KI-Modus: Jetzt wird Google zu ChatGPT – Wirtschaft

Liz Reid ist zum ersten Mal in Berlin und wundert sich über die Ampeln. Also fragt Googles Suchchefin ihre eigene Suchmaschine: „What is the Ampelmann?“ Neben den gewohnten Kategorien wie „Bilder“ und „Videos“ taucht ein neuer Tab auf: „KI-Modus“. Reid klickt darauf, und eine ausführliche Antwort erscheint. Mehrere Absätze mit Bildern, Zwischenüberschriften und Bulletpoints erklären die Entstehungsgeschichte des ostdeutschen Ampelmännchens.

Mit diesem Beispiel möchte Reid den Journalisten in Googles Berliner Büro erklären, warum der KI-Modus so praktisch ist. Die Funktion startet an diesem Mittwoch in Deutschland und 39 weiteren Ländern. Reids Demonstration zeigt aber auch, warum viele Webseiten und Verlage Googles Wandel von der Such- zur Antwortmaschine fürchten. Links werden zur Nebensache, Quellen tauchen nur noch klein am Rand auf. Was das für Google und den Rest des Webs bedeutet.

Was ist der KI-Modus?

Der KI-Modus verwandelt Google in einen Chatbot wie Chat-GPT, der versucht, alle Fragen direkt zu beantworten. Unter den Antworten schlägt Google sofort mögliche Anschlussfragen vor: „Gibt es andere Städte mit einzigartigen Ampelsymbolen?“, oder „Welche kulturellen Auswirkungen hat die Ostalgie auf Deutschland?“ In den USA gibt es die Funktion seit dem Frühjahr. Jetzt wird sie schrittweise in Deutschland eingeführt und taucht nicht sofort bei allen Nutzerinnen und Nutzern auf. Der KI-Modus ist optional und soll die normale Suche vorerst nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Was unterscheidet den KI-Modus vom „Überblick mit KI“?

Seit März platziert Google bei bestimmten Suchanfragen eine KI-generierte Zusammenfassung über den klassischen Suchergebnissen. Dieser „Überblick mit KI“ war Googles erster Versuch, die Websuche mit generativer KI zu verbinden. Der KI-Modus ist der nächste Schritt. „Wir verbinden das Beste einer Suchmaschine mit dem Besten eines Chatbots“, sagt Reids Kollege Nick Fox, der bei Google das Team für Wissen und Information leitet.

Was ist mit Gemini?

Gemini steht bei Google für zwei Dinge: den hauseigenen Chatbot und die Familie an Sprachmodellen. Der Chatbot ist genau wie Chat-GPT eine eigenständige App und hängt nicht unmittelbar mit der Google-Suche zusammen. Dagegen lässt sich der KI-Modus nur aus der Suche heraus ausrufen und er soll sich stärker an Aktualität und Faktentreue orientieren als Gemini. Im Hintergrund arbeiten aber dieselben Modelle, die unterschiedlich spezialisiert wurden.

Wie funktioniert der KI-Modus?

Das Sprachmodell zerlegt jede Frage in mehrere Teilfragen. „Wie viel kostet eine sechsmonatige Weltreise und wie plane ich die Route am besten?“ lässt sich nicht mit einer einzigen Quelle beantworten. Also sucht Googles KI gleichzeitig nach möglichen Reiserouten, günstigen Flügen, Visa-Bestimmungen, Lebenshaltungskosten und nötigen Versicherungen. Für jede Teilfrage wählt die Maschine Passagen unterschiedlicher Webseiten, Forumsbeiträge oder Studien aus, fasst die Ergebnisse zusammen und präsentiert eine gebündelte Antwort. Der KI-Modus kann auch mit Bildern oder Videos umgehen. Man könnte also sein Bücherregal fotografieren und fragen: „Welche aktuell veröffentlichten Bücher passen zu meinen Vorlieben?“

Wie verlässlich sind die Ergebnisse?

Der US-Start des Überblicks mit KI war für Google peinlich. Oft gab die Maschine lächerliche bis lustige Antworten, weil sie daran scheiterte, Satire-Websites oder unsinnige Nutzerkommentare zu erkennen. Solche Fehler sind seltener geworden, aber nicht komplett verschwunden. Auch die Auswahl der Links ist manchmal fragwürdig. Als Reid etwa nach den Berliner Ampelmännchen fragte, zitierte Google Fat Tire Tours und den Ampelmann-Webshop. Eine touristische Fahrradvermietung und ein kommerzieller Online-Shop dürften nicht zu den ersten Quellen zählen, von denen man sich seriöse Informationen erwartet. Am Ende gilt für den Überblick mit KI und den KI-Modus das Gleiche wie für Chat-GPT: Man sollte sich nie allein auf generative KI verlassen.

Warum setzt Google so stark auf KI?

Im Vergleich zu Google ist Chat-GPT immer noch klein, wächst aber rasant. 800 Millionen Menschen nutzen den Chatbot mindestens einmal pro Woche, für viele ersetzt er Google. Im Netz gilt: Der Marktführer von heute ist das Myspace von morgen. Deshalb baute Google mit Gemini ein Konkurrenzprodukt und integrierte schrittweise generative KI in die Websuche. Das scheint sich auszuzahlen. Angeblich stellen Menschen mehr Fragen und verbringen mehr Zeit mit Google. Sie sehen also auch mehr Werbung, und Google verdient mehr Geld.

Welche Folgen hat das für das Netz?

Jahrzehntelang lebten Google und das Netz in Symbiose. Die Suchmaschine indexierte Milliarden Webseiten und schickte im Gegenzug Besucher. Dieses stillschweigende Übereinkommen bröckelt. Google hat sich den Großteil des Webs einverleibt und beantwortet viele Fragen einfach selbst, ohne dass man auf Links klicken muss. Das bedroht unter anderem die Geschäftsmodelle vieler Verlage, die darauf angewiesen sind, dass Menschen ihre Nachrichten über Google finden. Studien und Datenerhebungen deuten darauf hin, dass Googles neue KI-Funktionen die Zahl der Klicks teils deutlich reduzieren. Suchchefin Reid zweifelt die Ergebnisse an und spricht von „relativ stabilem Traffic“, nennt aber keine konkreten Zahlen. Im März veröffentlichte Google die Ergebnisse eines Experiments, das angeblich zeigt, dass Nachrichten keinen wirtschaftlichen Mehrwert für den Konzern hätten. Die Botschaft ist eindeutig: Liebe Verlage, wir können auch ohne euch, also beschwert euch erst gar nicht.

Was ist Googles Vision für Googeln?

Das Durcheinander aus Websuche, Überblick mit KI, KI-Modus und Gemini kann verwirren. Das soll sich ändern. „Wir möchten, dass Nutzer nicht nachdenken müssen“, sagt Reid. Sie sollen nicht darüber grübeln, wie sie ihre Frage formulieren oder welchen Modus sie verwenden. „Unser ultimatives Ziel ist ein persönlicher, proaktiver Assistent“, sagte Googles KI-Chef Demis Hassabis kürzlich bei einem Pressegespräch. Google will Menschen Antworten geben, am besten, noch bevor sie überhaupt gefragt haben. Fragt sich nur, ob Menschen so viel über sich verraten möchten, dass Google ihre Fragen errät.