Juwelenfund: Wie steht Österreich zu den Habsburgern?

Man kann nicht sagen, dass dem Land etwas fehlt. Wer durch die Gewölbe der Wiener Schatzkammer streift, wird von glitzernden Steinen und Preziosen überwältigt. In den schlichten Holzvitrinen aus der Zeit Maria Theresias lagern Kronen, Broschen, Diademe aus allen Epochen, behängt mit Brillanten, Rubinen und Smaragden.

Doch im November ging die Nachricht um die Welt, dass in einem Schließfach in Kanada ein unscheinbarer Lederkoffer liegt, darin 15 Kostbarkeiten, die vor über hundert Jahren aus Vitrine XIII der Schatzkammer entnommen worden waren. Seither dreht sich in Österreich nicht nur alles um die Frage, wem die „Habsburger-Juwelen“ gehören, darunter der legendäre Florentiner-Diamant und eine Brustspange der Sisi genannten Kaiserin Elisabeth. Es geht auch darum, wie das Land zu seinem früheren Kaiserhaus steht.

Kaum ein Land wurde in seiner Geschichte so sehr von einer Familie geprägt wie Österreich. Über 600 Jahre herrschten die Habsburger und schufen aus einer Grafschaft ein Weltreich, das zu Zeiten Karls V. über Spanien bis nach Mexiko und in die Anden reichte. Über Jahrhunderte stellte Habsburg die deutschen Kaiser. Wien war Weltstadt, als Berlin noch bedeutungslos im märkischen Sand darbte.

Wurden die Juwelen geraubt oder „geborgen“?

Doch auch wenn Österreichs Tourismusindustrie die Landesgeschichte mit Sisi-Kitsch und Kaiserschmarrn nach allen Regeln des Geschäfts zu nutzen weiß, sind die Beziehungen der Menschen zu ihrer früheren Herrscherfamilie kompliziert. Der stets leutselig auftretende Karl Habsburg musste sich als Chef des Hauses in der Hauptnachrichtensendung ZIB 2 sogar die Frage stellen lassen, ob er sich eigentlich weiterhin als rechtmäßiger Kaiser sehe.

Wie so vieles in Österreich wird auch dieser Streit entlang unsichtbarer Linien zwischen den Lagern ausgetragen. „Man weiß ja, auf welcher Seite der steht“, wird dann über die jeweils anderen gesagt. Wer jetzt von „Raub“ und „Kronjuwelen“ spricht, macht aus seiner Abneigung gegen die Kaiserfamilie keinen Hehl, während andere lieber vom „Familienschatz“ reden, der einst aus der Schatzkammer „geborgen“ worden sei.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Tatsächlich hängt viel davon ab, wie man die Geschichte der Juwelen erzählt, die Kaiser Karl I. (von Spöttern gern „Karl der Letzte“ genannt) am 1. November 1918 von seinem Oberstkämmerer Leopold Graf Berchtold aus der Schatzkammer holen ließ, als in den Straßen schon Revolutionsstimmung herrschte und eine zivile Staatsregierung das Ruder übernommen hatte.

Während die Regierung den Kaiser zur Abdankung drängte, ließ der die Kostbarkeiten in die sichere Schweiz bringen. Eine formelle Abdankung kam für Karl, der von seinem Gottesgnadentum überzeugt war, nicht infrage. Er verzichtete nur „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ und lotete von Schloss Eckartsau nahe Wien seine Chancen auf eine Rückkehr aus. Am Ende stellte ihn die Regierung vor die Wahl: Abdankung oder Ausreise. Doch noch am Grenzbahnhof zur Schweiz widerrief Karl jede Verzichtserklärung und erklärte alle Handlungen der Nationalversammlung für „null und nichtig“.

Der Enkel und die selbstlose Großmutter

In den Jahren darauf machte er offenbar Teile der Juwelen aus der Schatzkammer zu Geld, um seine teure Hofhaltung und vergebliche Versuche zu finanzieren, zumindest in Ungarn zurück auf den Thron zu gelangen. Ende 1921 hatten die Siegermächte keine Geduld mehr mit Karl und verbannten ihn auf die portugiesische Atlantikinsel Madeira, wo er im März 1922 im Alter von nur 34 Jahren an einer Lungenentzündung starb.

