KiO Youth hilft transplantierten Kindern

Am linken Handgelenk hat Sibylle Krestel ein unauffälliges schwarzes Herz-Tattoo. Das ist im Alltag der einzige äußere Hinweis darauf, dass die junge Frau mit den langen dunklen Haaren transplantiert ist. Seit elf Jahren schon schlägt das zweite Herz in ihrer Brust, und dafür ist die 23 Jahre alte Studentin sehr dankbar. Als sie im Alter von zwölf Jahren eine nicht einmal besonders heftige Erkältung verschleppte, ahnte zunächst niemand, dass das ihr Leben komplett umkrempeln würde.

Die Erkältung will und will nicht weichen, die Mutter geht mit ihr zum Hausarzt, damals noch in der Nähe von Regensburg, wo Krestel mit den Eltern lebt. Der erkennt schnell, dass sich der Infekt auf ihr Herz ausgeweitet und eine Myokarditis verursacht hat. Die ist schon so weit fortgeschritten, dass sie eine Herztransplantation braucht, um zu überleben. Im Februar 2013 kommt sie ins Krankenhaus, im Juli erhält sie ein Spenderherz – und mit ihm ein neues Leben.

Kraft der Erinnerung: Ein Herz-Tattoo mahnt Sibylle Krestel, das Leben zu genießen.
Kraft der Erinnerung: Ein Herz-Tattoo mahnt Sibylle Krestel, das Leben zu genießen.Michael Braunschädel

„Als Kind wollte ich immer gerne wissen, ob das Herz von einer Frau oder einem Mann ist“, erzählt sie in ihrer Wohnung in Langen. Sie hat Dankesbriefe geschrieben an die Familie des Spenders oder eben der Spenderin, der oder die jedoch genauso anonym blieb wie sie selbst. Ihre Eltern hätten oft gesagt, dass sie sich nach der Transplantation charakterlich verändert habe, sie sei deutlich lebhafter und aufgeweckter geworden. Vielleicht hat dazu aber vor allen auch die lange Zeit beigetragen, die sie im Krankenhaus und in Rehakliniken verbringen musste – und noch immer muss. Schon mit zwölf Jahren habe sie dort bewundert, was Ärzte und Pflegepersonal leisten, um Leben zu retten.

„Ich wollte mein Leben nicht nur mit Studieren verbringen“

Nun studiert sie an der Uniklinik Frankfurt, um bald als Physician Assistant zu arbeiten. Das ist ein medizinischer Beruf, der zwischen Pflege und Arzt angesiedelt ist. Nach dem Abitur hätte die zielstrebige Krestel auch Medizin studieren können, sie hatte bereits einen Studienplatz sicher, doch entschied sich anders. „Ich wollte mein Leben nicht nur mit Studieren verbringen, sondern schnell praktisch arbeiten“, sagt sie. Nächstes Jahr hat sie ihren Bachelorabschluss und will anschließend für ein halbes Jahr nach Australien und Neuseeland, um danach im Krankenhaus loszulegen. Ihr Leben ist durchgetaktet und strikt geplant.

Denn eine weitere Herztransplantation komme für sie nicht mehr infrage, betont sie. Das habe sie auch so verfügt. „Eine Herztransplantation ist nicht nur eine sehr schwierige Operation, sondern man ist danach auch zwei Jahre lang sehr eingeschränkt. Ich könnte dann nicht mehr in meinem Beruf arbeiten und auch nicht reisen. Alles, was mir etwas bedeutet, wäre dann weg“, sagt sie. Und das sehr bestimmt.

Rund 700 Menschen standen im Jahr 2022 auf der Warteliste für ein neues Herz, 358 Herzen wurden im gleichen Jahr transplantiert, 2023 waren es 55 Herztransplantationen weniger. Viele Menschen auf der Warteliste sterben, bevor für sie ein Organ gefunden wird. Zehn bis 20 Jahre kann ein Spenderherz im Durchschnitt schlagen, manche auch deutlich länger. Seit elf Jahren lebt Sibylle Krestel mit ihrem neuen Herzen und den täglich notwendigen 18 Medikamenten, die zwar viele Nebenwirkungen haben, aber die Abstoßung des fremden Gewebes so gut wie möglich verhindern.

Bereits dort gewesen: In Sibylle Krestels Zimmer steht ein Lego-Modell, das die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Dubais zeigt.
Bereits dort gewesen: In Sibylle Krestels Zimmer steht ein Lego-Modell, das die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Dubais zeigt.Michael Braunschädel

Viele Fotoalben und Erinnerungsstücke auf Regalen zeugen von ihrer Liebe zum Reisen. Bald fliegt sie nach Sri Lanka, um dort einen praktischen Teil ihres Studiums zu absolvieren. Aber auch ganz private Fernreisen auf die Malediven, nach Dubai oder Bali hat sie unternommen. „In den Semesterferien bin ich keinen einzigen Tag zu Hause, habe immer Reisen geplant.“ Sie versucht, das geschenkte Leben so intensiv aufzusaugen, weil sie nicht weiß, wie lange es noch währt. „Lieber ein kurzes, aber wunderbar erfülltes Leben“, sagt sie. Sie arbeitet neben dem Studium als Rettungssanitäterin, steht bei Heimspielen der Eintracht und großen Konzerten im Stadion oder fährt auf dem Rettungswagen ganze Schichten mit.

