
Die Jugend ist eine Zeit der ersten Male. Das erste Mal verliebt sein, das erste Mal Autofahren, die erste eigene Wohnung. Oder, wenn man wie Justin Engel ein 18 Jahre alter Tennisprofi ist: das erste Mal Abtauchen im Eisbad. Davon zeugt jedenfalls ein Video, das der junge Deutsche bei Instagram hochgeladen hat. Wobei man an seinem Zappeln und Jaulen ziemlich klar erkennen kann, dass diese Form der Muskelentspannung im Entmüdungsbecken, wohl eher keine angenehme Premiere war.
Engel ist gerade in Dschidda, in Saudi-Arabiens größter Hafenstadt am Roten Meer. Ab diesem Mittwoch spielt er dort gegen andere internationale Tennistalente um den Titel bei den sogenannten NextGen Finals. Es ist das Jahresabschlussturnier der besten Jungprofis auf der ATP-Tour, der vermeintlich „nächsten Generation“ also in der Weltspitze. Und Engel, noch so ein erstes Mal, ist der erste Deutsche, der daran teilnimmt. Als Nummer 187 der Weltrangliste ist er nach den Absagen anderer U-20-Spieler ins Starterfeld gerutscht, ist nun der Jüngste unter den acht Teilnehmern.
Engel kennt das bereits. Schließlich ist er ständig bei irgendwas der Jüngste. Der jüngste Spieler unter den Top-200 der Welt. Der Jüngste seit Carlos Alcaraz, der ein Match auf der Profitour gewann. Der jüngste Deutsche seit Boris Becker, der bei einem Rasenturnier, nämlich im Juni dieses Jahres, ein Viertelfinale erreichte. Bei den US Open Ende August hatte er dann erstmals bei einem Grand-Slam-Turnier den Sprung in die Qualifikation geschafft. Auch dort war er natürlich der Jüngste aller Teilnehmer.
Davis-Cup-Einsatz und Turniersieg
Engel gilt als das größte deutsche Tennistalent seit Alexander Zverev. Und das, obwohl es in seiner Generation etwa mit Max Schönhaus, Niels McDonald oder Diego Dedura noch etliche weitere vielversprechende Nachwuchshoffnungen gibt. Doch während diese bislang unter anderem mit herausragenden Leistungen in den Nachwuchskonkurrenzen glänzen – McDonald und Schönhaus spielten beispielsweise in diesem Jahr das French-Open-Finale der Junioren – scheint Engel schon einen Schritt weiter. Er misst sich mit Profis.
Engels Spiel, das von einem starken Aufschlag und einer kräftigen Vorhand, aber auch von taktischer Flexibilität lebt, ist weiter entwickelt als bei den meisten seiner Altersgenossen. Immerhin elf Matches hat der Nürnberger in diesem Jahr auf ATP-Niveau bestritten, wobei ihm fünf Siege gelangen. Sogar im Davis Cup kam er für Deutschland bereits zum Einsatz, gewann im September sein Match zum Abschluss der Begegnung in Japan. Dazu bestritt er in diesem Jahr etliche Turniere auf der Challenger-Serie, wobei ihm in Hamburg Ende Oktober der erste Turniersieg in dieser „zweiten Liga“ des Profitennis gelang.
In Dschidda geht es für Engel ausnahmsweise ausschließlich gegen annähernd Gleichaltrige. Doch das Turnier hat seinen ganz eigenen Reiz. Nicht nur weil in der Liste der Sieger seit der ersten Ausgabe 2017 unter anderem die heutigen Tennis-Dominatoren Carlos Alcaraz und Jannik Sinner auftauchen. Es ist auch seit jeher eine Art Versuchslabor des Profitennis, in dem mit neuen Regeln experimentiert wird, die das Geschehen vor allem kurzweiliger machen sollen. Gespielt wird etwa im Best-of-five-Modus, wobei vier Spielgewinne zum Satzgewinn reichen und es keine Vorteilsregelung gibt, also bei Einstand der nächste Punkt das Spiel entscheidet. Auch wird nach besonders kurzen Ballwechseln die verfügbare Zeit bis zum nächsten Aufschlag spürbar verkürzt.
Engel ist in diesem Umfeld einiges zuzutrauen. Abgesehen vom favorisierten Amerikaner Learner Tien liegt das Teilnehmerfeld dicht beieinander und Engels Form war zuletzt gut. „It all starts here“, alles beginnt hier, lautet das offizielle Motto des Turniers. Für Engel ist es ein passender Anlass, um sein besonderes Talent unter Beweis zu stellen. Es wäre nicht das erste Mal.
