
Das war schon eine knappe Angelegenheit. Nicht nur der Staatsvertrag, der ARD, ZDF und Deutschlandradio reformieren soll, wäre fast gescheitert. Auch die Überarbeitung des Gesetzes, das den Schutz von Kindern, Jugendlichen und der Menschenwürde in Medien und Internet regelt, hätte es fast nicht durch alle Landesparlamente geschafft. Zum Glück kam es anders: Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags ist ein Gesetzesvorhaben, das wegweisend und zeitgemäß die Weichen für einen effektiveren Kinder- und Jugendmedienschutz stellt, indem es Schlupflöcher schließt. Es handelt sich um eine Reform, die an den richtigen Stellen ansetzt, indem sie praktikable Lösungen für Eltern und Erziehende schafft, die vulnerabelste Gruppe unserer Gesellschaft mit wenigen Klicks vor problematischen Inhalten zu schützen. Eine Novelle, die Kinder- und Jugendmedienschutz richtigerweise auf mehr Schultern verteilt – vor allem auf starke.
Fast hätten die profitiert, die geltendes Recht aktiv ignorieren
Längst überfällige Verbesserungen im Kinder- und Jugendmedienschutz wären jedoch fast an politischen Konflikten gescheitert – und die lachenden Gewinner wären ausgerechnet jene gewesen, die bislang alles tun, um längst geltendes Recht eben nicht effektiv umzusetzen. Das ist bemerkenswert: Zum einen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Experten verschiedenster Couleur Handy- und Social-Media-Verbote für mehr Schutz der Heranwachsenden fordern. Zum anderen setzt die Politik den digitalen Medienschutz so hoch auf die Agenda, wie selten zuvor. Sei es auf europäischer Ebene, auf Bundes- oder Landesebene: Es sprießen Gesetzesinitiativen, Runde Tische und Kommissionen. Selbst für Menschen, die sich hauptberuflich mit dem Thema befassen, ist es herausfordernd, den Überblick zu behalten.
Früher – und damit meinen wir noch vor zehn bis 15 Jahren – bestanden die größten Herausforderungen des Jugendmedienschutzes darin, alkoholisierte Moderatoren im Abendprogramm großer Privatsender auf ihre Vorbildfunktion hinzuweisen. Unsere mediale Gegenwart besteht aus frei zugänglicher Pornographie, volksverhetzenden Inhalten, schwersten Verstößen gegen die Menschenwürde oder auch der Verherrlichung problematischer Körperbilder. Wie groß der Bedarf an wirksamem Kinder- und Jugendmedienschutz ist, verdeutlichen die Zahlen des aktuellen Berichtszeitraums der Kommission für Jugendmedienschutz eindrücklich: Im Vergleich zum Zeitraum März 2021 bis Februar 2023 verzeichnen wir beinahe eine Versechsfachung der Onlineprüffälle Das Netz ist eben leider immer auch ein Blick in die Abgründe menschlichen Denkens und Tuns.
Und zu dieser bereits schwierigen Gemengelage kommt eine neue Herausforderung hinzu: Die Künstliche Intelligenz führt zu einer bislang ungeahnten „Qualität“ der Missbräuche, während schon allein die Quantität der Inhalte eine Herausforderung an sich ist.

Ein wirkungsvolles Regulierungsbesteck
Doch aller Komplexität zum Trotz hat sich auf der Grundlage des Jugendmedienschutzstaatsvertrags ein wirkungsvolles Regulierungsbesteck entwickelt, das jetzt um schärfere Instrumente erweitert wird. Als besonders wirkmächtig hat sich die gute Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden erwiesen – bei klarer Trennung der Zuständigkeiten.
Wenn die Medienanstalten Kenntnis von einer Straftat erhalten – und die Verbreitung von Pornographie ohne wirksamen Jugendschutz ist eine solche Straftat – geben wir dies zur Verfolgung selbstverständlich an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Diese staatlichen Behörden sorgen aber aus gutem Grund nicht dafür, dass diese auch medienrechtswidrigen Inhalte verschwinden. Das machen wir als staatsferne Medienaufsicht, wie etwa zuletzt im Fall der Sperrverfügung des extremistischen Propagandasenders Al-Manar TV, verbreitet von der Terrororganisation Hizbullah.
