Jonas Rutsch im Tagebuch über Radsport-Rennen vor Etappe 3

Jonas Rutsch bestreitet in diesem Sommer zum dritten Mal die Tour de France. Rutsch stammt aus Erbach im Odenwald und absolviert in diesem Jahr seine siebte Saison bei einem WorldTour-Team. Der 27 Jahre alte Rennfahrer startet für die belgische Equipe Intermarché-Wanty. Das Tagebuch von der Tour de France 2025 wird an dieser Stelle regelmäßig aktualisiert. Aufgezeichnet werden seine Berichte von David Lindenfeld.

Tag 4: Die ersten Tage bei der Tour de France liegen hinter uns und die Kernaussage, die man treffen kann, lautet: Hier geht es richtig ab. Ich weiß nicht, ob das in den TV-Bildern so gut rüberkommt, aber es ist fast unmöglich, im Feld die Position zu halten, weil alle so hart darum kämpfen.

In der ersten Woche steht jeder noch voll im Saft. Das macht es sehr stressig. Zusammenfahren als Team ist schwer. Man merkt, dass das Level bei der Tour einfach extrem hoch ist. Du gewinnst in einer Kurve zehn Positionen und verlierst bis zur nächsten wieder neun. Es ist wie in einer Waschmaschine. Und so geht das den ganzen Tag. Das Feld ist sehr nervös. Wenn einer da in einer Abfahrt nicht aufpasst, liegen 50 Leute auf der Straße. Die Hektik wird sich im Laufe der Tour sicher etwas legen, wenn alle müder werden.

An Tag eins war es unser Plan, mich sofort in die Ausreißergruppe zu schicken. Wir hatten das Rennen ein bisschen anders eingeschätzt. Aber das gehört auch dazu. Mit Radsport-Manager am Computer, wo man eben mal die Leute losschicken kann und alles nach Plan läuft, hat das hier nichts zu tun. Der Hintergedanke war, dass das Rennen durch den Wind und die Nervosität hier sofort auseinanderfliegen könnte. Wenn das früher passiert wäre und es zwei Leute von uns in die vordere Gruppe geschafft hätten, wären wir mit drei Leuten dort gut aufgestellt gewesen.

Leider ist dann viel früher alles wieder zusammengelaufen, als wir dachten. Und als das Feld dann gegen Ende auf der Windkante auseinanderbrach, hat es nur Bini (Sprinter Biniam Girmay, d. Red.) in die erste Gruppe geschafft. Deshalb konnten wir nicht zufrieden sein, wie wir als Team gefahren sind. Das hat Bini auch zurecht kritisiert. Er hat dann trotzdem noch ein grandioses Rennen geliefert, wurde ohne Hilfe vom Team auf den letzten Kilometern Zweiter. Davor muss man den Hut ziehen.

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Bei mir war an diesem Tag auch noch ein bisschen das Bergtrikot im Hinterkopf. Aber da hört dann auch bei den vier Franzosen, mit denen ich in einer Ausreißergruppe war, untereinander die Freundschaft auf. Natürlich sprintet man oben an einer Bergwertung. Dass aber 100 Kilometer vor dem Ziel mehrmals so attackiert wird, ist schon wild. Die waren sehr motiviert, um es mal so zu sagen. Im Endeffekt war die Aktion auch ein bisschen schwachsinnig. Von hinten kommt das Feld angerast und dann attackiert einer die Gruppe wie ein junger Gott. Da habe ich mich schon gefragt: Wo will der denn hin?

Als das Feld von hinten kam, hat sich mein Fokus sofort verschoben. Es ging dann darum, Bini so gut es geht zu unterstützen, was leider nicht mehr möglich war, weil meine Beine es nicht mehr hergegeben haben. Zwei aus der Gruppe haben es dann noch mal probiert und sind oben an der zweiten Bergwertung bei einem Sprint gestürzt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht mal mehr eine Sekunde daran gedacht, den Goldenen Ritter zu spielen und da noch mal nach vorne rauszupeitschen.

Tag zwei lief dann schon deutlich besser für unser Team. Da war es unser Plan, einen Fahrer ganz vorn zu positionieren, um die Nervosität rauszunehmen. Das Team weiß, dass ich das drei Stunden lang durchhalte, ohne mich für eine halbe Woche komplett zu zerschießen, weil ich einen großen Motor habe. Deshalb fiel die Wahl auf mich. Dass wir dort jemanden platzieren konnten, hat das Rennen für meine Kollegen deutlich entspannter gemacht. Für mich war der Tag allerdings weniger erholsam. Wenn ich vorne Führungsarbeit geleistet habe, waren es selten unter 400 Watt, die ich treten musste. Man merkt nach so einer Etappe, dass man an diesem Tag etwas investiert hat. Aber ich denke, dass ich das gut wegstecken werde.

