Kevin Kühnert startet Kolumne im Rolling Stone: Ein Essayist ist geboren – Medien

Sie könne es überdeutlich sehen, vor ihrem inneren Hellseherinnen-Auge, sagte die Comedykünstlerin Hazel Brugger, als sie neulich neben Kevin Kühnert saß. Anfang Oktober war das, bei der Aufzeichnung von Anne Wills Podcast, vor großem Publikum in Köln. Die neugierige Frage war gewesen, was Kühnert, 36, der Ex-SPD-Generalsekretär, der seine Partei- und Parlamentskarriere Anfang des Jahres bis auf Weiteres aufgegeben hatte, in Zukunft so machen wolle. Nachdem er im Februar seine kreuz- und querzitierte Abschiedsrede im Bundestag gehalten hatte, dann 50 Etappen des Nordalpenwegs gewandert und vor allem als Privatier in Erscheinung getreten war. Also in Nichterscheinung.

Demnächst werde Kühnert in Köln eine Bar eröffnen, orakelte Brugger, und dort könnten die Gäste Schnaps aus seinem Bauchnabel trinken. Der Angesprochene fand den Gag originell. Und antwortete auf Wills Nachfrage dann noch ernsthaft: Es werde ein Job sein, der zwar fern vom Regierungs- und Verwaltungsbetrieb angesiedelt sei, sagte Kevin Kühnert – aber mit Politik habe er natürlich zu tun. Verraten könne er noch nichts.

Kühnerts Text ist keine weitere Polemik gegen den bayerischen Ministerpräsidenten

Wer Einblick in journalistische Honorarwelten hat, kann nun feststellen: Auch die neuesten Kühnert-News ist sicher nicht die endgültige Antwort darauf, wie es beim früheren Großhoffnungsträger der deutschen Linksmitte weitergehen wird. Aber wenn am Freitag die Novemberausgabe des deutschen Musik- und Kulturmagazins Rolling Stone erscheint, wird man darin einen vierseitigen Beitrag finden, mit dem sich Kevin Kühnert als neuer Kolumnist vorstellt.

„Teilnehmende Beobachtung“ heißt die Rubrik, die er ab sofort alle zwei Wochen für die Website des Heftes schreiben wird. Ohne die Einzelheiten des Deals zu kennen: Es dürfte sich dabei vor allem um einen Nebenjob handeln. Was nichts daran ändert, dass dies ein kleiner publizistischer Coup ist.

Als Autor war Kühnert schon früher aktiv. Er rezensierte für das Theaterportal Nachtkritik.de Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“, schrieb für den Spiegel einen Kommentar zum Thema Islamismus. Auch der deutsche Rolling Stone – der im Verlag Mediahouse Berlin erscheint, der bis 2023 zum Springer-Konzern gehörte, der heute noch einen 20-prozentigen Anteil hält – hat regelmäßig mit Autorinnen und Autoren aus dem politischen Betrieb gearbeitet. Im Juni 2024 gratulierte Robert Habeck in einem Gastbeitrag Angela Merkel zum Geburtstag, früher schrieben unter anderem der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda und der heutige stellvertretende Grünen-Vorsitzende Sven Giegold. 2010 durfte Ex-Regierungssprecher Béla Anda ein Album der Scorpions rezensieren. Er fand es klasse.

Kühnerts Debütkolumne ist da schon ein anderes Kaliber. Die Headline „Söders Wurstfalle“ verschreckt kurz – aber es handelt sich keineswegs um eine weitere Polemik gegen die fett- und krautmüffelnden Instagram-Bilder des bayerischen Ministerpräsidenten. Im Gegenteil: Kühnert erklärt im Text sehr anschaulich und schlau, warum in Söders Bratwurst- und Leberkässemmelrausch ein absolut zeitgemäßes Verständnis von praktischer Politik stecke, das mehr als reine Wichtigtuerei sei.

Einfach so lässt er Söder aber auch nicht gehen

Damit widerspricht der Autor den despektierlichen Worten vom „fetischhaften Wurstgefresse“, die der scheidende Robert Habeck dem CSU-Antagonisten hinterhergeworfen hat. „Politik gründet im Zwischen, das zwischen den Menschen entsteht, sobald sie handeln und sprechen“, zitiert Kühnert im Text Hannah Arendt – und bilanziert mit extrem bittersüßer Note, dass dieses Zwischen auch und besonders von redlichen Köpfen heute falsch eingeschätzt werde. „Die Bedeutung von Sachpolitik mag für unser aller Alltag ungebrochen sein“, schreibt Kühnert. „Doch im parteipolitischen Wettbewerb und im Kampf um die Köpfe nimmt ihre Bedeutung zuletzt rapide ab.“

Es dürfte klar sein, dass der Kolumnist den politischen Opponenten – bei allem Respekt – trotzdem nicht einfach so gehen lässt. „Der frühere TV-Redakteur Söder schafft es, eine Brettljause zu präsentieren, als handele es sich dabei um ein milliardenschweres Investitionspaket“, stellt er gegen Ende des absolut lesenswerten Textes fest, und packt dann die episodische Expertise aus: „Wer Markus Söder mal im Real Life getroffen hat, der merkt schnell, dass Herzlichkeit und Gemütlichkeit hier ungefähr so echt sind wie die Kulissen der Bavaria-Filmstudios.“ Sollte es in dieser Richtung weitergehen, ist vom vogelfreien Polit-Essayisten Kevin Kühnert noch viel von dem zu erwarten, was man im Bundestag weiter an ihm vermissen wird.

Der Autor dieses Textes war von 2001 bis 2007 und von 2010 bis 2012 Redakteur der deutschen Ausgabe des „Rolling Stone“.