
Ein Buch nur über Männer. Keine einzige Frau kommt vor, kein Kind, höchstens im Hintergrund, nicht als handelnde, redende Figur. Juan S. Guse schreibt in seinem neuen Buch also nur über Männer. Von heute. In einem bestimmten Alter, zwischen zwanzig und vierzig. „Krypto-Boys“ werden sie genannt, aber das hören diese Boys nicht so gern, weil sie Gegenstand von Gerichtsprozessen, aber vor allem von Memes geworden sind, in denen sich gleichaltrige Frauen über sie lustig machen: wie die Boys ihnen mit großen Reden erklären, warum sie in digitale Währungen investieren, Baby. Und sich aber das Geld dafür von ihren Babys leihen müssen.
Doch weil diese Männer U40 nichts weniger als den Umsturz der bestehenden Systeme von Geld und Arbeit wollen und genug Skandale und Pleiten mit dem Begriff „Krypto“ in Verbindung stehen, und weil es auch darum geht, in der Welt der Eltern ernst genommen zu werden, weil diese Eltern bis auf Weiteres an den politischen Hebeln sitzen, sprechen die Akteure inzwischen lieber von „Web3“, wenn sie ihr Ding erklären.
Auch davon erzählt Guse in diesem neuen, kaum zweihundert Seiten langen Text, für den er mit einigen Krypto-Boys Zeit verbracht hat. Auf einem Berg. Auf einem Kongress. Auf einem Campingplatz in Dänemark. Um zu verstehen, was sie wollen und warum sie so sind, wie sie sind. Und um nebenher eine kleine Geschichte des digitalen Finanzkapitalismus von heute zu schreiben – und der Verhaltensweisen, die er ausgebildet hat. Denn dazu zählen nicht nur dicke Uhren und Superyachten.

„Junge Männer, die an eine Verbesserung ihres Lebens durch gute Entscheidungen glaubten“, das sind die Figuren in Guses Reportage-Essay. Mit Investitionen in Kryptowährungen wie Bitcoin kann man sehr, sehr, sehr reich werden. Die Männer, die Guse für „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ traf und mit denen er sich auch über den passenden Buchtitel für seine Recherche unterhielt, sind das auch: sehr, sehr, sehr reich. („Achtstellig“ ist einer von ihnen.)
Tattoos, Jesus, alte Autos
Aber sie fahren alle trotzdem alte Autos. Wenn auch nicht wahllos: Saab-Kombi, mittelalter Bulli, denn auch diese ganz speziellen, auratischen alten Autos sind eine Währung für sich. Guses Männer – Basti, Arne, Malte – gehen außerdem gern klettern. Sie haben Tattoos. Und alle ihre eigene Privatesoterik von Lebenssinn entwickelt. Einer glaubt sogar an Jesus. Sie sind sympathisch und unerträglich und haben tausendmal so viel Geld wie die meisten Männer ihres Alters.
Juan S. Guse dagegen hat Geld verloren. 2000 Euro hat er in OHM investiert, eine digitale Währung, die, so lautet das Versprechen, fern von Politik sich selbst reguliert, inflationssicher sei und eines Tages den US-Dollar als Leitwährung ablösen könnte. Guses verlorene 2000 Euro geistern jetzt wie ein kleines Leitmotiv durch seinen ohnehin schwebenden Text. Eigentlich sitzt er ja gerade an seinem dritten Roman – aus dem er vor drei Jahren beim Bachmann-Preis in Klagenfurt gelesen hatte, die Geschichte einer ethnologischen Expedition in den Taunus und so verheißungsvoll leicht und tricky, dass Guse damals den Publikumspreis dafür bekam.
Jargon ist Charakter
Dass er jetzt dieses neue Buch irgendwie einfach dazwischenschob, bei dessen Lektüre man ständig Begriffe (Bullrun High) und Akronyme (HODL) und Namen (Sergey Nazarov) nachgoogeln muss, mit denen Guse leichthändig arbeitet: Das schüchtert einerseits ein. Es macht die Vorfreude auf den wartenden Roman andererseits größer. Der Jargon ist wichtig für die Krypto-Sphäre, sie prägt den Charakter nicht, sie ist der Charakter.
„Ich verstehe, dass man danach süchtig werden kann“, schreibt Guse einmal, „nach diesem spezifischen Stolz über esoterisches Wissen, nach der souveränen Verwendung heiliger Vokabeln und Konzepte. Ein Hirntresor voller inkorporiertem Kapital, das man nicht nur in ökonomisches Kapital umwandeln zu können glaubt, was ein Gefühl der Sicherheit stiftet, sondern das auch eine Quelle der Anerkennung sein kann.“
Gegen den Jargon und die Selbstbeseeltheit der Krypto-Boys, die Welt von morgen aus der Kraft des frei beweglichen Geldes erschaffen zu können, hält der ausgebildete Soziologe Guse einen Text, der seine leise Kraft entfaltet, indem er nicht in Formeln und Parolen spricht. Sondern Skepsis und Verwunderung zulässt, Verwunderung auch darüber, sehr viel Geld interessant an sich zu finden. Am Ende findet Guse aus den Sälen eines Kongresses der Krypto-Boys nicht mehr heraus – und damit eine schöne Metapher für eine selbstreferenzielle, technokratische, digitale Welt, die die reale Welt zu verändern begonnen hat.
Juan S. Guse, „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“. Verlag S. Fischer, 192 Seiten, 23 Euro.