Die Stimmung bei uns war nach der zweiten Etappe deutlich besser als zum Auftakt. Der einzige Wermutstropfen: Bini hat sich das Knie angeschlagen, als er mit dem Hinterrad weggerutscht ist. Es schmerzt jetzt etwas. Aber ich hoffe, dass er sich schnell wieder erholt davon und dann alles wie am Schnürchen läuft. Es gibt noch einige Chancen für uns.

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Tag 1: Der Tour-Auftakt ist immer ein riesiges Spektakel. Ich habe ja schon zweimal erlebt, was in der Stadt vor dem Grand Depart los ist. Hier in Lille war es ähnlich wie bei den letzten Malen. Diesmal hat mich die Szenerie ein bisschen an die Flandern-Rundfahrt erinnert. Diese radsportverrückte Gegend ist ja räumlich nicht so weit weg hier vom Start.

Angereist sind wir alle in guter Verfassung. Georg Zimmermann und ich konnten das schon bei der deutschen Meisterschaft am vergangenen Wochenende zeigen. Das war ein Rennen, auf das ich rückblickend sehr stolz bin. Was die deutsche Fraktion von Intermarché-Wanty da gezeigt hat, war große Klasse. Ich bin happy, dass es am Ende dann auch für Georg zum Titel gelangt hat und ich meinen Anteil daran hatte. Oft legt man sich einen fixen Plan zurecht und steht, wenn dann mal etwas schiefläuft, ganz schnell da und weiß nicht, was man machen soll. Obwohl das Glück in diesem Rennen mit dem platten Reifen von Georg nicht immer auf unserer Seite war, haben wir einen Weg gefunden, unsere Munition trocken zu lagern und im richtigen Moment zu verschießen.

Bei der Tour geht unser Team in diesem Jahr auf Etappenjagd. Ich freue mich auf die nächsten Tage und Wochen, versuche jetzt aber auch ehrlich gesagt nicht, schon zu viel drüber nachzudenken, was passieren könnte. Die Tour ist drei Wochen lang. Es bringt nichts, sich über jede einzelne Etappe Gedanken zu machen, weil das Rennen oft ganz anders verläuft. Das haben wir bei der deutschen Meisterschaft gesehen. Es lässt sich nichts vorhersagen. Man muss einfach cool bleiben und sich auf die nächste Etappe konzentrieren. Das ist jetzt also die erste am Samstag (13.40 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Tour de France, in der ARD und bei Eurosport).

Wir haben mit Biniam Girmay den Sprinter hier, der im vergangenen Jahr das Grüne Trikot gewonnen hat. Es sieht so aus, als würde es auf der ersten Etappe einen Massensprint geben. Dafür werden wir uns einen Plan zurechtlegen und dann versuchen, ihn perfekt umzusetzen. Ich glaube, dass Bini im Vergleich zu den anderen Sprintern jemand ist, der eher besser als schlechter wird, je tiefer er im Rennen gehen muss. Bini ist ein atypischer Sprinter, der auch auf welligem Profil sehr gut klarkommt, wenn das Rennen schwer war, und weitere Chancen bekommen wird. Wir gehen deshalb jetzt auch nicht mit übergroßen Erwartungen in die erste Etappe.

Gut gelaunt vor dem Start in die Tour de France 2025: Jonas Rutsch
Gut gelaunt vor dem Start in die Tour de France 2025: Jonas RutschPicture Alliance

Meine Aufgabe wird sich im Laufe der Tour immer mal wieder ändern, weil ich auf zwei Schlachtfeldern unterwegs bin. Zum einen bin ich im Leadout von Bini der Mann, der den Sprintzug mit den schnelleren Männern wie Laurenz Rex und Hugo Page auf Kurs bringen soll. Auf dem zweiten Schlachtfeld geht es für mich darum, die Offensivfraktion auf Etappenjagden zu unterstützen und zu verstärken. Für die hügligeren Etappen haben wir mit Georg Zimmermann und Louis Barré zwei heiße Eisen im Feuer, die beide dieses Jahr schon gezeigt haben, dass sie ein Wörtchen mitreden können, wenn die Straße ansteigt.

Ich bin als Rouleur, der auch ganz gut berghoch kommt, mittendrin und werde versuchen, die beiden zu unterstützen. Aber wenn sich dann irgendwann eine Chance auftun sollte, bin ich natürlich auch jemand, den man in eine Spitzengruppe senden und der dort erfolgreich sein kann.

Bei all dem Leistungsdenken und all dem Druck, den wir haben, versuche ich aber auch ein bisschen stolz zu sein, dass ich hier sein kann und will das genießen. Wir sind bei der Tour de France, dem größten Radrennen der Welt. Diese Momente muss man für sich speichern.