Eine Silver Bullet wäre schön. Es gibt sie aber nicht
Ein Thema, das zuletzt immer mehr Fahrt aufgenommen hat, ist die Forderung nach einem Social-Media-Verbot für gewisse Altersgruppen. Für manche scheint dies die eine wirksame Lösung zu sein. Auch in Australien, wo vor Kurzem ein solches Verbot für unter 16-Jährige in Kraft trat, zeigt sich eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Doch es gibt keine Silver Bullet, wenn es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen online geht. Und bevor wir über Verbote sprechen, die über die Köpfe und Lebenswirklichkeiten unserer Kinder und Jugendlichen hinweggehen, sollten wir uns auf zielgerichtete und durchsetzbare Lösungen fokussieren und anerkennen, dass wir ein Set an Maßnahmen brauchen. So geht es natürlich um mehr Medienkompetenz. Aber wie viel Medienkompetenz brauchen Zehnjährige, wenn sie ungewollt mit pornographischen Inhalten auf ihrem Handybildschirm konfrontiert werden? Wie medienkompetent muss eine Achtjährige sein, um Videos einzuordnen, die Magersucht als Norm darstellen?
Neben Digitalkompetenz, eine Aufgabe für uns alle, müssen wir die Anbieter und Plattformen in den Blick nehmen – und zwar regulatorisch. Um Kinder und Jugendliche wirksam zu schützen, gibt es relativ simple technische Möglichkeiten: Altersverifizierungssysteme und Alterseinschätzungssysteme. Auch wenn diese keinen hundertprozentigen Schutz, wie auch in der analogen Welt, bieten können, so stellen diese Systeme immerhin sicher, dass unsere Kinder altersgerecht digitale Medien und Plattformen nutzen. Und ganz nebenbei sorgen sie dafür, dass die Nutzungsdaten von Kindern und Jugendlichen nicht länger massenhaft gesammelt werden. Denn das passiert, Tag für Tag, millionenfach. Solange die Anbieter von Social Media und KI-Anwendungen offenbar gern darauf verzichten, das Alter ihrer Nutzenden zu kennen, arbeiten sie ebenso gern mit Daten von Kindern.

Natürlich brauchen wir als Landesmedienanstalten mehr Verbündete, um die hier angerissenen Herausforderungen zu stemmen. An dieser Stelle setzt die nun verabschiedete Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags an. So werden wir als staatsferne Medienaufsicht künftig Zahlungsdienste wie Kreditkartenanbieter mit in die Pflicht nehmen können, um gegen Zahlungsströme auf Pornoplattformen vorzugehen, die auf den Einsatz funktionierender Altersverifizierungssysteme bewusst verzichten. Was in der Regulierung von Glücksspiel schon lange geht, ist jetzt auch beim Jugendmedienschutz möglich. Eltern werden künftig auf Ebene des Betriebssystems eines Smartphones oder einer Spielekonsole einstellen können, welche Dienste und Apps ihre Kinder nutzen dürfen. Das erspart mühsames Durchklicken von App zu App.
Kinder und Jugendliche sind ebenso wie Erzieher und Pädagogen vielfach überfordert – und die vermeintlich einfachste Lösung ist ein pauschales Verbot. Wir ahnen übrigens, wer von einem solchen Verbot profitiert: die Social- Media-Plattformen. Dann können sie nämlich die zartesten Schutz-Pflänzchen, sei es im Bereich Medienkompetenz oder Technologie, wieder ausrupfen und noch mehr Gewinne machen. Das Prinzip ist bekannt: Gewinne werden privatisiert, die gesellschaftlichen Folgen und ihre Kosten sozialisiert.
Wir sind der Überzeugung: Mit hoher Reichweite geht große Verantwortung einher. Die Anbieter müssen geeignete Maßnahmen ergreifen. Sie müssen ihre Inhalte altersadäquat ausspielen und sicherstellen, dass sie die richtigen Empfänger erreichen. So wäre sichergestellt, dass Kinder und Jugendliche teilhaben können, ohne mit Inhalten konfrontiert zu werden, die sie verstören, verängstigen oder nachhaltig schädigen könnten.
Eva Flecken ist Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Marc Jan Eumann ist Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz und Mitglied der Kommission „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“ der Bundesregierung.
