Jahr 2000 oder 4000 Gletscher verlieren, hängt von der kurzfristigen Politik und den heute getroffenen gesellschaftlichen Entscheidungen ab.“

Walter Willems, dpa/rc