Für Karls gleichnamigen Enkel, der heute dem Haus Habsburg vorsteht und der den Verbleib der Juwelen öffentlich machte, steht aber eine ganz andere Geschichte im Vordergrund: Es ist die seiner selbstlosen Großmutter Zita, der letzten Kaiserin, die entthront und jung verwitwet mit acht kleinen Kindern durch die Wirren der Zwischenkriegsjahre zog und 1940 von Belgien über Frankreich, Spanien und Portugal nach Kanada floh, weil ihr ältester Sohn Otto sich vehement gegen die Nazis eingesetzt hatte.

Drei Generationen von Habsburgern: Kaiser Karl (Mitte), Kaisersohn Otto (links) und Kaiserenkel Karl (rechts)
Drei Generationen von Habsburgern: Kaiser Karl (Mitte), Kaisersohn Otto (links) und Kaiserenkel Karl (rechts)Picture Alliance (2), Archiv, iStock

Obwohl sie „weitgehend mittellos“ gewesen sei, wie Karl Habsburg meint, habe seine Großmutter den restlichen Schmuck in einem Bankschließfach deponiert, um ihn zu bewahren – verbunden mit der Verfügung, den Verbleib erst hundert Jahre nach dem Tod des Kaisers Karl öffentlich zu machen. Nur je zwei männliche Nachkommen sollten das Geheimnis bewahren. Karl sagt, dass er selbst nichts von den Schätzen gewusst habe, bis ihn zwei Cousins, die das Wissen von ihren Vätern bekommen hatten, informierten.

Aus dem Lederkoffer befreit: Die Schmuckstücke liegen bis auf Weiteres in Kanada.
Aus dem Lederkoffer befreit: Die Schmuckstücke liegen bis auf Weiteres in Kanada.dpa

Doch nicht nur die Tatsache, dass Zita den Verbleib der Schmuckstücke auf viele Jahrzehnte hin geheim halten wollte, sorgte in Österreich für Stirnrunzeln und die Frage, ob die frühere Kaiserin nicht vielleicht doch an der Sicherheit ihrer Eigentumsrechte zweifelte. Die Kunsthistorikerin Katrin Unterreiner, die ein Buch über die verschollenen Schätze der Habsburger geschrieben hat, tritt auch dem Mythos der „Mittellosigkeit“ entgegen. „Die Familie hat dieses Bild gerne selbst gepflegt,“ sagt sie. Doch in den 1920er-Jahren hätten Besucher noch von der üppigen Menüfolge im kaiserlichen Exil berichtet, während die Menschen in Wien Hunger litten.

Für Karl Habsburg ist das vor allem Meinungsmache. Am Anfang, als Ex-Kaiser Karl noch lebte und von der Restitution träumte, habe man weiter den restlichen Hof finanziert, um vorbereitet zu sein. In späteren Jahren habe seine Großmutter aber teils in wirklicher Armut gelebt, davon ist er überzeugt. „Sie war ein sehr bescheidener Mensch. Hätte sie Saus und Braus gewollt, hätte sie den ganzen Schmuck verkaufen können.“

Unterreiner hatte für ihr Buch schon vor Jahren zahlreiche Details über den Verbleib des Schmucks recherchiert, um den sich damals Legenden rankten. Tatsächlich ist in verschiedenen Quellen dokumentiert, wie der Ex-Kaiser Karl in den ersten Jahren des Schweizer Exils versuchte, die Juwelen aus Vitrine XIII diskret über Diamantenhändler zu Geld zu machen. Der Markt wurde in jenen Jahren allerdings von den Juwelen entmachteter Herrscherhäuser überschwemmt, und Karl, der oft als gutgläubig beschrieben wird, offenbar mehrfach über den Tisch gezogen.

Den Privatschmuck verkaufte Zita bei Cartier

Ihren eigenen Privatschmuck, der nicht in der Schatzkammer gelegen hatte, sondern in Schloss Schönbrunn, verkaufte Zita hingegen ganz offiziell bei Cartier in Paris, was Unterreiner als weiteres Indiz dafür sieht, dass die Familie sich des Unterschieds wohl bewusst war. Ob Verkäufe aber nach Karls Tod und dem Ende aller Versuche, zurück auf den Thron zu kommen, aufhörten, lässt sich nicht genau rekonstruieren.

