

José Antonio Kast heißt der nächste Präsident Chiles. Der 59 Jahre alte Politiker mit deutschen Wurzeln hat sich am Sonntag in der Stichwahl gegen die Kandidatin des linken Regierungsbündnisses, Jeannette Jara, deutlich mit knapp 60 Prozent der Stimmen durchgesetzt (bei über 80 Prozent der ausgezählten Stimmen). Die Wahl von Kast, der sich vor vier Jahren noch gegen den heutigen Präsidenten Gabriel Boric geschlagen geben musste und lange Zeit als zu radikal galt, stellt eine politische Zäsur dar. Chile wird künftig von einem Mann regiert, der für einen klaren Rechtsruck des Landes steht – und der es in den vergangenen Jahren geschafft hat, nicht mehr als dessen radikalster Ausdruck wahrgenommen zu werden.
Kasts Erfolg in seiner dritten Kandidatur für das höchste Amt basiert auf drei Themen, die in den vergangenen Jahren ins Zentrum der politischen Debatte gerückt sind. In einem Land, das lange als Stabilitätsanker Südamerikas galt, hat sich ein tiefes Gefühl der Unsicherheit breitgemacht. Die illegale Einwanderung, die sichtbar gewordene Präsenz organisierter Kriminalität und eine Konjunktur, die trotz Rohstoffreichtums nicht mehr anspringt, bildeten die Grundlage von Kasts Kampagne. Kast ist es erfolgreich gelungen, die linke Regierung als ineffektiv und realitätsfremd abzustempeln. Er sprach von einem Staat, der die Kontrolle über sein Territorium verloren habe, und beschrieb die illegale Migration als Sicherheitsfrage. Kast verspricht eine harte Hand gegen das organisierte Verbrechen und die illegale Einwanderung, die er mit Abschiebungen und Grenzzäunen bekämpfen will. Damit traf er den Nerv vieler Chilenen, deren Angstwahrnehmung sehr ausgeprägt ist, obwohl Chile weiterhin zu den sichersten Ländern der Region zählt. Überdies steht Kast für eine Rückkehr zu einer betont liberalen und auf Deregulierung ausgerichteten Wirtschaftspolitik, um Chiles stagnierte Wirtschaft wieder anzuschieben.
Vergleiche mit Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Javier Milei
Politisch ist Kast kein Newcomer. Der Jurist saß fast 15 Jahre für die konservative „Unabhängige Demokratische Union“ (UDI) im Parlament, bevor er sich 2016 mit seiner Partei überwarf. Ihm galt die traditionelle Rechte als zu kompromissbereit, zu technokratisch, zu wenig ideologisch. 2019 gründete er die „Republikanische Partei Chiles“ (PRCh), die sich bewusst rechts der etablierten Mitte-rechts-Kräfte positionierte und mit nationalkonservativen, wirtschaftsliberalen und kulturkämpferischen Akzenten rasch an Zulauf gewann. Nach der Niederlage in der Stichwahl vor vier Jahren wurde Kast zur prägenden Figur der Opposition. Heute stellt seine Partei die stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Kast wird oft mit Figuren wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Javier Milei in einer Reihe gestellt. Solche Vergleiche erklären seine politische und ideologische Verankerung nur teilweise. Kast ist ein ultrakonservativer Katholik, maßgeblich geprägt von der Schönstattbewegung. Die aus Deutschland stammende katholische Laienbewegung betont traditionelle Familienbilder, Gehorsam und moralische Disziplin und prägt in Chile seit Jahrzehnten Teile des konservativen Milieus. Kast stellt sich strikt gegen Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehe und gilt als skeptisch gegenüber feministischer Politik. Anders als Trump oder Bolsonaro fehlt Kast der antielitäre Furor und der permanent angriffige Politikstil. Und anders als Milei predigt Kast keinen radikalen Bruch mit dem Staat, sondern eine Rückkehr zu Ordnung, Autorität und wirtschaftlicher Vernunft innerhalb bestehender Institutionen.
Zugleich ist Kast ein überzeugter Verteidiger der neoliberalen Wirtschaftspolitik unter dem früheren Diktator Augusto Pinochet, in dessen Regierung einer von Kasts Brüdern Minister war. Kast hat wiederholt betont, dass er Pinochet nicht für einen Demokraten halte, wohl aber die wirtschaftlichen Reformen jener Zeit als grundlegend richtig erachte. Diese Differenzierung überzeugt zwar seine Kritiker kaum, verfehlte aber im Wahlkampf ihre Wirkung nicht. In Teilen der chilenischen Gesellschaft gilt Pinochet weniger als Diktator, sondern mehr als Garant von Ordnung und wirtschaftlicher Modernisierung.
Integriert in globale rechte Netzwerke
Kast, dessen Vater vor seiner Auswanderung nach Chile ein deutscher Wehrmachtsoffizier und Mitglied der NSDAP war, bewegte sich in den vergangenen Jahren in globalen rechten Netzwerken, an deren Konferenzen er regelmäßig teilnahm, und pflegte Kontakte nach Europa, auch zu Akteuren aus dem Umfeld der AfD. Diese Nähe, insbesondere zum Ehepaar Sven und Beatrix von Storch, wurde ihm zunehmend zum Problem. Im Verlauf des Wahlkampfs vollzog Kast eine Mäßigung. Er distanzierte sich von radikaleren Figuren der internationalen Rechten und rückte rhetorisch näher an das traditionelle bürgerliche Lager heran. Vor drei Jahren kehrte Sven von Storch, der selbst in Chile geboren und aufgewachsen ist, Kast öffentlich den Rücken.
Kasts Mäßigung dürfte weniger auf einen Überzeugungswandel zurückzuführen sein, sondern vielmehr auf strategisches Kalkül. Zum einen hat Kast mit dem libertären Kulturkämpfer Johannes Kaiser, der im ersten Wahlgang auf dem vierten Platz landete, Konkurrenz von rechts bekommen. Zum anderen wird Kast als Präsident auf das traditionelle konservative Lager und das politische und wirtschaftliche Establishment angewiesen sein, um regieren zu können. Weder im Abgeordnetenhaus noch im Senat verfügt sein Bündnis über eine eigene Mehrheit.
Ökonomisch übernimmt Kast ein Chile, das seit Jahren unter seinen Möglichkeiten bleibt. Zwar bleibt Chile fiskalisch vergleichsweise solide und institutionell stabil, doch das Wachstum ist deutlich abgeflacht. Die Wirtschaft expandiert nur noch schwach, Investitionen bleiben hinter dem regionalen Durchschnitt zurück, und die Produktivität stagniert. Hinzu kommen hohe Energiekosten, wachsende Bürokratie und regulatorische Unsicherheit nach mehreren gescheiterten Reform- und Verfassungsprozessen. Für viele Wähler verkörpert Kast daher die Hoffnung auf einen wirtschaftspolitischen Neustart. Unternehmer und Investoren hoffen auf mehr Deregulierung, Steuerentlastungen und ein investitionsfreundlicheres Klima. Gleichzeitig bleibt zu bezweifeln, ob es Kast schafft, das stark polarisierte Chile zu vereinen und ein Präsident aller Chilenen zu werden, wie er verspricht. Die Linke hat Widerstand angekündigt, sollte es zu sozialen Rückschritten kommen. Wohin das führen kann, haben die 2019 ausgebrochenen Unruhen und Massenkundgebungen gezeigt, die die Regierung des damaligen konservativen Präsidenten Sebastián Piñera dazu zwangen, ein Referendum über Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung durchzuführen.
