Wenn man die Entwicklungen in der Schönheitsbranche im vergangenen Jahrzehnt in einem Wort zusammenfassen müsste, wäre es wohl: Selfcare. Mit dem Megatrend im Namen der Selbstermächtigung wurden Schminken und Frisieren, überhaupt sich schön zu machen, von einer Anpassungshandlung zu einer Art Meditation mit erbaulichem Effekt umgedeutet. Die Verwendung von Produkten als Für-mich-Moment.
Da ist es kaum überraschend, dass nach Haut und Haaren jetzt die Welt der Düfte dran ist. Kann auch der Akt, sich einzusprühen, zur Selfcare-Routine werden? Auftritt: Functional Fragrances. Bei diesen Parfums geht es nicht mehr darum, für andere betörend zu riechen und damit, wie eine Blume Insekten anzieht, romantische Partner anzulocken.
Nein, vielmehr sollen sie Ausdruck von Selbstliebe sein. Was macht mich glücklich, entspannt oder erregt mich? Wonach fühle ich mich heute? Der Selbstliebe sind keine Grenzen gesetzt.
Nach welcher Frequenz fühle ich mich heute?
„Warum sollte man nur einen Make-up-Look haben?“, fragt Charlotte Tilbury, Visagistin und Unternehmerin mit eigenem Label, in einem Interview mit der britischen Ausgabe der „Glamour“. Mit Düften sei es dasselbe. Functional Fragrances seien wie die Wahl eines Radiosenders. „Man stellt die Frequenz ein, nach der man sich fühlen möchte.“
Bekannt geworden ist Tilbury mit dekorativer Kosmetik. In diesem Jahr hat sie eine Duftlinie lanciert, die Parfums heißen Joyphoria, Calm Bliss, More Sex, angereichert mit Molekülen für Verlangen, Gelassenheit, Energie, und sogar das: Selbstbewusstsein.
Düfte prägen Emotionen
Geht das? „In unserer Branche wurde der Begriff Functional Fragrance vorher verwendet, wenn ein Geschirrspülmittel sauber riechen oder ein Weichspüler sanft und cremig sein sollte“, sagt der Parfumeur Frank Voelkl, der für den Aromen-Dufthersteller DSM-Firmenich arbeitet und für The Nue Co., einen amerikanischen Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, einen funktionellen Duft konzipiert hat.
Dabei seien es nicht neue Riechstoffe, die dazugekommen seien, sagt Voelkl, „sondern gezieltere Forschungsergebnisse, die den Zusammenhang zwischen Riechstoffen und Emotionen herstellen“.
Dafür wurden Probanden einer Auswahl von Riechstoffen ausgesetzt. Zugleich wurden Gehirnströme gemessen, die in unterschiedlichen Teilen des Gehirns aktiviert wurden. „So wissen wir es heute, wenn Riechstoffe eher beruhigend oder stimulierend wirken oder sogar Gefühle der Freude auslösen.“
Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft
Hierzulande hat der Anbieter DALUMA, der sich nach eigenen Angaben auf „ganzheitliche Selfcare“ spezialisiert hat, ein Duftsystem mit dem Anspruch auf Funktionalität im Sortiment. Während Aromatherapie ein Duft für eine Emotion ist, seien Functional Fragrances komplexere Kompositionen ätherischer Öle, die auf der Basis der neurowissenschaftlichen Erkenntnis entwickelt wurden, dass Düfte das Gehirn und somit die Stimmung beeinflussen, sagt Frank Voelkl.
Dass Gerüche Einfluss auf die Emotionen haben, ist allerdings keine neue Erkenntnis. Das Riechzentrum ist eine der entwicklungsgeschichtlich ältesten Strukturen im Gehirn, und es ist direkt mit dem Gefühlszentrum verbunden. „Man kann es auch andersherum formulieren“, sagt Professor Thomas Hummel vom Interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken am Universitätsklinikum Dresden.