Für den Wiener Historiker Oliver Rathkolb ist der Streit über die Deutung des Juwelenfunds auf gewisse Weise paradigmatisch für das Verhältnis der Österreicher zu ihrem ehemaligen Kaiserhaus. „Unterschwellig werden die Habsburger noch immer für den Niedergang verantwortlich gemacht“, sagt Rathkolb. „Der Verlust der Großmachtstellung bleibt ein subkutanes Trauma.“ Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats blieb das kleine Deutschösterreich mit einer viel zu groß dimensionierten Hauptstadt zurück und stürzte in eine tiefe Krise, da Wirtschaft und Unternehmen weitgehend auf die verlorenen Teile der Donaumonarchien ausgerichtet gewesen waren.

Die blutige Niederlage im Ersten Weltkrieg wirke weiter nach, meint Rathkolb. Damals sei die militärische Führung der Habsburger schlecht vorbereitet und in völliger Selbstüberschätzung in die Schlacht gezogen. „Die Leute wurden massakriert, weil man die absolute technische Überlegenheit des Gegners nicht hatte sehen wollen“, sagt Rathkolb. „Man sollte nicht unterschätzen, welche Rolle die Familiengedächtnisse spielen.“ So werde eine subjektive Sicht auf die Geschichte und das Kaiserhaus über Generationen weitergetragen.

Beim Wiederauftauchen der Juwelen spricht Rathkolb von einem PR-Coup der Habsburger, die geschickt ihre eigene Sicht auf die Geschehnisse platziert hätten. Tatsächlich hatte sich die Familie vor der Veröffentlichung nicht nur mit genehmen juristischen und historischen Gutachten munitioniert, sondern mithilfe einer Münchener Kommunikationsberatung den Spin gesetzt. Die Exklusivgeschichte mit einem Besuch des kanadischen Schließfaches ging an die „New York Times“, die sich mehr für die historische Rolle der Habsburger interessierte als für das Klein-Klein des Juwelenstreits. Daneben informierte man den deutschen „Spiegel“ vorab und erzählte ihm von dem Fund des „privaten“ Familienschmucks. „Dabei hätten ein paar Anrufe in Wien gereicht, um herauszufinden, dass die Sache komplizierter ist“, beklagt Rathkolb.

Der legendäre Florentiner-Diamant
Der legendäre Florentiner-Diamantdpa

Tatsächlich wurde schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg öffentlich über die ausgeführten Juwelen aus Vitrine XIII diskutiert. Die junge Republik Deutschösterreich prüfte damals juristische Wege, die Juwelen zurückzuholen, doch als die Christsozialen die Regierung übernahmen, führte man das Vorhaben nicht weiter.

Der rechtliche Dreh- und Angelpunkt war damals wie heute das Habsburgergesetz, das der Nationalrat 1919 als Reaktion darauf beschlossen hatte, dass Karl bei seiner Ausreise jeden Verzicht widerrief. Durch das Gesetz wurden nicht nur alle Familienmitglieder des Landes verwiesen, es sei denn, sie sagten sich von sämtlichen Herrschaftsansprüchen los und bekannten sich als „getreue Staatsbürger der Republik“. Es enteignete auch das „hofärarische“ und das „gebundene“ Vermögen des Hauses Habsburg. Nur das persönliche Privatvermögen blieb unangetastet.

Im österreichischen Beamtenstaat hatte man schon im 18. Jahrhundert angefangen, zwischen dem Eigentum von Herrscherhaus, Staat und der Privatperson des Monarchen zu unterscheiden. Das Hofärar, also alle mit der Institution Krone verbundenen Güter, wurde durch das Habsburgergesetz ausdrücklich in öffentliche Hand übertragen, aber auch das „gebundene“ Vermögen in fondsähnlichen Konstruktionen, das die Habsburger als ihr persönliches Eigentum betrachtet hatten.

Eine Lücke im Gesetz

Doch so klar dieser vermögensrechtliche Schnitt zwischen Monarchie und Republik war, hatte das Gesetz eine Lücke: Es bezog sich ausdrücklich nur auf „im Staatsgebiet befindliches“ Vermögen. Die Juwelen aber befanden sich zum Zeitpunkt des Erlasses bereits in der Schweiz. Und so stellt sich weiter die Frage, wem die Juwelen gehören, die einst bei den wirklichen „Kronjuwelen“ in der Schatzkammer lagen, dort aber als „Privatschmuck des Allerhöchsten Kaiserhauses“ deklariert waren, also als Privatschmuck zwar, aber eben nicht der Familie, sondern des Kaiserhauses. Gehören sie nun der Republik Österreich oder der Familie Habsburg-Lothringen insgesamt oder doch nur den Enkeln des letzten Kaiserpaares Karl und Zita als privaten Erben?