Mit dem Umzug von Bayern nach Frankfurt hat sie auch die Arbeit der Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) entdeckt und engagiert sich seither in deren Jugendorganisation KiO Youth. Mit einem Team von rund 20 anderen jungen Erwachsenen in der Jugendorganisation hat Sibylle Krestel im vergangenen Jahr den Organspendepreis der Stiftung „Über Leben“ gewonnen.

Rund 8500 Menschen in Deutschland warten auf Spenderorgan

Um auch politisch zu wirken, hat sie bei der Gelegenheit gemeinsam mit sechs anderen drei Forderungen der Transplantationsjugend an die Regierung und alle politisch Verantwortlichen gestellt: unter anderem die Einführung der Widerspruchslösung, um die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen. Denn rund 8500 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ, das ihr Leben rettet, darunter viele Kinder und Jugendliche. Und auch die sofortige Verwirklichung und einfache Handhabung des Organspenderegisters, das bereits 2020 vom Bundestag beschlossen worden ist. In den Niederlanden und Großbritannien gibt es das bereits seit 20 Jahren. Außerdem soll Organspende Pflichtthema in Schulen werden und in den Lehrplänen verankert sein. Bereits mit 14 Jahren dürfen Jugendliche einer Organentnahme widersprechen, ab dem 16. Lebensjahr selbst ihren Entschluss für oder gegen Organ- und Gewebespende treffen.

Bei KiO Youth begleitet Sibylle Krestel außerdem gemeinsam mit anderen jungen Erwachsenen, die dank eines Spenderorgans leben, in den Schulferien Freizeiten für transplantierte Kinder im Alter von elf bis 17 Jahren. „Die meisten Kinder merken auf diesen Freizeiten erst, dass sie nicht allein sind mit ihrem Schicksal.“ Von vielen hört sie, dass sie wegen ihrer Transplantation gemobbt werden in der Schule. „Du Zombie!“ sei eine der härteren Beschimpfungen, die sich die Kinder anhören müssten.





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Sie selbst hat in der Schule ebenfalls sehr gelitten, ohne dafür professionelle Hilfe zu finden. „Ich hatte nur eine einzige gute Freundin, denn ich musste nach der Transplantation ein Schuljahr wiederholen und dann die ganze Zeit mit Maske herumlaufen.“ In Zeiten vor der Corona-Pandemie war das ein so seltener und ungewohnter Anblick, dass ihre Mitschüler schlimme Phantasien und Verschwörungstheorien entwickelten. „Manche behaupteten, ich hätte eine schlimme Krankheit, die ich verschweigen würde, und würde sie nun alle damit anstecken. Oder sie sagten, ich wolle nur Aufmerksamkeit und hätte eigentlich gar nichts.“ Beides war nicht schön für ein Mädchen in der Pubertät, das eigentlich viel Unterstützung gebraucht hätte.

Gemeinschaft, ohne anderen viel erklären zu müssen, und intensiver Austausch sei das, was die Kinder bei den KiO-Freizeiten erleben könnten. Auch wenn sie nur ein bisschen Minigolf spielen, ins Kino oder Schwimmbad gehen oder gemeinsam essen. Organtransplantierte Kinder haben die Gratwanderung zwischen Leben und Tod oft schon sehr früh erlebt, die ganze Familie ist dadurch belastet. Gemeinsam mit Jugendlichen, die Ähnliches erlebt haben, könnten sie lernen, wieder auf sich zu vertrauen und auf eigenen Füßen zu stehen.

Sibylle Krestel hat das geschafft. Außer dem kleinen Herz-Tattoo am Handgelenk prangt nun auch der Schriftzug „Happiness“ auf ihren Rippen. Den hat sie sich erst kürzlich an ihrem Geburtstag in Las Vegas stechen lassen.

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“

Die Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung und die Frankfurter Allgemeine/Rhein-Main-Zeitung bitten um Spenden für die Arbeit der Vereine Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) und Pro Uganda. Die Frankfurter KiO hilft Familien mit organkranken und transplantierten Kindern und Jugendlichen, wenn andere Unterstützer ausfallen. Pro Uganda aus Usingen baut in dem afrikanischen Land Prothesen für Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, und eröffnet so neue Lebenschancen.

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“ bitte auf die Konten:

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