„Nämlich, dass das Gehirn um die Nase aufgebaut ist, weil wir atmen müssen.“ Ein Teil der Information, wie wir Düfte wahrnehmen, ist schon im Molekül verankert. „Bestimmte Moleküle haben einen bestimmten Geruch, und der wiederum löst eine bestimmte Empfindung aus.“
Geruchssinn ist ein Warnmechanismus des Gehirns
Das habe jeder Mensch schon erlebt: „Wenn etwas verschimmelt ist oder giftig, warnt unser Gehirn uns durch das Gefühl von Ekel. Dann entfernen wir uns aus dem potentiellen Gefahrenbereich oder nehmen das, was gefährlich riecht, nicht zu uns“, sagt der Mediziner.
Diese Reaktion sei im Gehirn recht fest verdrahtet. Sie lasse sich gut mit EEG und MRT sichtbar machen. „Vereinfacht gesagt, wird der Geruchsnerv stimuliert, wenn man etwas riecht, und das löst unter anderem eine Reaktion in der Amygdala aus, dem Teil des Gehirns, der auch für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Das wiederum löst die Freisetzung verschiedener Neurotransmitter aus.“ Dazu zählen Endorphine, die ein Glücksgefühl auslösen können, oder Gamma-Aminobuttersäure, ein hemmender Neurotransmitter, der Stress, Angst und Furcht abbauen kann.
Von der Kultur geprägt
Gerüche aktivieren also bestimmte Hirnareale und lösen somit Gefühle aus. „Aber ein größerer Anteil dieser Vernetzungen ist gelernt und hat mit unseren individuellen Erfahrungen zu tun“, sagt Hummel. So sind Duft-Assoziationen stark von Erlebnissen und dem Kulturkreis abhängig.
Lavendel zum Beispiel gilt in Europa als beruhigend und soll beim Einschlafen helfen. „In Brasilien wird er auch in einem kirchlichen Zusammenhang verwendet und schmückt und beduftet die Treppen der Kirchen. Menschen aus diesem Kulturkreis haben also andere Assoziationen mit Lavendel.“
Die Psyche spielt eine mindestens ebenso große Rolle wie die medizinischen Erklärungen. „Mit Hilfe von Düften können wir Einfluss auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden nehmen“, sagt Kathrin Ohla. Die Psychologin forscht an der Universität Münster zu den positiven Auswirkungen von Düften. „Viele machen das schon intuitiv mit Duftkerzen, Raumerfrischer oder einem Parfum“, sagt sie.
Ähnlich wie ein Placebo
„Düfte haben nicht den Effekt eines Medikaments, das an einen bestimmten Rezeptor im Körper andockt und einen Automatismus auslöst. Sie setzen nicht automatisch eine pharmakologische Kaskade in Gang, die etwas mit mir macht. Es ist eher so: Ich rieche das, ich habe Assoziationen, und dann hat es oft den gewünschten psychologischen Effekt.“
Also alles nur Einbildung? „Manchmal braucht man diesen Anreiz, diesen kleinen Stupser von außen, die Kerze mit dem entspannenden Duft oder das Duschgel mit dem belebenden Effekt. Selbst wenn es sich um einen Placeboeffekt handelt.“ Kathrin Ohla sieht darin nichts Negatives: „Placebos wirken, sogar bei Schmerzpatienten, die unter echten Schmerzen leiden.“
Was ist also davon zu halten, wenn ein Parfum More Sex verspricht? Können Functional Fragrances im Gehirn gezielt die Lust auf Sex erhöhen? „Ich hätte da meine Zweifel“, sagt Ohla. „Wenn das ginge, wäre es phänomenal. Das würde vielen Leuten helfen, die da tatsächlich eine Störung haben, und dann würde die Forschung auch versuchen, das in klinischen Studien zu untersuchen und zu belegen.“
Bisher hat die Wissenschaftlerin aber von keinen Durchbrüchen im Bereich Functional Fragrance Kenntnis. „Was ich mir sehr gut vorstellen kann: dass es vielleicht für manche eine kleine Barriere im Kopf löst.“ In der Psychologie werde das als Selbstwirksamkeit bezeichnet, sagt Ohla. „Wir haben Kontrolle über vieles, auch über die eigenen Gefühle. Wir sind kein Spielball unserer Stimmungen, sondern können aktiv Einfluss auf sie nehmen.“
Vielleicht ist also doch etwas dran an der Radiosender-Metapher. Man muss nur die richtige Duft-Frequenz wählen.