Dass die Familie mit dem Habsburgergesetz hadert, ist nicht überraschend. Karl Habsburg, der heutige Chef des Hauses, wuchs am Starnberger See auf, sein Vater Otto von Habsburg kämpfte in den Sechzigerjahren lange dafür, endlich wieder ins Land gelassen zu werden, was Sozialdemokraten und Gewerkschaften trotz einer unmissverständlichen Verzichtserklärung lange ablehnten. Später lieferte sich Karl einen Rechtsstreit mit der Stadt Wien, da er sich auf seiner Website „Karl von Habsburg“ nennt, obwohl er damit gegen das „Adelsaufhebungsgesetz“ verstößt, das mit dem Habsburgergesetz verabschiedet worden war und im titelaffinen Österreich alle Namenszusätze des Adels verbietet. Karl ließ damals wissen, dass er das Gesetz auf die „Müllhalde der Geschichte“ wünsche, verlor aber den Prozess, wenngleich er straflos blieb, da sich die im Gesetz genannte Strafandrohung von 20.000 Kronen nicht in einen heutigen Euro-Wert umrechnen ließ.

Eine vortreffliche Projektionsfläche für alle Monarchiehasser ist auch der Sanct-Georgs-Orden, den Karl und sein Vater Otto 2008 in der Nachfolge eines alten Ritterordens gegründet hatten und den man als eine Mischung aus Traditionsverein, Thinktank und Rotary-Klub bezeichnen könnte. Nicht nur, dass dem sich selbst als elitär begreifenden Netzwerk aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik immer mehr Mitglieder der rechten FPÖ angehören (obwohl die Deutschnationalen einst stramm antimonarchistisch eingestellt waren). Karl Habsburg lässt sich innerhalb des Ordens auch „kaiserlich-königliche Hoheit“ nennen, was weiterhin nicht verboten ist, da er anderen Leuten die Anrede nicht verbieten muss. Es war jenes Detail, das Moderator Armin Wolf in der Hauptnachrichtensendung zu der Frage brachte, ob sich Karl noch als rechtmäßiger Kaiser fühle.

Das Misstrauen zwischen Republik und Habsburgern wirkt weiter. Der Schmuck soll bis auf Weiteres in Kanada bleiben. Inzwischen wurde er in einen Trust eingebracht, der nur die Enkel des letzten Kaiserpaars als Begünstigte zählt. Die Familie will sich nun in Kanada um Ausstellungsmöglichkeiten kümmern, „aus Dankbarkeit gegenüber dem Land, das meiner Familie einst Schutz geboten hat“, sagt Karl Habsburg.

Doch man muss beim Kaiserenkel nicht lange bohren, um zu den anderen Begründungsebenen dieser Entscheidung zu kommen: „Die Situation ist einfach sehr verfahren“, sagt er. „Und die Rechtslage ist so, dass Ausstellung in Österreich im Augenblick nicht infrage kommt.“ Dann bekräftigt er noch einmal: „Im Augenblick.“ Sollten die Ansprüche der Familie endlich anerkannt werden, sei zumindest vorstellbar, dass man noch mal nachdenke. Und auf die Frage, ob es denn überhaupt einen Unterschied mache, wem der Schmuck gehöre, der ja sowieso nicht zum Verkauf stehe und in einem Museum landen werde, sagt er nur: „Es ist einfach der Privatschmuck meiner Familie.“

In Wien hat der rote Vizekanzler und Kulturminister Andreas Babler inzwischen die „Florentiner-Kommission“ eingesetzt. Diese prüft, ob die Republik Österreich Anspruch „auf die in Kanada aufgetauchten Schmuckgegenstände hat und ob dieser Anspruch durchsetzbar ist“. Vorsitzender der Kommission ist der Präsident der Finanzprokuratur, einer Behörde, die die Regierung in Rechtsfragen vertritt und die auf den Stauferkaiser Friedrich II. zurückgeht. In dem hübschen Barockpalais der Finanzprokuratur hatte man schon 1919 die Ansprüche gegen den Ex-Kaiser geprüft. Die alten Akten kann man sich nun aus dem Archiv kommen lassen.